P.M. Magazin

P . M . NEUGIERIG AUF MORGEN

Kam mit ihnen das Wasser auf die Erde? DUNKLE KOMETEN

Sie enträtseln die eisigen Geschosse HAGELJÄGER

Pharmakonzerne gefährden ihre Existenz URZEIT-KREBSE

TEIL 1: SOCIAL ENGINEERING TEIL 2: WIRTSCHAFTSKRIMINALITÄT TEIL 3: KRITISCHE INFRASTRUKTUR TEIL 1: TEIL 2 TEIL 3

NEUE SERIE : CYBER SECURITY

DIE HIRNHACKER SCAMS UND DEEPFAKES SCAMS

Wie CYBERKRIMINELLE unsere Psyche angreifen – und was uns vor ihnen schützt Wi CYBERKRIMINELLE P h

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EDITORIAL

Der schwächste Punkt sind wir

Liebe Leserinnen, liebe Leser, von allen Geschichten über Cyberkrimi- nalität ist mir eine besonders in Erinne- rung. Sie ereignete sich 2008 auf einem Parkplatz der mächtigen US-Heimat- schutzbehörde. Dort wurden an die Mit- arbeiter Gratis-USB-Sticks mit bunten Werbelogos verteilt. Die Mehrheit griff beherzt zu – schließlich gab’s was um- sonst. Schlimmer noch: An die 50 Pro- zent steckten die Sticks in ihre Dienst- rechner – worauf sie mit einem Trojaner infiziert wurden, über den sich allerlei Geheimnisse ausspionieren ließen. Tatsächlich handelte es sich bei dem Vorfall um einen Test, der die Mitarbeiter sensibilisieren sollte. Aber das Problem war erkannt: Dass der Mensch – trotz aller Technik, die er sich ausdenkt – deren größte Schwachstelle ist. Und das sogar bei jenen, die dafür bezahlt werden, misstrauisch zu sein. Siebzehn Jahre später wirkt diese Geschichte fast nostalgisch. Datentech- nik ist komplizierter und sicherer gewor- den. Andererseits belegen Studien, dass wir Menschen – sagen wir besser: User – immer unbedenklicher mit digitalen Daten umgehen, weil zusätzliche Sicher- heit oft Zeit und Nerven kostet. In dieser Ausgabe startet P.M. eine Serie über Cybersecurity. Sie beschreibt die Gefahren, erklärt, welche Waffen es gegen Cyberkriminelle gibt und woran Sicherheitsexperten gerade arbeiten.

Unsere Autorin Eva Wolfangel wurde für ihre Berichte zu dem Thema mehr- fach ausgezeichnet und ist deutsche Wissenschaftsjournalistin 2024. In der ersten Folge beschreibt sie »Social En- gineering«, bei dem Cyberkriminelle menschliche Schwachstellen ins Visier nehmen. Der Großteil aller Cyberangrif- fe basiert auf diesem Prinzip. Fatalerweise machen sich die »Hirn- hacker« dabei jene Technik zum Kompli- zen, die uns schützen sollte: künstliche Intelligenz. KI erstellt maßgeschneiderte Angriffe auf unsere Psyche. Deepfakes täuschen unsere Augen, geklonte Stim- men unser Gehör, KI-Phishing-Mails treffen unsere wunden Punkte. Auch gegen diese scheinbar über- mächtigen Angriffe entwickeln Forscher Gegenmaßnahmen. Es ist ein Wettkampf zwischen Angreifern und Verteidigern, der sich Runde um Runde fortsetzt. Am Ende bleibt die unbequeme Wahrheit: Der schwächste Punkt unserer digitalen Festung sind wir. Und die Erkenntnis: Der beste Schutz gegen Manipulation ist zu wissen, wie sie funktioniert.

Andreas Albes, Chefredakteur

Aufmerksam

Das Wappen der mächtigen US-Heimat- schutzbehörde. Auf dem Parkplatz wurden USB-Sticks mit Spy-Software verteilt

andreas albes

08/2025 P.M. 3

AUGUST 2025

NEUE SERIE: CYBER SECURITY

TITELTHEMA . GEFANGEN IN DER CYBER-FALLE »Social Engineering« nennt sich eine Technik, mit der Com- puter-Kriminelle auf unsere Psyche abzielen und Millionen erbeuten. Forscher analysieren die Tricks und erklären, welche Maßnahmen uns schützen können 20

38 Rätsel um die dunklen Kometen

82 Pfeilschwanzkrebse haben Millionen Jahre überlebt, weil sie ein besonderes Immunsystem besitzen – das wird ihnen jetzt zum Verhängnis

58 Bakterienkiller aus dem Labor

4 P.M. 08/2025

INHALT

ALPHA

8

DAS BESTE VON HEUTE UND MORGEN Neues aus den Laboren der Welt · Wissen in einer Minute · Faktencheck: Richtig oder falsch? · Psycho-Test: Wie tickt der Mensch?

TECHNIK & FORSCHUNG 20 DER PERFEKTE BETRUG

Oft unterschätzen wir dieses Wetterphänomen: Hagel. Forscher jagen den eisigen Körnern nach – und fliegen dafür in Unwetter hinein 30

Mit welchen Tricks Cyberkriminelle unsere Psyche zur Zielscheibe machen

30 AUF DER JAGD NACH DEM HAGEL

Warum die eisigen Körner noch Rätsel auf- geben – und wie Forscher sie lösen wollen

44 RETTET DIE ZECKEN!

Ein Wissenschaftler ruft in Japan das erste Schutzprogramm für die Blutsauger aus 58 KAMPF GEGEN RESISTENTE BAKTERIEN Synthetische Phagen, also maßgeschneiderte Viren, sollen die Medizin verbessern

VISIONEN & IDEEN 72 FLÜSSIGE SONNENWÄRME

In einer Spezialfabrik entsteht nachhaltiger Kraftstoff aus Sonnenwärme

66 DIE RECHTE DER WELLEN

Initiativen kämpfen dafür, dass ganze Lebens- räume Persönlichkeitsrechte bekommen

GRENZBEREICHE & GEHEIMNISSE

38 UNSICHTBARE WASSERTRÄGER Dunkle Kometen könnten das Geheimnis entschlüsseln, wie Leben auf die Erde kam 82 DAS BLUT DER PFEILSCHWANZKREBSE Wie die Forschung von Urzeit-Krebsen profi- tiert und damit die Art gefährdet

66 Die Revolution des Umweltrechts

RUBRIKEN

3 Editorial 6 Zitate 7 Zuschriften 52 Wie jetzt? Mehr Wissen mit »Schneller schlau« 56 Hereon Academy: Neutronenstrahlung 80 Neue Bücher 92 Nerd Alert: Vakuum 94 Rätsel 96 Vorschau/Impressum 98 P.M. Tierleben: Der Bombardierkäfer

72 In Jülich entsteht erstmals

44 Auch Parasiten sind wichtig für Öko- systeme. In Japan startet nun das erste Schutzprogramm für eine Zecke

industriell hergestellter Treib- stoff mithilfe von Sonnenwärme

Alle Coverthemen sind rot markiert.

