03-2018 D

Zurück auf Feld 1

Evelyne ist ausgebildete Kinder- gärtnerin. Im Sommer 2017 ist sie nach Guinea gereist, um für ein Jahr den Kindergarten im ActionVIVRE Süd zu leiten. Auf ihremBlog berich- tete sie regelmässig über ihre Erleb- nisse – und über die Unterschiede zwischen ihrer Arbeit in Guinea und in der Schweiz. 14. Oktober 2017 – Dankbar, dass nun Wochenende ist, sitze ich mit einer Tasse Néscafé da und überlege, was ich diese Woche mit euch teilen will. Da ich mein Leben hier mit all seinen Facetten beleuchten will, werde ich euch nicht vorenthalten, dass mich diese Arbeitswoche ermüdet hat. Aus diversen Gründen: Die Zahl der Kinder im Kindergarten stieg von 9 auf 13 an. Etwa die Hälfte dieser 13 Kinder hat- te wohl zu Hause noch nie einen Stift in der Hand. Ausserdem wird daheim nur Pular und kein Französisch ge- sprochen. Wie sollte ein solches Kind verstehen, was von ihm verlangt wird, wenn es eine Linie nachfahren oder etwas innerhalb bestimmter Linien ausmalen soll?

Ein anderes Beispiel: Quips, auch be- kannt als Colorama. Das Spiel mit der wohl einfachsten Spielidee: Mit dem Farbwürfel wird erwürfelt, welche Holzrondelle genommen werden darf. Wer alle seine weissen Kreise als Ers- tes belegt hat, gewinnt. Für ein Kind, das seine ersten Lebensjahre wort- wörtlich im Busch verbracht hat, ohne Spielsachen, ist auch dieses Spiel ein Buch mit sieben Siegeln: Was tut man mit einem Würfel? Ach so, der Würfel muss geworfen werden. Ach so, nicht x-mal hintereinander. Ach so, der Wür- fel wird systematisch von Kind zu Kind weitergegeben. Ach so, das, was der Würfel oben zeigt, ist von Bedeutung. Ach so, die oben angezeigte Farbe sagt mir, welche Farbe ich aus der Schach- tel nehmen darf. Ach so, die Rondelle muss ich nicht irgendwo, sondern an einem vorbestimmten Ort platzieren.

betteln inbrünstig um Nachhilfe. All das habe ich in der Schweiz nur selten gesehen ...

Da guineische Kinder in alltagsprakti- schen Aufgaben sehr vif sind, lege ich den Schwerpunkt im Kindergarten vor allem auf kognitive Fähigkeiten. Be- sonders wichtig ist mir dabei, dass sie das, was ich ihnen vermittle, wirklich verstehen und nicht, wie in Guinea üblich, einfach auswendig lernen. Das ist auch der Hauptgrund für die frühe Förderung im Kindergarten: dass ein gutes Fundament gelegt und ganz viel Grundlegendes gelernt und eingeübt wird, das ihnen für die gesamte Schul- zeit hilft. Deshalb ist Bildung auch schon für die Jüngsten extrem wichtig.

Ich muss in meiner Unterrichtsplanung nochmals zurück auf Feld eins. Für mich wäre das frustrierend, wären da nicht jene alternativen Fähigkeiten der guineischen Kinder, die mich immer wieder in Staunen versetzen: Puppen- haare zöpfeln. Den eigenen Wickelrock in Windeseile neu wickeln und dessen Bändel selber knüpfen (Schuhknoten). Kleider sauber machen. Wasserbehäl- ter gekonnt auf dem Kopf tragen. Ein Feuer instand halten. Für kleine Ge- schwister sorgen. Auch ihr Lernwille erstaunt mich immer wieder: Regel- mässig kommen Kinder zu mir und

Auszug aus dem Blog updateguinea.blogspot.ch

Für gleichaltrige Kinder in der Schweiz und auch für meine beiden Schwei- zer Kindergärtner Eloan und Leandro ist das kein Problem – höchstens an der Genauigkeit oder der Stifthaltung muss etwas gefeilt werden.

Einige Mitarbeitende und Teams führen Blogs über ihre Arbeit und ihr Leben. Alle Links finden Sie auf unserer Webseite www.sam-global.org unter «Einsätze».

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