IHK-Magazin Ausgabe 7/2025

TITELTHEMA | UMWELT & ENERGIE

IHK-ANALYSE „Verlässlichkeit der Energiepolitik hat gelitten“ Jedes dritte Unternehmen sieht die Energiewende als Risiko. Ein Gespräch mit IHK-Geschäftsführer Andreas Kempff über die Gründe.

zum Beispiel der Zementindust- rie ist eine technische Dekarbo- nisierung des Produktionspro- zesses gar nicht möglich, weil Kohlendioxid auch im Produkti- onsprozess selbst entsteht. Hier würde eine Lösung nur in einer CO2-Abscheidung liegen, das ist in Deutschland aktuell noch ver- boten. Dementsprechend fehlt hier noch die komplette Infra- struktur. Die Bundesregierung hat jüngst einen Gesetzentwurf verabschiedet, der das ändern soll, aber bis die Infrastruktur steht, werden Jahre vergehen. Aber bietet die Energiewende nicht auch Chancen? Kempff: Für Unternehmen, die ein dezidiert grünes Ge- schäftsmodell haben, bietet die Energiewende natürlich Chancen. Aber die meisten Unternehmen haben noch kon- ventionelle Geschäftsmodelle. In unserer Resilienzstudie aus dem Jahr 2024 kam klar zum Ausdruck, dass von den vier Megatrends Dekarbonisierung, Demografie, Deglobalisierung und Digitalisierung nur noch bei letzterer mehr Chancen als Risiken gesehen werden. Wie sehen die Befunde des neuen DIHK-Energiewende- barometers aus? Kempff: Ähnlich kritisch. In Summe überwiegen die negativen Einschätzungen, wenngleich sich die Stimmung etwas aufgehellt hat. Die Ver- lässlichkeit der Energiepolitik der Bundesregierung hat

deshalb erheblich. Je größer die Energieintensität, desto größer die Unsicherheit. Was die Unternehmen steuern können, ist der Energiever- brauch. Werden da die Poten- ziale voll ausgeschöpft? Kempff: Die Energieeffizienz, um die es hier im Kern geht, kann man verbessern, das ist richtig. Im Rahmen unseres KEFF+-Projekts beraten wir selbst dazu und finden in prak- tisch jedem Unternehmen, das wir analysieren, entsprechende Effizienzpotenziale. Dabei gibt es aber große Unterschiede zwischen den Branchen. Im Dienstleistungssektor und weiten Teilen des Handels ist es vergleichsweise einfach: Umstellung der Beleuchtung auf LED und, sofern vor- handen, Modernisierung von Kühltheken. Wie sieht es bei den Industrie- betrieben aus? Kempff: Industrieunternehmen zu dekarbonisieren ist wesent- lich komplexer. Da muss die Erzeugung von Prozesswärme von fossilen Energieträgern auf Strom umgestellt werden. Das erfordert meist erhebliche Investitionen. Und nicht immer kommt man mit elektrischer Energie zu gleich guten Ergeb- nissen, weil Gas eine exaktere Temperaturführung erlaubt, was für manche Produkte extrem wichtig ist, damit sie die gewünschten Eigenschaften ha- ben. Und in manchen Branchen,

Herr Kempff, die gestiege- nen Energiepreise haben die Unternehmen in den vergan- genen Jahren massiv belastet. Wie sieht es in Zukunft aus? Andreas Kempff: Die Preise werden weiter steigen. Grund sind die erwarteten Preise für die CO2-Zertifikate. Wer fossile Energien verbraucht, muss für die ausgestoßenen Treibhaus- gase Zertifikate zur Kompen- sation erwerben. Und deren Preise werden in beiden Emis- sionshandelssystemen weiter steigen: Beim EU-Emissions- handelssystem, das im We- sentlichen für den Industrie- und Energiesektor gilt, werden die verfügbaren CO2-Zertifikate durch das EU-Programm ‚Fit for 55‘ weiter verknappt, was zu einem Preisanstieg führt. Im Rahmen des nationalen ‚Emissionshandelssystem‘, das für den Verkehrs- und Gebäu- desektor gilt, wurden die Preis für die Zertifikate bis Ende 2026 noch von der Bundesre- gierung festgelegt. Von welchen Summen reden wir hier? Kempff: Im Jahr 2025 sind es 55 Euro pro Tonne, im Jahr 2026 wird der Preis zwischen 55 und 65 Euro pro Tonne lie- gen. Ab 2027 soll sich der Preis dann erstmals durch Angebot und Nachfrage frei am Markt bilden. Alle Prognosen gehen von einem deutlichen Anstieg aus, wie hoch genau, bleibt abzuwarten. Die Unsicherhei- ten bei den Unternehmen sind

Die Energie- preise müssen runter, sonst ist Deutschland bald nicht mehr wettbewerbs- fähig.

Andreas Kempff

5,4 BILLIONEN EURO durch die aktuelle Energiewende- Politik verursachte Kosten QUELLE: DIHK

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IHK Magazin Rhein-Neckar 07 | 2025

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