08/2025 P.M. 5

ZITATE

» I sag gar nix. Dös wird man doch noch

georg christoph lichtenberg (1742–1799), deutscher Physiker Aus der Redaktion » Man sollte nie so viel zu tun haben, dass man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat. «

sagen dürfen. « karl valentin (1882–1948), deutscher Kabarettist Eingesandt von Johann Hollrotter, Plattling

Jeannie Ebner

Die Sehnsucht ist es, welche neue Welten erschafft. Aber die Ungeduld legt sie vorzeitig in Trümmer.

jeannie ebner (1918–2004), österreichische Schriftstellerin Eingesandt von Siegbert Staudter, Babenhausen

» Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen,

» Eine Unterschrift verrät immer den Charakter einer Person – und manchmal sogar ihren Namen. « evan esar (1899–1995),

» Der Optimist hat nicht weniger oft unrecht als der Pessimist, aber er lebt froher. « charlie rivel (1896–1983), spanischer Clown Eingesandt von G. Beer

wohin man käme, wenn man ginge. « kurt marti (1921–2017), Schweizer Pfarrer und Schriftsteller Aus der Redaktion

US-amerikanischer Humorist Eingesandt von Susanne Fischer

haben sie ein lieblingszitat? Schicken Sie es uns! Wir freuen uns über Ihre Einsendungen an pm-redaktion@verlagshaus.de. Bitte schreiben Sie dazu, von wem das Zitat stammt.

6 P.M. 08/2025

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deren möglicher Streik das gesamte Wirtschaftsleben lahmlegen könnte: die Werkfeuerwehren. Während Berufsfeuerwehrleute und freiwillige Feuerwehrleute per Gesetz nicht streiken dürfen, sind die Werkfeuer- wehrleute normale Ange- stellte der Unternehmen. Eine einsatzfähige Werk- feuerwehr ist Bestandteil der Betriebsgenehmigung von Chemiewerken, Kraft- werken, Flughäfen usw. Deshalb muss bei Ausfall der Werkfeuerwehr der Betrieb eingestellt werden! Helmuth Herterich, Sankt Augustin

achse auf eine Schiefe von 23,5° durch »einen giganti- schen Asteroideneinschlag« verursacht wurde. Um die Erdachse so von angenom- menen 0° zu verschieben, muss er irgendwo bei einem Durchmesser von >300 km

P.M. 6/2025 Großteleskope Hochachtung für Konstrukteure Ist schon lustig, wenn man bedenkt, dass selbst die größten Teleskope nicht einen »nm« weit »sehen« können! Wir übrigens auch nicht! Die folgende Rechen- arbeit, auch in unserem Gehirn, und die daraus abgeleiteten Hypothesen (die Abbildung in unserem Ge- hirn, eine leicht verzögerte 3-D-Simulation) sind sehr beeindruckend! Aber auch den Leistungen aller an der Entwicklung und dem Bau solcher Teleskope Beteiligten muss mit Hochachtung begegnet werden! Peter Krisch P.M. 6/2025 Nerd Alert Schiefe Erdachse Ich habe wie immer sehr interessiert P.M. und beson- ders Ihren Artikel »Durchge- fallen« gelesen. Dass nämlich die Verschiebung der Erd-

gewesen sein. Heinrich Winkler

P.M. 5/2025 Schifffahrt Kritische Kreuzfahrten

P.M. 6/2025 Mobilität Kurve statt Gleisbogen Sehr veranschaulicht ge- schrieben. Vor allem die Erklärung der neuen Be- zeichnungen wie Triebfahr- zeugführer (=Lokführer) führen zu einem besseren Verständnis. Dass es jetzt die neue Bezeichnung Kurven für Bögen gibt, hätten Sie besser hervorheben können. Ralf Talartsik

Ich bin kein Gegner von Schiffskreuzfahrten, aber wir sollten so weit ehrlich sein, dass es sich bei Kreuz- fahrten um eine der inten- sivsten Tourismus- und Konsumformen handelt. Damit untrennbar verbun- den sind auch ein inten- siver Ressourcenverbrauch und eine intensive Umwelt- belastung. Daran ändern auch die grünsten Werbe- prospekte der Kreuzfahrt- unternehmen rein gar nichts. Hermann Mück

Händler in Ihrer Nähe finden Sie unter: www.mykiosk.com

P.M. 5/2025 Arbeit In Kampflaune

Ab 10.7.2025 im App Store Das neue P.M. eMagazin

So ärgerlich der Streik der Piloten und Lokführer ist, es gibt eine viel kleinere Gruppe,

Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften zu kürzen.

Kommen Sie in Kontakt mit der Redaktion: P.M. Magazin, Virchowstaße 65b, 22767 Hamburg pm-redaktion@verlagshaus.de facebook.com/PMOnline

Alle Themen bis 2024 finden Sie in unseren P.M. Jahresregistern: www.pm-wissen.com/ p-m-jahresregister

www.pm-wissen.com

08/2025 P.M. 7

ALPHA

Herr der Ringe

NATURSCHAUSPIEL Mehr als zehn Tage hielt sich der chilenische Naturfotograf Francisco Negroni beim wohl gefährlichsten Vulkan seines Heimat- landes auf, dem Villarica, um dessen Aktivität einzufangen. So konnte er dieses faszinierende Schauspiel festhalten: Über dem Vulkan zeigt sich eine sogenannte Lenticulariswolke , die entsteht, wenn feuchte Luft von starkem Wind über den Gipfel gehoben wird und dabei kondensiert. Oft haben solche Wolken die Form von Linsen – daher der Name »lenticularis« (lateinisch für »linsen- förmig«). In diesem Fall legen sich gleich zwei Wol- ken um den Vulkangipfel und werden von dessen roter Glut angeleuchtet. Die Szene erinnert an den bedrohlich feurigen Schicksalsberg aus der Fantasy-Filmreihe »Der Herr der Ringe«.

