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D ie Reaktionen wirken oft ver- zweifelt: Die Urlaubsinsel Bali etwa tackert ihren Gästen seit diesem Sommer eine Seite mit Benimmregeln in den Pass – gleich bei Ankunft am Flughafen. Die Besucher mögen sich bitte höflich verhalten, nach einem Picknick ihren Müll mitnehmen und religiöse Stätten respektieren, heißt es da. Das berühmte italienische Hafen- städtchen Portofino wiederum verbietet
der Stadt hemmungslos ausnutzen. 2021 begrenzte sie die Zahl der erlaubten Gäste deshalb bereits auf 20 Millionen pro Jahr. Immer noch eine gewaltige Menge: In den gesamten Niederlanden wohnen nur 17 Millionen Menschen. Beispiele wie diese zeigen: Weltweit kriselt es zwischen beliebten Reisezielen und den Gästen. Immer öfter protestie- ren Anwohner gegen den Besucheran- sturm, sei es in Barcelona oder Venedig,
weltweit knapp 700 Millionen Menschen pro Jahr auf Reisen, sind es heute bereits mehr als doppelt so viele: 1,5 Milliarden, die Hälfte davon in Europa. Viele Gründe haben zu diesem Boom beigetragen: So verdienen etwa heute auch Menschen in den Schwellenländern genug, um sich Urlaube in beliebten Reiseregionen leis- ten zu können. Verbilligte Flugpreise wiederum haben Wochenendreisen populär gemacht, und neue Buchungs- portale erlauben den Zugriff auf Hotel- zimmer und Ferienwohnungen mitten im Zentrum von Weltstädten. Und weil international auch die Zahl der Kreuz- fahrtschiffe steigt, werden immer mehr Küstenorte überrannt. Berühmtes Beispiel: Dubrovnik in Kroatien. 1,5 Mil- lionen Menschen besuchen die trutzig- mediterrane Mittelalterstadt pro Jahr, darunter viele Serienfans, schließlich wurden hier Szenen der Reihe »Game of Thrones« gedreht. Die Zahl der Besucher
auf Mallorca oder in Berlin. Sie ärgern sich über volle Strände und Gassen, erleben, wie ganze Stadtviertel von Vermietungs- plattformen wie Airbnb ge- kapert werden, und fordern mehr Raum für ihr Privatleben. Denn das geht in den Touristen- Hotspots zunehmend verloren: Im österreichischen Bilderbuch- dorf Hallstatt etwa werden selbst Trauerzüge zum Friedhof von Gästen gefilmt – und am Ende beklatscht. Das Phänomen Overtourism wird für immer mehr Regionen zum Problem: Es drohe eine Schieflage, warnt Tourismus- experte Harald Pechlaner von der Katholischen Universität
Vielerorts drängen sich Reisende schon am frühen Morgen, etwa hier am Kolosseum in Rom
Touristen seit Neuestem, an der maleri- schen Hafenpromenade auch nur stehen zu bleiben. So will der Bürgermeister blockierte Gehwege verhindern. Wer dennoch stoppt, muss bis zu 275 Euro Strafe zahlen. Und die niederländische Metropole Amsterdam geht mittlerweile rigoros gegen Partytouristen vor: Junge Briten, die im Netz nach Begriffen wie »Kneipentour Amsterdam« oder »billi- ges Hotel Amsterdam« suchen, werden mit einem Video konfrontiert. Es zeigt Reisende, die sich im Rausch daneben- benehmen und danach von der Polizei in Handschellen gelegt und hinter Gitter gebracht werden. Der Film endet mit dem Hinweis: Stay away – bleib weg! TOURISTEN KLATSCHEN SOGAR BEI TRAUERUMZÜGEN Eine Mahnung. Denn schon seit Jahren beschweren sich die Bewohner Amster- dams über grölende Spaßtouristen, die an Hauswände pinkeln, Prostituierte begaffen und die liberale Drogenpolitik
Eichstätt-Ingolstadt. Denn einerseits mache sich selbst in Gemeinden, die wirtschaftlich vom Tourismus profitie- ren, der Unmut über die Gäste breit. Denen begegnet man dort dann oft gleichgültig oder sogar offen ablehnend. »Andererseits sind auch die Touristen selbst unzufrieden: Sie haben vielleicht lange auf den Urlaub gespart, hatten sich auf schöne Erlebnisse oder besondere Begegnungen mit den Menschen vor Ort gefreut – und stehen stattdessen nur Schlange, um eine Attraktion zu sehen, ein Ausflugsboot zu mieten oder einen Tisch in einem überteuerten und wenig authentischen Restaurant zu ergattern.« Schlimmstenfalls verärgern besonders beliebte Regionen also zunächst ihre Be- wohner – und könnten danach auch noch die Besucher verlieren, so Pechlaner. Klar ist: Berühmte Ziele wie Paris, Rom oder Schloss Neuschwanstein locken seit Langem viele Besucher an. Doch deren Zahl hat sich in den letzten Jahren rasant gesteigert: Waren 2003
Auch Strapazen und Risiken schrecken viele Menschen nicht ab: In einer langen Kette erklimmen Wanderer den Gipfel der Zugspitze
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02/2024
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