5 ERSUCHEN DRITTER, DIE EINE VERLETZUNG DER VERTRAULICHKEIT BEDEUTEN Anträge von außerhalb des Berufsstandes nach Verletzungen der Vertraulichkeit durch Psychoanalytiker können in der Regel in drei Formen erfolgen: Anträge, dass das in der Behandlung aufgekommene Material einer anderen Partei, die ein Interesse an der Behandlung hat (Versicherungsgesellschaften, Regierungsbehörden, Eltern), mitgeteilt wird; Anordnungen einer juristischen Person (ein Gericht oder eine gleichwertige Behörde), dass ein Analytiker aussagt oder klinische Notizen vorlegt; und Verpflichtungen, den Behörden Verdachtsmomente über Verbrechen oder Schäden oder das Risiko von Schäden an sich selbst oder Dritten, wie Minderjährige, zu melden. Ein Gerichtsbeschluss kann beispielsweise eine Zeugenaussage für die Staatsanwaltschaft, für die Verteidigung oder für einen Dritten anordnen. Solche Mitteilungen werden oft als Anforderungen mit Gesetzeskraft empfunden, z. B. wenn sie von einem Anwalt, Polizisten, Gerichtsbeamten oder einer Regierungsbehörde stammen. Die implizite Autorität dieser Art sollte immer in Frage gestellt und vor einer Antwort sollte um Rat gefragt werden. Analytiker beneiden Anwälte oft um das Privileg des Rechtsberufes, dass deren Vertraulichkeit im Namen ihrer Mandanten besser geschützt ist als unsere klinische Vertraulichkeit; dieser Vergleich kann jedoch irreführend sein. Das „deliberative Privileg“, das den deliberativen Raum von Richternotizen, Kabinettssitzungen und Schiedsrichternotizen schützt, ist eine bessere Analogie zum psychologischen Raum in unseren Behandlungungsräumen. In der Psychoanalyse kommt es weniger auf die Offenlegung von bewussten Informationen an, die für einen Anwalt von größerem Interesse sein können, als vielmehr auf die schrittweise Aufdeckung der Qualität des psychischen Lebens. Es ist auch nicht ganz klar, wie viel rechtlichen Wert die Notizen oder Aussagen eines Analytikers haben könnten. Anwälte mögen glauben, dass sie in der Lage sind, die relevanten beweiskräftigen Details aus der psychotherapeutischen Beziehung zu bewerten, aber sie erkennen in der Regel nicht, wie kontextuell diese „Details“ an die freien Assoziationen des Patienten gebunden sind, die im Rahmen eines spezifisch psychoanalytischen Zuhörens auftauchen. Die berufliche Integrität und Autonomie der psychoanalytischen Arbeit ist für ihre technische und klinische Qualität von wesentlicher Bedeutung. Neben dem „öffentlichen Nutzen“, der durch die Sicherheit Dritter oder den Schutz von Minderjährigen gegeben ist, gibt es auch einen öffentlichen Nutzen in dem Beitrag, den die Psychoanalyse durch ihre „Kulturarbeit“ für die Gesellschaft leistet (Freud, 1933, S. 86). Wenn eine Situation entsteht, in der diese gegeneinander abzuwägen sind, kann die Aufgabe, primitive Ängste einzudämmen und zu interpretieren, für den Analytiker zu einer besonderen Herausforderung werden.
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