8 P.M. 08/2025

FOTO: FRANCISCO NEGRONI/WILDLIFE PHOTOGRAPHER OF THE YEAR; WILDLIFE PHOTOGRAPHER OF THE YEAR IS DEVELOPED AND PRODUCED BY THE NATURAL HISTORY MUSEUM

08/2025 P.M. 9

ALPHA

ASTRO-TIMS KALENDER FÜR DEN AUGUST 2025

12.8.2025: Feurige Romantik

HIMMEL In der Nacht vom 12. auf den 13. August verwan- delt sich der Himmel in eine kosmische Show der Superlati- ve, wenn die Perseiden ihr jährliches Feuerwerk zünden. Bis zu 50 Sternschnuppen pro Stunde versprechen diese verlässlichen Himmelsboten – und das trotz eines störenden Vollmonds, der zu 84 Prozent beleuchtet sein wird. Doch keine Sorge: Die Perseiden sind berühmt für ihre außerge- wöhnliche Helligkeit und ihre spektakulären Leuchtspuren, die selbst das Mondlicht überstrahlen können. Diese kosmischen Geschosse sind die Hinterlassenschaften des Kometen Swift-Tuttle, der alle 133 Jahre durch unser Sonnensystem wandert und dabei eine Trümmerspur aus Staub und Gestein hinterlässt. Wenn die Erde durch diese

Wolke aus Weltraumpartikeln rast, verglühen sie in unserer Atmosphäre mit Geschwindigkeiten von bis zu 60 Kilome- tern pro Sekunde – ein wahrhaft explosives Finale für diese jahrhundertealte Reise! Der Radiant, also der scheinbare Ausgangspunkt der Meteore, liegt im Sternbild Perseus – daher der Name. Die beste Beobachtungszeit beginnt nach Mitternacht, wenn Perseus hoch am Himmel steht. Am besten sucht man sich einen möglichst dunklen Platz fernab der Lichtverschmutzung, lehnt sich zurück und lässt den Blick über den gesamten Himmel schweifen. Mit etwas Glück erwischt man einen der berühmten Perseiden-Feuer- bälle, die den Nachthimmel sekundenlang in grünlich- weißes Licht tauchen.

8.2025 Sonnen-Satelliten Zwei identische Satelliten erforschen in den Polarregionen, wie Sonnenwindpartikel ins Magnetfeld eindrin- gen – spannend für Polarlichtfans und wichtig für den Schutz vor Sonnenstürmen.

Februar 2026. Für Uranus und Neptun braucht es ein Teleskop, die anderen Himmelskörper zeigen sich dem bloßen Auge. 31.8.2025 Sonden-Schwung Europas Eismond- Sonde » Juice « nutzt das

Gravitationsfeld der Venus, um Schwung für ihre achtjährige Reise zum Jupiter zu sam- meln. Dieses Gravita- tionsmanöver wurde mit chirurgischer Präzision berechnet, um 2031 die Monde Ganymed, Europa und Kallisto zu erreichen.

28.8.2025 Planeten-Power Merkur, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun zeigen sich zur Morgendämmerung gleichzeitig. Eine seltene Angelegenheit: Die nächste Chance auf dieses Spektakel bietet sich erst wieder Ende

Noch mehr von Astro-Tim finden Sie auf YouTube oder unter www. tim-ruster.de

10 P.M. 08/2025

Geschwindigkeit (cm/s)

ORNITHOLOGIE Das rosafarbene Geflügel sieht harmlos aus, doch seine Jagdtechnik ist es nicht: Ein US-amerikanisches Biologenteam fand heraus, wie chilenische Flamingos Plankton und Krebse jagen. Eine Methode: todbringende Wasserstrudel. Um die Jagdtechnik zu entlarven, fertigten die Biologen mittels 3-D-Druck biomechanische Modelle der Schnäbel und Füße an, zudem filmten sie die im Zoo lebenden Flamingos mit Hochgeschwindigkeits- kameras. Mit ihren schwimmhautüberzogenen Füßen stampfen die Flamingos auf dem Boden und wirbeln so etwa kleine Krebse auf. Dann ziehen die Flamingos ihren Kopf abrupt an die Oberfläche – und erzeugen so Tornado-artige Strudel. In diesen Strudeln wirbeln die Beutetiere umher. Auch effektiv: Schnabelklappern erhöht die Beutequote um das Siebenfache. Eine weitere Fangmethode: den Schnabel parallel zum Boden durchs Wasser zu ziehen und so die Beutetiere aufzuscheuchen. Tödliche Unterwasser-Tornados

Das Netz im Ozean finden

MEERESSCHUTZ Verlieren Fischerei- schiffe Netze, Taue, Köderhaken oder Reusen, so wabern diese als Geister- netze durch das Meer und werden zur potenziell tödlichen Gefahr für Meeres- bewohner wie Schildkröten oder Del- fine. Sie aufzuspüren ist kompliziert – doch KI könnte dabei helfen, die Netze zu lokalisieren. Die Umweltschutzorganisation WWF hat das Online-Portal GhostNetZero.AI gelauncht, auf welchem Sonardaten hochgeladen werden können. Diese werden ohnehin etwa zur Sicherung der Schifffahrt erhoben. Die KI analysiert die Sonardaten und zeigt dann mögliche Geisternetze an. Experten prüfen diese später und laden sie in einer App hoch. Taucher können sich dann auf den Weg machen, um die gefährlichen Netze zu entfernen.

tornado- artige wirbel

wasser- umwälzung

Fließrichtung Wasserbewegung

Das Hochziehen des L-förmigen Schnabels erzeugt Tornado-artige Strudel (links, 2), wobei in Schnabelnähe Geschwindigkeiten (oben) von bis zu sieben Zentimetern pro Sekunde erreicht werden. Auch praktisch: Schnabel durchs Wasser ziehen (oben, 3)

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ALPHA

FERNERKUNDUNG Der neue Satellit »Biomass« kann nicht nur von oben auf Bäu- me draufschauen, um zu sagen, wo auf der Welt wie viel Wald steht. Dank eines bislang einzigartigen, spe- ziellen Radarsystems kann Biomass auch durch die Kro- nen in die Tiefe eines Waldes bis auf den Boden blicken, um die Menge der Biomasse zu bestimmen. Damit wollen Fachleute genauer abschät- zen, wie viel Kohlenstoff in den Wäldern gebunden ist – und wie viel Kohlenstoff durch Veränderungen frei oder zusätzlich gebunden wird. So lassen sich Klima- modelle präzisieren. Satellit für Biomasse

Muss ich den kennen?

CHRISTIAN FRERICHS, GARTENBAU- WISSENSCHAFTLER

für Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften 2025.

