GESCHICHTE INTERVIEW
Wann kamen die ersten Menschen nach Amerika ? Ü ber Tausende Jahre suchten Menschen Schutz an einem Felsunterstand im brasi- lianischen Santa Elina. Außer ihren Werkzeugen fanden Forschende dort auch die Skelette lange ausgestorbener Riesenfaultiere. Ein Team um Mírian Pacheco und Thaís Pansani untersuchte deren Knochen und stellte fest, dass manche von Menschenhand poliert und durchbohrt waren, möglicherweise um sie als Schmuck zu tragen. Allerdings sind die Funde rund 27 000 Jahre alt – und damit deutlich älter als das oft diskutierte Ankunftsdatum der Menschen in Amerika vor lediglich 15 000 Jahren.
Vier Fragen an die brasilianischen Paläoforscherinnen Mírian Pacheco und Thaís Pansani
Wie verändert das unser Verständnis von der Migration nach Amerika? Bislang wurde eine derart frühe Besiedlung des Doppelkontinents ja eher ausgeschlossen. Mírian Pacheco: Unsere Daten stehen im Widerspruch zu genetischen Studien, die behaupten, dass die Besiedlung Süd- amerikas nicht früher als vor 15 000 Jah- ren stattgefunden hätte. Unsere Ergeb- nisse sind jedoch recht eindeutige Zeugnisse für menschliches Verhalten und damit für die damalige menschliche Existenz in Amerika allgemein. Es gab auch bisher schon einige Hinweise in diese Richtung. Wir sehen unsere Re- sultate daher als weiteren Beleg dafür, dass moderne Menschen bereits vor 27 000 Jahren auf dem amerikanischen Kontinent lebten und Artefakte mit ab- strakten Bedeutungen für den persön- lichen Gebrauch herstellten. Und die Zahl solcher Belege nimmt weiterhin zu.
Markierungen, die durch Tiere ent- stehen – Insektenfraß, Nagetierspuren, Bisse von Fleischfressern, Trampelspu- ren oder Ähnliches –, oder von Abrieb- spuren, die daraus resultieren könnten, dass die Knochen einfach lange Zeit im Erdboden lagen. Aufgrund der Spuren kamen wir zu dem Schluss, dass mindes- tens drei der Knochenplatten von Menschen bearbeitet worden waren. Was ist denn so ungewöhnlich an bearbeiteten Knochen? Mírian Pacheco: Es ist weniger die Tat- sache, dass die Knochenplatten über- haupt von Menschen bearbeitet wurden, sondern vor allem der Zeitpunkt, zu dem das geschah. Unsere chemischen und morphologischen Untersuchungen zeigen, dass die Veränderungen an den Knochen entstanden, als sie noch nicht versteinert waren. Sie wurden also tat- sächlich in einem Zeitraum zwischen 27 000 und 25 000 Jahren vor unserer Zeit bearbeitet. Und das deutet darauf
Frau Pacheco, Frau Pansani, was genau kam im Felsunterstand von Santa Elina alles zutage? Das ist ja ein sehr ergiebiger Fundplatz. Thaís Pansani: Oh ja, erstmals bereits vor 40 Jahren haben Forschende unter der Leitung von Professor Águeda Vialou vom Pariser Nationalmuseum für Natur- geschichte Santa Elina untersucht. Sie fanden dort verschiedene Zeugnisse menschlicher Besiedlung in mehreren Schichten. Und das aus einem sehr lan- gen Zeitraum: Der Platz wurde von 27 000 Jahre vor unserer Zeit bis noch vor weniger als tausend Jahren genutzt. Unter den Funden waren Steinwerk- zeuge und Abschläge aus Sandstein, Hämatit und Silex, mehr als tausend Zeichnungen an den Wänden sowie Hin- weise auf von Menschen angelegte Feuerstellen aus der jüngeren Vergan- genheit. In den Schichten, die zwischen 27 000 und 25 000 Jahre alt sind, lagen auch Knochen des ausgestorbenen Riesenfaultiers und andere Tierreste. Sie haben sich auf die Hautknochen- platten der Faultiere konzentriert, eine Art evolutionäres Überbleibsel einer Panzerung beim Riesenfaul- tier. Warum glauben Sie, dass einige davon von Menschen verändert wurden? Thaís Pansani: Wir fanden Spuren, die durch das Einschneiden, Schaben und Polieren von Steinwerkzeugen ent- standen sind. Und nicht nur das: Die Knochenplatten wiesen auch Ge- brauchsspuren auf, zum Beispiel Abrieb, wie er durch das Tragen an einem Band oder einer Schnur entsteht. Diese Spu- ren unterscheiden sich deutlich von
Interview: Angelika Franz
hin, dass Menschen in Südamerika viel früher als bisher angenom- men zusammen mit der damals hier leben- den Megafauna exis- tierten. Unsere Bewei- se gewinnen noch an Stärke, weil wir drei unterschiedliche Arten von Datierung an ver- schiedenen archäolo- gischen Materialien aus derselben Schicht durchgeführt haben. Sie alle erzählen die- selbe Geschichte.
Illustration von der vermuteten Szenerie in Brasilien vor 27 000 Jahren: Ein Mensch verarbeitet Knochen eines Riesenfaultiers zu Schmuck
02/2024
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