P.M. Schneller Schlau

gramm nicht: nicht zuletzt, da er den Westen für verdorben und im Abstieg begriffen hält. So scheint seine vorgeb- liche Verehrung für Peter sich eher an dessen großem Namen, vielleicht auch an dessen militärischen Erfolgen zu orientieren als an der Politik des be- rühmten Herrschers. 2022, nach einem Besuch einer Ausstellung zum 350. Ge- burtstag Peters des Großen in Moskau, beschrieb der russische Präsident die einstigen Gebietsgewinne des Zaren im Ostseeraum als Rückeroberung russi- schen Landes. Peter der Große habe von Schweden »nichts genommen, er hat es zurückgeholt«. Das »Zurückholen und die Stär- kung« sei auch heute Aufgabe der Ver- antwortlichen in Russland, sagte der Kreml-Chef weiter, offenbar in direkter Anspielung auf seinen Angriffskrieg in der Ukraine. Äußerungen wie diese zei- gen einmal mehr: Zur Rechtfertigung und Glorifizierung seiner eigenen Poli- tik ist Wladimir Putin offenbar jeder Rückgriff auf die Geschichte recht.

allzu viel miteinander zu verbinden. Sicherlich: Für alle drei war ein starkes, geeintes russisches Imperium das Maß aller Dinge, die uneingeschränkte Auto- kratie die einzige mögliche Herrschafts- form für Russland. Sie begeisterten sich für alles Militärische, sahen eine schlag- kräftige Armee als wichtigstes Instru- ment ihrer Politik. Und schließlich hatte keiner von ihnen ein Interesse daran, die russische Bevölkerung oder auch nur Teile von ihr an der Gestaltung des Staates teilhaben zu lassen; emanzipa- torische Gedanken waren ihnen fremd. Nikolaus I. und Alexander III. sahen sich zudem vor allem als Kämpfer gegen Ideen, die aus dem Westen Europas stammen: Demokratie, Verfassung, Revolution. Sie propagierten einen russischen Sonderweg in die Zukunft – und taugen in dieser Hinsicht durchaus als historische Vorläufer Putins. Alexander habe etwa »eine Epoche nationaler Wiedergeburt« eingeleitet, verkündete der russische Präsident in einer Ansprache vor einigen Jahren. Peter der Große hingegen wollte sein Land so schnell wie möglich an westliche Standards anpassen – in Wirtschaft, Militär und Verwaltung, aber auch in Kultur, Wissenschaft und der Lebensweise der Oberschicht. Zu Wladimir Putin passt ein solches Pro-

Russisch unterrichtet. Und doch kann der Zar mit all seinen Bemühungen den Lauf der Zeit nicht aufhalten: Die revolutionäre Bewegung, wiewohl geschwächt, überlebt im Untergrund die massiven Repressionen, gewinnt unter seinem Nachfolger bald wieder an Kraft. Wichtiger noch: Im nach wie vor von der Landwirtschaft geprägten Rus- sischen Reich entstehen in diesen Jah- ren erstmals industrielle Zentren, etwa in den Hauptstädten Moskau und Sankt Petersburg – und damit eine Schicht von Industriearbeitern, deren Proteste und Forderungen die russische Geschichte der folgenden Jahrzehnte prägen werden, bis hin zu den Revolutionen des Jahres 1917, die die Zarenherrschaft endgültig hinwegfegen werden. Alexander III. jedoch, so lässt sich vermuten, ist mit seinem Lebenswerk zufrieden, ahnt nichts von diesem für seine Dynastie so verhängnisvollen Schicksal, als er 1894 mit nur 49 Jahren einem Nierenleiden erliegt. Drei Vorbilder Ein radikaler Reformer und zwei sture Bewahrer des Bestehenden: Inhaltlich scheint Putins erklärte Vorbilder nicht

Im Jahr 2000 waren in Moskau Steckpuppen beliebt, die Putin in direkter Nachfolge vieler Staatschefs zeigten – samt Stalin

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