WAS UNTERSUCHTE ER? Für den Gemüse-Anbau braucht es Stickstoff – doch viele Stickstoffverbindungen können schädlich sein, wenn sie etwa durch Auswaschung in die Umwelt gelangen. Frerichs machte mehrere

WER IST DAS? Frerichs schrieb seine Doktor- arbeit an der Hochschule Osnabrück über die Dünge- optimierung beim Anbau von Gemüsekulturen. Dafür be- kam er den Promotionspreis

ZAHN DER VORFAHREN

Auch erste Fische vor 500 Millionen Jahren hatten zahnartige Hautstrukturen wie dieser Rochen. Die sensiblen Odontoden ähneln menschlichen Zähnen – Zahnschmerz könnte laut Paläontologen der Uni Chi- cago ein uraltes Sinnesmerkmal zum Überleben sein

12 P.M. 08/2025

Torus

Richtig oder falsch?

NEANDERTALER NUTZTEN SONNENSCHUTZ

Center for Organizational Dreaming zeigte: Besonders Arbeitslose träumen von der Arbeit. Für Schlafforscher nicht verwunderlich, denn im Schlaf werden Gedanken, Sorgen und Erlebnisse verar- beitet. Studien zufolge belastet Arbeits- losigkeit die Psyche – bis in den Schlaf. › RICHTIG Zumindest ein bisschen, fanden der Arerosolforscher Matthew Boyer und sein Team von der Uni Hel- sinki heraus. Denn Guano – die Aus- scheidung von Pinguinen und anderen Seevögeln – zerfällt zu Ammoniak. Das Gas verbindet sich mit Schwefelverbin- dungen aus dem Ozean und kurbelt die Bildung von Wolken an – welche die Erde PINGUINKOT BREMST DIE ERDERWÄRMUNG vor Sonneneinstrahlung schützt. Die Forschenden maßen die Ammoniak- Konzentration nahe einer Kolonie von rund 60 000 Adelie-Pinguinen auf der Antarktischen Halbinsel. Wehte der Wind aus Richtung der Kolonie, war auch in acht Kilometer Entfernung die Konzentration mehr als 1000-mal höher als die üblichen Durchschnittswerte.

› FALSCH Ein Team der University of Michigan untersuchte das Verhalten von Homo sapiens und Neandertalern beim Laschamp-Ereignis – der Umkehr des Erdmagnetfeldes vor rund 41 000 Jah- ren, in dessen Folge mehr Sonnenstrah- lung die Erde erreichte. Anders als Neandertaler stellten die Homo sapiens Kleidung her und rieben sich mögli- cherweise mit Ockererde ein. Beides schützt vor schädlicher Sonnenstrah- lung – und war den Forschern zufolge ein möglicher Überlebensvorteil gegen- über den Neandertalern. Diese starben rund 1000 Jahre später aus.

K3

CY3

ASTROPHYSIK In welcher Form strahlen Schwarze Löcher Energie ab, wenn sie kollidieren? Für die Astro- physik ist das zum Verständ- nis der Vorgänge im Welt- raum eine wichtige Frage. Physiker der Humboldt-Uni- versität in Berlin haben dies nun erstmals detailliert berechnet – wobei sie Simulationstechniken aus der Quantenfeldtheorie anwandten. Demnach führen die Streuwinkel der abgestrahl- ten Gravitationswellen zu Strukturen, die im Detail an Donuts erinnern, die großräumig aber auch komplexere Formen wie sogenannte Calabi-Yau-Räu- me bilden – sechsdimensio- nale Strukturen, die man zuvor vor allem aus der String-Theorie kannte. Gravitations- wellen: Donuts im All

ARBEITSLOSE TRÄUMEN AM WENIGSTEN VON DER ARBEIT

› FALSCH Tagsüber Meetings, Calls – und nachts geht es in den Träumen wei- ter. Man mag meinen, dass arbeitende Menschen daher häufiger in ihren Träu- men von der Arbeit heimgesucht werden als arbeitslose Menschen. Doch eine Auswertung von 6478 Berichten auf der Plattform Reddit durch Forschende des

Basilikum hilft es, bestimmte mikrobielle Prozesse in der Topferde zu fördern. Dies kann etwa durch das Ein- mischen von reifem Kompost erreicht werden. WOZU IST DAS GUT? So kann der Anbau nach- haltiger gemacht werden – und das lässt sich möglicher- weise auch auf andere G e müsepflanzen üb ertragen.

Jahre hintereinander Feld- versuche mit Spinat und im Gewächshaus kultiviertem Topfbasilikum, um Stickstoff- verluste zu minimieren. WAS FAND ER HERAUS? Für Spinat sollte etwa die Düngung auf drei Gaben aufgeteilt werden, um im Falle einer frühzeitigen Ernte auf die letzte Stickstoffgabe verzichten zu können. Beim

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ALPHA

FOLGE 118: A-84 in einer Minute WISSEN

Was man sehen sollte.................................................................................. 6,5 Millionen Wie lautet meine IP?..................................................................................... 3,5 Millionen Eine Drehung um die Längsachse machen ......................................... 3,5 Millionen Wie lange hat der nächste Lebensmittelladen geöffnet?.............. 3,2 Millionen Wann ist Ostern?............................................................................................ 2,3 Millionen Was ist?.............................................................................................................. 2,0 Millionen Wann ist Muttertag?..................................................................................... 2,0 Millionen FRAGEN AN GOOGLE WELTWEIT 2024, SUCHANFRAGEN/MONAT INTERNET Was Menschen Google fragen, verrät viel über ihre Prob- leme, ihr Begehren und das Weltgeschehen. Besonders eine Frage beschäftigte die Menschheit: gute Filme finden. Auch beliebt, aber mit 1,2 Millionen Suchanfragen weiter hinten im Ranking: Wo bin ich? Statistik des Monats

DAS IST DOCH EINE FRANZÖSISCHE AUTOBAHN…

Ganz kalt. Die Autobahn schreibt sich ohne Bindestrich. A-84 würde zudem in Frankreich nicht lange

überleben – denn er ist ein Eisberg, der sich am 13. Januar vom antarktischen Schelfeis löste …

… UND SICH AUF DIE REISE MACHTE Ja, das Spannendste aber ist,

Gold aus Blei

was sich unter A-84 verbarg: ein riesiges, jahrhundertelang vom

Eis verborgenes Stück Meeresboden – mit 510 Quadratkilometern ungefähr so groß wie Chicago. Zufälligerweise schipperte gerade in der Nähe ein Schiff mit Forschern an Bord entlang …

KERNPHYSIK Der ewige Traum, aus Blei Gold zu machen, ist wahr geworden: Am Schweizer Kernforschungszentrum CERN haben Forscher Blei-Atomkerne fast mit Lichtgeschwindigkeit miteinander kollidieren lassen. Die Bleikerne verloren dadurch einige Protonen (Blei hat 82 Pro- tonen), sodass daraus Gold wurde (79 Protonen). Das Gold existierte allerdings nur für Sekundenbruchteile . Auch hat der Teilchenbeschleuniger in drei Jahren nur 86 Milliarden Goldkerne hergestellt. Klingt nach viel, es braucht aber schon für einen kleinen Ring billionenfach mehr. Das Kurzzeitgold war nur der Nebeneffekt eines Experiments zur Herstellung eines Quark-Gluonen-Plasmas – einer Materieform, wie sie kurz nach dem Urknall geherrscht haben muss.

