P.M. Schneller Schlau

Reduzierte Wucht: An einem Testblock zeigen Forscher in Polen die Wirkung von Schüssen ohne Schutzkleidung (l. u.), mit gewöhnlicher Weste (l. o.) und mit einer zusätzlichen Materialschicht, in der sich eine reaktive Flüssigkeit beim Aufprall eines Projektils schlagartig verhärtet (r.)

Keramikplatten verformen die Pro- jektile zuerst und bremsen sie danach aus. Anders als man vermuten könnte, schlagen Kugeln aber nicht einfach durch ihr sprödes Material hindurch.

nannt, nutzt zumeist ultraleichte synthe- tische Fasergewebe aus Aramiden, bekannt unter dem Produktnamen Kev- lar; alternativ kommen Kunststoffe aus Polyethylen zur Anwendung. Aramide –

Noch bevor das Geschoss selbst auch nur wenige Millimeter in den Festkörper ein- dringt, breiten sich innerhalb Millionstel Sekunden erste Mikrorisse aus. »Die Stoßwelle bewegt sich eben zehnmal

Keramikplatten verformen und bremsen die Projektile

eine Abkürzung aus den Worten »Aroma- tische Polyamide« – sind besonders ro- bust, hitzebeständig und schon seit Jahrzehnten im Gebrauch. Die Kevlarfa- sern, entwickelt 1965 von der Firma Du- Pont, sind so eng gesponnen, dass sie langsamere Geschosse tatsächlich auf- fangen und ihre Energie absorbieren können. Kevlar ist leicht wie Seide und bei gleichem Gewicht zehnmal reißfester als Stahl. Dabei misst Reißfestigkeit die Kraft, die es braucht, um ein Material auseinander zu reißen. Seitdem blieb die Aramid-Entwicklung zwar mehr oder weniger stehen. Erst vor Kurzem aber

»Wir alle dachten, dass Kugeln einfach in die intakte Keramik eindringen«, be- richtet der Werkstoffexperte. Er hat den Prozess genau untersucht und weiß: In Wirklichkeit läuft das völlig anders ab. Nämlich so: Trifft das Geschoss auf die Keramikschicht, löst der Aufprall als erstes eine Stoßwelle in ihrem Innern aus. Die läuft dann blitzschnell durch die kaum Zentimeter dicke Platte, wird an der Rückwand reflektiert, und läuft wie- der nach vorne zum Einschlagpunkt – das Ganze mehrfach hin und her. Hinlaufende Wellen stauchen, zu- rücklaufende Wellen dehnen die Platten.

schneller als die Kugel«, erklärt Hier- maier. Danach zerbricht das spröde Ma- terial. Der gesamte Vorgang dauert nur Mikrosekunden. Was die Keramik letzt- lich zerstöre, sei gar nicht die Kugel oder die primäre stauchende Stoßwelle. Das bewirke erst die erste reflektierte Stoßwelle, die zum Auftreffpunkt zu- rückläuft. »Sie ist es, welche die Keramik dehnt und zerreißt.« LEICHT WIE SEIDE, REISSFESTER ALS STAHL Weiche kugelsichere Bekleidung, korrek- ter »beschusshemmende Westen« ge-

9

9/2025

Made with FlippingBook flipbook maker