01-2015 D

DAS BROT WILL VERDIENT SEIN

Ich mache mich auf zur grossen Bäckerei von Abé- ché (Tschad). Die Baguettes werden hier auf einem grossen, überdachten Vorplatz verkauft. Zuerst geht man beim Kassierer vorbei, der an einem al- ten Schreibtisch am Rand des Platzes sitzt. Er hän- digt den Kunden kleine Zettelchen aus, auf welchen in arabischen Zeichen jeweils das Datum und die Anzahl bezahlter Baguettes festgehalten ist. Mit diesem Schein geht man dann beim Bäcker vorbei. Dieser zieht den grossen Blechwagen aus dem Ofen und verteilt die frisch gebackenen Brote gegen die entsprechenden Zettel. Normalerweise geht dieser Einkauf ruhig vonstat- ten. Heute sehe ich aber viele Leute auf einmal bei der Bäckerei. Der Menschenknäuel rund um den Kassierer und seinen Tisch ist laut und bewegt sich hektisch. Ich wundere mich – da kommt mir in den Sinn, dass ja Ramadan ist. Alle wollen natürlich ge- rüstet sein, wenn bei Sonnenuntergang das Fasten gebrochen wird. Und so ist der Kassierer umringt von Erwachsenen und Kindern, die ihm alle gleich- zeitig ihre Geldnoten entgegenstrecken und ihr Zettelchen ergattern wollen. Man muss fleissig drängeln und seine Ellbogen benutzen, damit man überhaupt beachtet wird und eine Chance hat, be- dient zu werden. Ich stürze mich zwangsläufig ins Getümmel und tat- sächlich halte ich nach einer Weile meinen Brot-Zet- tel in den Händen. Nun also weiter zum Blechwagen. Hier wiederholt sich das Ganze – aber mit der zu- sätzlichen Herausforderung, dass die Bleche mit den Broten drauf frisch aus dem Ofen kommen und sehr heiss sind. Der arme Bäcker kann sich kaum noch bewegen, so dicht ist das Gedränge um ihn herum und so viele Zettel werden ihm vor die Nase gehal- ten. Er muss aufpassen, dass er sich nicht verbrennt, wenn er die Brote von den Blechen zieht. Schliess- lich nimmt er auch meinen Zettel entgegen … uff, geschafft – ich kann heute tatsächlich ein Baguette nach Hause bringen!

Andreas MEIER ist Mitarbeiter von ProRADJA` im Tschad.

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