… UND DIE JUBILIERTEN VERMUTLICH Na klar, so ein eisiges Sahne-

häubchen lässt die Forscherseele nicht kalt. Sie schickten erstmals

ein ferngesteuertes Unterwasserfahr- zeug hinab. Dabei stießen sie auf Korallen, Eisfische und Seespinnen, kurzum, ziemlich viel Flora und Fauna für eine unwirtliche Gegend. Denn eigentlich sinken die Nährstoffe von den oberen Wasserschichten nach unten – das ist bei rund 150 Meter dickem Eis unmöglich.

Im Inneren des Alice-Detektors: Hier wurde das Gold gefunden

UND EISDIELEN GIBT ES DA UNTEN JA AUCH NICHT

Haha, »eine Kugel Würmer in der Waffel«, die Seespinne würde sich freuen. Vermutlich schwemmten

Meeresströmungen die Nährstoffe unter das Eis – ob das seltene Ökosystem das Wegschwemmen des Eises überlebt, ist allerdings ungewiss, denn Tiefseebewoh- ner lieben konstante Bedingungen.

14 P.M. 08/2025

WAS BIN ICH?

Für faule Köpfe

DEUTSCHES MUSEUM Es mag täuschen, aber ein goldener Kochtopf bin ich nicht. Mein Job: Rechnen, denn ich bin der edlere Vorgänger eines Taschenrech- ners. Mein Baujahr: 1792, doch meine Geschichte beginnt früher. Schon im 17. Jahrhundert wurmte es den Mathematiker Leibniz, die Grundrechenarten im Kopf bewältigen zu müssen. Er entwickelte das Prinzip der Staffelwalze – eines Zahnrads mit unterschiedlich langen Zähnen. Beim Drehen wird ein kleines Zahnrad angetrieben, das sich je nach Eingriffspunkt um null bis neun Positionen weiterdreht. Allerdings fehlte es Leibniz am technischen Feingefühl – seine Staffelwalze funktionierte nur in der Theorie. Die Uhrmacher Philipp Matthäus Hahn und sein Schwager Johann Helfrich Müller dagegen waren in ihrem Metier – und entwickelten: mich, eine Rechenmaschine. Mit meinen Kurbeln, Zählwerken, Ziffernscheiben löste ich noch Jahrzehnte später Begierde aus: Eines von fünf noch weltweit existierenden Exemplaren wurde in den 1990er-Jahren im Auktionshaus Christie’s in London angeboten. Die Bieter lieferten sich einen Wettstreit – den der Schweizer Uhrenhändler Edgar Mannheimer für sich entschied. Er war bereit, 19,2 Millionen Mark für mich zu zahlen.

1 cm

Diese Rubrik ist eine Kooperation mit dem Deutschen Museum. Mehr historische Gegenstände gibt es im Buch »Die Welt der Technik in 100 Objekten« von Wolfgang M. Heckel (Hg. )

Licht des Lebens PHYSIK Dass Lebewesen eine Aura haben, klingt ein wenig esoterisch angehaucht. Doch das Team um Daniel Oblak von der University of Calgary bewies dieses Leuchten nun erstmals bei einem ganzen Lebewesen statt nur wie zuvor bei einzelnen Zellen und Körperteilen. Dafür verwendeten die Forschenden EMCCD-Kameras, deren Sensoren extrem lichtempfindlich sind. Vier narkotisierte Mäuse wurden in eine dunkle Box gesetzt und später eingeschläfert. Die Kamera zeichnete geringe Biophoto- nenmengen – UPE – auf. Diese entstehen als Nebenprodukt beim Zellstoffwechsel. Nach dem Tod der Mäuse endete die Aktivität der Zellen – und die Lichtsignale erloschen.

M1

M2

M3

M4

lebend

2000

1500

1000

tot

500

Ultraschwache Photonenemissionen (UPE)

08/2025 P.M. 15

ALPHA

P.M. stellt Experimente der Psychologie vor. Bevor Sie die Lösung lesen: Überlegen Sie selbst – und testen Sie Ihren Menschenverstand Wie tickt der Mensch? FOLGE 95 Sind wir gegen Abtreibung, sobald wir selbst Kinder haben?

Vor allem in den USA ist das Thema Abtreibung extrem umstritten – ein gesellschaftlicher Zankapfel, der nicht selten hitzige Debatten auslöst und sogar tiefe Gräben zwischen Menschen aufreißt. Politische und religiöse Überzeu- gungen spielen bei der Einstellung zur Abtreibung eine wichtige Rolle. Doch kann es sein, dass wir unsere Einstellung zur Abtreibung intuitiv genau dann ändern, wenn wir selbst Eltern geworden sind?

Finden Sie die richtige Antwort: A Ja, wir rechtfertigen damit unser eigenes »Ja« zur Elternschaft und betrachten Abtreibung aus einer anderen Perspektive. B Nein, ob man Kinder hat oder nicht, das spielt dabei keine messbare Rolle. Es geht vielmehr um tief verankerte moralische Überzeugungen. C Das funktioniert – und zwar besonders gut bei Angehörigen einer christlichen Kirche.

Rasenmäher- Poesie

LITERATUR Die Literaturwissenschaft- lerin Francesca Gardner untersuchte ein bisher übersehenes Mini-Genre, die Lyrik über Rasenmäher. So dichtete schon 1651 Andrew Marvell über Rasenmäher – ihren Höhepunkt hatte das Reimen mit Rasenmähern jedoch im späten 20. Jahr- hundert. Verwunderlich ist die Sujetwahl nicht: Immerhin ist der akkurat getrimm- te englische Rasen legendär.

DIE LÖSUNG Eine Studie der University of Southern California hat jetzt gezeigt, dass junge Menschen tatsächlich stärker gegen Abtreibung sind, nachdem sie Kinder bekommen haben. Der Effekt fällt bei praktizierenden Christinnen und Christen besonders stark aus. Antwort C ist also korrekt, ebenso wie A. Einer Studie der Universität Bremen zufolge sind die Gründe, sich für eine Abtreibung zu entscheiden, vielfältig – und einschneidende biografische Lebensereignisse haben oft einen großen Einfluss auf diese Entscheidung.

