IM FOKUS – Junge Zivilgesellschaft unter Druck
INTERVIEW
„Europas Zweck ist die Sicherung individueller Rechte und Freiheit aller jungen Menschen“ Interview mit Tobias Flessenkemper, Europarat Tobias Flessenkemper leitet die Jugendabteilung des Europarats. Auch er sieht die „shrinking spaces“ für junge Menschen – nicht nur im politischen Raum, sondern auch darüber hinaus. Er arbeitet dafür, dass europäische Institutionen und Staaten junge Menschen als selbstverständlichen Teil einer demo- kratischen Gesellschaft und ihre Freiheitsrechte als positive Verpflichtung fördern.
beyond: Putin, Trump, Orban und andere – erleben wir gerade eine internationale Abwendung von der liberalen Demokratie und eine Hinwendung zu nationalen Egoismen?
beyond: Was bedeutet das für die Zukunft junger Menschen?
Tobias Flessenkemper: Junge Menschen sind nicht alle gleich und viele finden es nicht gut, was wir gerade erle - ben. Was heute passiert, wird die Gesellschaft von mor- gen sein – die Gesellschaft, in der diejenigen, die heute jung sind, den größten Teil ihres Lebens verbringen wer- den. Was sind die Mechanismen unserer Gesellschaften? Die „Altvorderen“ – Helmut Kohl zum Beispiel – haben, als sie die europäischen Institutionen schufen, gewusst, dass es auch um die Eindämmung von alten, nationalen Egoismen ging. Jetzt erleben wir, wie überall gekürzt wird – auch bei den Programmen gegen Rechtsextremismus. Die Eindämmung weicht auf. Es ist leicht, seine Bubble zu finden. Wir können uns dort über Briefmarken oder Migration austauschen. Aber es gibt immer weniger Räume für Aushandlungsprozesse, eher geht es um die Dominanz von Meinungen durch Sprachstreit, Bilderstreit und KI-gesteuerte Sprach
Tobias Flessenkemper: Kaum etwas davon ist leider neu. Es war lange da und jetzt wird es sichtbar und laut. Wir haben in Europa internationale Organisationen auf- gebaut, damit nationale Einkapselung und brutale Allein- gänge nicht immer wieder passieren. Wir wollten offene Grenzen und eine gemeinsame Währung. Jetzt erleben wir den Wunsch, es wieder allein zu machen und eine Öf- fentlichkeit, die dem in Teilen folgt. Viele verabschieden sich vom Willen, gemeinsam zu leben, zu lernen und die Zukunft offen zu halten. Unsere Gesellschaften werden zunehmend selbstbezogen. Das politische Handeln hat wenig Neugierde auf eine bessere Zukunft. Zu selten will man gemeinsam in Europa voneinander und von ande- ren weltweit lernen. In diese Lücke stoßen Leute wie die oben genannten mit alten Hassparolen auf neuen Me- dien.
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