beyond 01 | 2025

IM FOKUS – Junge Zivilgesellschaft unter Druck

INTERVIEW

Wir wollen Teil der europäischen Familie sein Interview mit Nini Shakarashvili Seit Monaten protestieren viele Menschen gegen die Abkehr der georgischen Regierung von der EU-Mitgliedschaft und ihre zunehmend autoritäre Führung. Viele von ihnen sind junge Menschen, die um ihre Zukunft fürchten. Ihre Situation wird zunehmend schwieriger.

beyond: Was steht für die jungen Menschen in Georgien auf dem Spiel?

Ich verstehe, dass die EU ein Zeichen setzen will, dass sie den antieuropäischen Kurs der Regierung nicht unter- stützt und deshalb bestimmte Programme mit Georgien ausgesetzt hat. Das hat aber nicht die Regierung getroffen, sondern die Menschen. Jugend- und Bildungsprojekte sind gestrichen worden. Das ist das Gegenteil von dem, was eigentlich passieren sollte. Das größte Problem ist jedoch, dass unsere Unabhän- gigkeit auf dem Spiel steht. Wir haben einen großen, unfreundlichen Nachbarn, der 20 % unseres Territori - ums besetzt hält. Das ist eine tickende Zeitbombe. Die Menschen in den Grenzdörfern berichten von Schikanen durch die russische Polizei. Wir brauchen Sicherheits- garantien, die sich aus dem vielfältigen ausländischen Interesse an Georgien ergeben – doch das europäische Interesse scheint eher zu schwinden als zuzunehmen. In- zwischen scheint unsere Regierung alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dies zu erreichen. Trotzdem muss Europa verstehen, dass wir für europäische Werte kämpfen – vielleicht sogar mehr als viele EU-Bürger*innen heutzutage.

Nini Shakarashvili: Das ist eine komplexe Frage. Die Regierung wendet sich gegen alle Werte, für die wir ste- hen. Die georgische Jugend protestiert schon lange, aber die Proteste werden immer weniger. Man kann das nicht endlos durchhalten. Nach den Wahlen sind viele Men- schen enttäuscht und demotiviert. Einige denken darü- ber nach, das Land zu verlassen, weil sie die Hoffnung auf Veränderung verloren haben. Die Regierung ignoriert die Forderungen der jungen Menschen völlig und fährt mit ihrer konservativen, antieuropäischen Agenda fort. Die Öffentlichkeit hoffte, dass die Oppositions- politiker*innen kämpfen und Verantwortung überneh- men würden, so wie es ihnen von ihren Wähler*innen aufgetragen wurde. Anfangs kamen sie zu den Demons- trationen, aber dann verschwanden sie einfach. Viele junge Menschen sind unsicher, wie es weitergehen soll. Einige wollen weiterkämpfen, aber die Mehrheit ist des- orientiert und hoffnungslos. Erschwerend kommt hinzu, dass wir uns auch von der EU im Stich gelassen fühlen.

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