Mittelalterliche Grafitti

KULTUR Auf dem Jerusalemer Berg Zion soll Jesus das letzte Abendmahl gefeiert haben. Kreuzritter errichteten dort später den Abendmahlsaal, der zum beliebten Pilgerziel wurde – und manch ein Pilger verewigte sich an den Wänden. Ein internationales Forschungsteam machte nun diese Inschriften mit Multispektralfotografie und Reflectance Transformation Imaging sichtbar. Bei Letzteren werden die Inschriften mit Blitzlicht aus verschiedenen Perspektiven fotografiert und zusammengesetzt. Zu sehen sind etwa ein österreichisches Familienwappen und ein Skorpion (rechts), der auf die spätere Nutzung des Saals als Moschee verweist.

16 P.M. 08/2025

DIE GEHEIMNISSE DER LANGLEBIGKEIT

Wie führt man ein langes und gesundes Leben? Weisheiten der Jahrhunderte kombiniert mit den Erkenntnissen der modernsten Forschung.

288 SEITEN, CA. 200 BILDER ISBN 978-3-98701-039-2 €(D) 29,99 A. 200 BILDER 288 SEITEN, CA 701-039-2 ISBN 978-3-987

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ALPHA

AUS DEM LABOR

Glasfaser ist da – doch künstliche Intelligenz verlangt noch mehr Tempo. Forscher rüsten die Lichtleitungen für die Zukunft

E twas Unfassbares passiert gerade in Deutschland: Glasfaserkabel werden verlegt. Flächen- deckend! Endlich. Lange haben wir in der digitalen Steinzeit ge- lebt, während Südkorea längst Videokonferenzen in Lichtge- schwindigkeit abhielt. Aber jetzt geht’s voran. Doch kaum ist das Glasfaser- netz in Sicht, rollt schon die nächs- te Datenlawine auf uns zu – ange- trieben von künstlicher Intelligenz. Chatbots, Echtzeitübersetzungen, selbstfahrende Autos, virtuelle Welten – all das verlangt mehr als nur schnelles Internet. Es verlangt: Lichtgeschwindig- keit in XXL. Glasfaserkabel funktionieren im Prinzip wie ein extrem lang gezogenes Morsegerät: Wer am einen Ende mit Lichtsignalen blinkt, kann am anderen Ende Nachrichten empfangen – nur eben nicht mit Taschenlampen, sondern mit Lasern. Der Trick dabei: Die Lichtimpul- se rasen durch den Glaskern des Kabels, der von einer Hülle umgeben ist, die das Licht immer wieder zurück in die Bahn wirft. So verlieren die Signale kaum an Tempo oder Kraft – auch nicht über rund zwei Dutzend Kilometer hinweg. Und weil ein einzelner Laser ein biss- chen einsam wäre, funken moderne Glasfasern gleich auf mehreren Fre- quenzen – also mit Licht in verschiede- nen Farben – gleichzeitig durch densel- ben Draht. Das spart Platz und steigert die Datenmenge. Doch hier ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Mehr Farbe geht nicht. Mehr Power muss her.

Dafür braucht man neue Signalverstär- ker – quasi Super-Megafone für Licht –, die nicht nur einen, sondern viele Datenkanäle gleichzeitig verstärken können. Die IOF-Forscher haben einen Prototypen entwickelt, der mit bis zu zwölf Kanälen umgehen kann. Was heißt: Luft nach oben ist noch da. Zweiter Trick: Die Datenströ- me noch feiner aufsplitten. Dazu braucht es ein besonders empfind- liches optisches Gitter, das Laserlicht in noch mehr Frequenzen zerlegt. Stand der Technik war bislang eine Auf- lösung von 100 Gigahertz. Die Jenaer Tüftler haben sie auf 25 GHz gedrückt – viermal mehr Frequenzen, viermal mehr Daten. Selbst das schnellste Netz nützt nichts, wenn die Vermittlung lahmt. Frü- her brauchte man dafür Kisten voller Technik. Heute geht’s auch kompakter: mit LCoS-Spiegeln (Liquid Crystal on Si- licon). Die neuen Modelle können gleich- zeitig acht Eingänge mit 16 Ausgängen verbinden – das entspricht etwa dem Sprung von der Telefon-Handvermitt- lung zur Tonwahl. Und das Ganze nennt sich WESORAM – klingt sperrig, bedeutet aber: weniger Technik, mehr Tempo. Dr. Steffen Trautmann vom IOF ist überzeugt: »Wir haben eine Technologie geschaffen, die nicht nur schneller und günstiger ist – sie verschafft Europa auch einen echten Vorsprung.«

Oben: Ein Kabel, in dem 16 Glasfasern kombiniert sind. Künftig versieben- facht sich die Kapazität pro Faser. Links: der Flüssig- kristallspiegel, der die Frequenzen aufsplittet

Am Fraunhofer-Institut für Ange- wandte Optik und Feinmechanik (IOF) in Jena wird daher an der nächsten Genera- tion gearbeitet: Multikernfasern. Statt nur eines Glasstrangs enthalten sie gleich sieben – in einem einzigen Kabel. Das er- höht die Datenrate auf einen Schlag um den Faktor sieben. Und das Kabel ist trotzdem kaum dicker als ein normales. Der Haken? Wenn man sieben Daten- ströme gleichzeitig durchs Kabel jagt, dürfen die sich nicht gegenseitig stören.

Tech-Journalist Karl-Gerhard Haas erklärt jeden Monat die innovative Technik hinter einem Produkt.

18 P.M. 08/2025

Die spannendsten Schlüsselthemen unserer Zeit

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Spannend, informativ und zukunftsweisend: Universum 121 bietet packende Reportagen aus Forschung, Technik und Erlebniswelten sowie Einblicke in aktuelle und kommende Ent- wicklungen – von Raumfahrt bis Klimaschutz. Reich illustriert für den perfekten Überblick.

320 Seiten · ca. 350 Abb. ISBN 978-3-98702-122-0 €(D) 34,99

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1. Social Engineering 2. Wirtschaftskriminalität 3. Kritische Infrastruktur

NEUE SERIE: CYBER SECURITY

20 P.M. 08/2025

TECHNIK | IT-SICHERHEIT

Cyberkriminelle sind mehr als nur Hacker – sie zielen auf unsere Psyche. Forscher analysieren Fälle und entwickeln Technologien, die uns vor ihnen schützen

TEXT: EVA WOLFANGEL

08/2025 P.M. 21

as Telefon klingelt an einem verregneten Märztag. Die Stimme am anderen Ende klingt kühl und professionell: »Wo sind Sie gerade?« »In einem Großraumbüro«, antworte ich. »Verlassen Sie sofort den Raum. Suchen Sie ei- nen Konferenzraum, wo niemand mithören kann.« Schon diese ersten Sekunden verraten mir: Hier bahnt sich Schlimmes an. Der Mann am Apparat nennt sich James Martin, Europol-Beamter. Sofort haut er mir die ganze Bü- rokratie um die Ohren. »Badge-Nummer: 734502.« Er ermittle in »Fall 237S24«. Gegen mich. Ein Auto sei gefunden worden, verbeult und voller Blutspu- ren, gemietet auf meinen Namen. Nachforschun- gen hätten ergeben, dass ich mit Drogen handle. Außerdem Geldwäsche betreibe. In wenigen Stun- den werde ein Sonderkommando vor meiner Tür stehen. Und mein Geld: gepfändet. D »Bitte glauben Sie mir!«, stammle ich. »Ich war das nicht!« Was der Anrufer nicht ahnt: Ich weiß genau, dass er lügt. Seit Jahren beschäftige ich mich beruflich mit Cybersecurity. Meine Telefonnummer steht ab- sichtlich öffentlich im Netz – ein Honigtopf für Kri- minelle. Ein »Honeypot«, wie Sicherheitsforscher solche Fallen nennen. Denn mich fasziniert die Frage: Warum sind diese Betrüger so erfolgreich? Die Zahlen sprechen für sich: 6656 gemeldete Fälle allein 2024. Tausende Menschen fallen auf genau solche Anrufe rein. E ine Stunde lang führt mich der falsche Euro- pol-Agent durch sein perfides Spiel. Zusam- men mit seinem Kollegen – »Senior Investi- gator Mark Silver« – inszeniert er das klassische »Good Cop, Bad Cop«-Theater. Die Geschichte ist in sich schlüssig, die Lösung bestechend einfach: Mein Geld muss gerettet werden, bevor die korrup- te Bank es beschlagnahmt. Transfer auf ein »siche- res Europol-Konto« – nur so kann ich meine Un- schuld beweisen. »Installieren Sie Teamviewer«, sagt Martin. »Wir helfen Ihnen beim Transfer.« Als ich vorgebe, dass mein Computer Warn- meldungen ausspuckt, sind sie darauf vorbereitet. Mit bewundernswertem Eifer versuchen sie mir zu

120 Milliarden Euro So groß war der wirtschaftliche Scha- den durch Cyber- kriminalität 2024 in Deutschland – eine Steigerung um 30 Prozent seit 2021

Sicherheitsforscherin und Psychologin Christina Lekati: Sie analysiert die Strate- gien von Scammern und wie Social Engi- neering funktioniert

22 P.M. 08/2025

TECHNIK | IT-SICHERHEIT

Strategie eines Social Engineering-Angriffs DRUCK UND VERTRAUEN Social Engineering funktioniert in zwei Phasen. In der ersten geht es darum, das Opfer genau kennenzulernen, um eine überzeugende Story zu entwickeln, die entweder Vertrauen und/oder Angst hervorruft. In Phase zwei der Ausführung, spielt Zeitdruck eine große Rolle, weil er uns unvorsichtig macht.

PHASE 1: PLANUNG & VORBEREITUNG

informationsbeschaffung (Erkundung/Ausspähen)

auswahl möglicher opfer

vorwand entwickeln (Legende oder Deckgeschichte)

PHASE 2: DURCHFÜHRUNG

zielperson ansprechen & vertrauen aufbauen

erwünschtes verhalten auslösen (Ausnutzung von Vertrauen & Manipulation)

ziel erreichen & verschwinden

helfen, technische Hürden zu überwinden. Sie denken sogar an Ausreden für meinen Mann: »Sa- gen Sie ihm, das Kind hat etwas am Computer verstellt.« Das Wichtigste: absolute Geheimhaltung. »Sie dürfen mit niemandem reden!«, herrscht Martin mich an. »Wir wissen nicht, wer in Ihrem Umfeld der Täter ist.« Es ist die perfekte Falle. Ich verstehe, warum so viele Menschen darauf hereinfallen. Was Martin hier praktiziert, nennt die IT- Sicherheit »Social Engineering« – die Kunst der sozialen Manipulation. Ein Trugschluss wäre es zu glauben, Cyberangriffe seien rein technische An- gelegenheiten. Die Taten von Hackern. Die Realität ist weitaus brutaler: Die meisten Betrugsfälle be- ginnen mit der freiwilligen Mithilfe der Opfer. Ein Klick auf den falschen Link, Zugangsdaten auf

ER ERMITTLE IN » FALL 237S24 « GEGEN MICH

08/2025 P.M. 23

Deepfake: So funktio- niert die Gesichts- analyse – hier von Indiens Premierminis- ter Narendra Modi –, um einen Avatar zu erstellen

6656 GEMELDETE FÄLLE ALLEIN 2024

Die Erfolgsquote solcher Betrüger ist erschre- ckend. Die Polizeistatistik des vergangenen Jahres offenbart das ganze Ausmaß: Eine Potsdamer Se- niorin überwies 220 000 Euro, nachdem Anrufer behaupteten, ihr Sohn habe einen tödlichen Unfall verursacht und benötige Kaution. Ein Rentner aus Halle verlor 230 000 Euro bei einer ähnlichen Masche. Eine 85-jährige Dresdnerin übergab nach einem Schockanruf 11 000 Euro an die Täter. »Mit der richtigen Geschichte im richtigen Moment kann im Grunde jede und jeder Opfer ei- ner solchen Betrugsmasche werden«, warnt Celine Sturm vom Weißen Ring. Eine Erkenntnis, die nachdenklich stimmt. Miriam Peters (Name geändert) ist der Beweis dafür, dass Bildung nicht vor Betrug schützt. Mit- te 30, Professorin für Internationales Management, gewohnt, komplexe Zusammenhänge kritisch zu hinterfragen. Trotzdem fällt sie auf dieselbe Ma- sche herein. »Ich habe zwei Tage in deren Realität gelebt«, sagt sie rückblickend. Es fällt ihr sichtlich schwer, ihre Geschichte zu erzählen. Selbst Freunde reagierten ungläubig: Eine

gefälschten Websites, ein vermeintlich harmloses Dokument als E-Mail-Anhang – und schon ist es geschehen. »Nicht der Computer ist das Problem, sondern der Mensch«, lautet das ernüchternde Fazit der Sicherheitsforschung. Unsere Psyche wird zur Schwachstelle. Und genau das machen sich die An- greifer zunutze. Viele sind psychologisch geschult oder arbeiten mit ausgefeilten »Playbooks« – Dreh- büchern für den perfekten Betrug. Diese »Hirn- hacker« wissen haargenau, an welchen Hebeln sie ansetzen müssen. AUSDAUERND UND DURCHTRIEBEN Martin und Silver sind Meister ihres Fachs. Auf jede meiner Fragen haben sie eine Antwort parat. Sie sind ausdauernd, kreativ, durchtrieben. Erst nach über einer Stunde und mehreren Rückrufen kapi- tulieren sie. Offenbar haben sie begriffen, dass ich kein lohnendes Ziel bin. Silvers letzter Versuch: wü- tende Drohungen. Er werde mein Konto sperren, meinen Ausweis annullieren, ich könne nicht mehr reisen und würde verhaftet.

49 Prozent aller Social Enginee- ring-Angriffe sind Phishing, 39 Prozent Scamming, 10 Pro- zent Kompromittie- rung von beruflichen E-Mail-Adressen und zwei Prozent Erpressung

24 P.M. 08/2025

TECHNIK | IT-SICHERHEIT

Frau wie sie würde doch nie auf einen so plumpen Be- trug hereinfallen! Aber die Umstände passten perfekt. Als die falschen Europol-Agenten anriefen, be- fand sich Peters im Ausland. Die gleiche Geschich- te – gestohlene Identität, blutiges Auto, Drogenhan- del. Doch für Peters ergibt alles einen Sinn: »Ich weiß, dass ich durch meine politisch sensitive For- schung gefährdet bin.« Identitätsdiebstahl über- rascht sie nicht. Was sie schockiert: die Aussicht, ohne gültigen Ausweis und Kontozugang im Ausland festzusitzen, und das ganz allein. »Die kochen einen so richtig hoch«, erinnert sie sich, »ich habe zwei Tage in de- ren Realität gelebt.« Peters ist vorsichtig. Sie googelt parallel nach Warnungen von Europol oder BKA – findet nichts. Sie überprüft die Telefonnummer der Anrufer – sie ist wirklich von Europol. Niemand überweist leicht- fertig Geld an Unbekannte. Aber die Täter haben vorgesorgt. Zwei Tage lang arbeiten die Betrüger systema- tisch daran, Peters’ Ersparnisse ins Ausland zu schleusen. Stundenlange Telefonate, WhatsApp- Chats, ständige Betreuung. Sie installiert sogar selbst das Überwachungsprogramm »Anydesk« auf ihrem Smartphone – eigentlich ein harmloses Wartungstool für IT-Support. Die Täter sind mehr als professionell: Sie beru- higen, plaudern über ihr Leben, bauen Vertrauen

OPFER

SCAMMER

Wo sind Sie gerade?

In einem Großraumbüro.

Verlassen Sie sofort den Raum. Suchen Sie einen Konferenzraum, wo niemand mithören kann.

Wie vorsichtig gehen wir mit digitalen Daten um? ZU KOMPLIZIERT Dass die Deutschen

Anteil der Befragten, die folgenden Aus- sagen zum Schutz der eigenen Daten im Internet zustimmen (in %) 2018 2020 2022 2024 immer unbedenklicher mit digitalen Daten umgehen, belegen viele Zahlen: Über die Hälfte empfindet Datenschutz- erklärungen als zu kompliziert, 64,5 Pro- zent lesen Datenschutzrichtlinien selten oder nie, und 37,5 Prozent akzeptieren meist alle Cookies, ohne deren Inhalt zu prüfen.

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Mache mir Sorgen über Missbrauch meiner Daten

Sensible Daten online speichern ist mir zu unsicher

Schütze meine Daten aktiv

Bin gut geschützt gegen Viren und Datenmissbrauch

Basis: 2000–6000 Befragte (18–64 Jahre) in Deutschland je Umfragewelle; Mehrfachantworten möglich

Quelle: Statista Consumer Insights

08/2025 P.M. 25

OPFER

SCAMMER

Voice Cloning: Neuro- nale Netzwerke und Deep-Learning-Algo- rithmen bilden Stimm-Merkmale wie Tonfall, Pausen, Akzent und Intonation nach

Bitte glauben Sie mir! Ich war das nicht!

auf. Deutschland sei wegen des Identitätsdieb- stahls blockiert, erklären sie, deshalb die Koopera- tion mit Singapur. Logisch, schlüssig, beruhigend. » WIR HABEN KEINE ZEIT « Über Anydesk dirigieren die Betrüger Peters durch den perfekten Raubzug: Erst 7000 Euro in 1000- Euro-Etappen via »Wise« (ein Dienst für Geldtrans- fers) nach Singapur. Als die Überweisungen lang- samer werden – vermutlich greifen KI-Schutz- mechanismen –, wechseln sie die Strategie: »Wir haben keine Zeit!« Über die Krypto-Plattform »Bit- panda« verschwinden weitere 19000 Euro in Se- kunden als Bitcoin. Zwölf Einzelschritte braucht es, bis Peters ihr Tagesgeldkonto aufgelöst hat. Erst dann greift der einzige Sicherheitsmechanismus: Die Bank ruft an. Doch die Täter haben vorgesorgt – Peters glaubt, die Bank arbeite gegen sie. »Alles in Ordnung«, sagt sie. Die Bank lässt die Transfers laufen. Am dritten Tag platzt die Blase. Miriam Peters ruft bei Europol an – und erfährt die Wahrheit. Ihr Geld ist weg. Die Täter hätten sehr genau gewusst, wie sie vorgehen müssen, um möglichst schnell

Installieren Sie Teamviewer. Wir helfen Ihnen beim Transfer.

Ich kann das nicht installieren, ich frage meinen Mann.

Sie dürfen mit niemandem reden! Wir wissen nicht, wer in Ihrem Umfeld der Täter ist.

Thermal Attack: Mit Wärmebildkameras können Betrüger die Codes von Mobiltele- fonen entschlüsseln. Dazu muss das Foto innerhalb von 15 bis 30 Sekunden nach der PIN-Eingabe gemacht werden

26 P.M. 08/2025

TECHNIK | IT-SICHERHEIT

möglichst viel Geld zu bekommen, resümiert sie später bitter. Für die Strafverfolgung sind solche Fälle ein Albtraum. Die Täter operieren international, nut- zen gefälschte Identitäten und verschleiern ihre Spuren. Während das Opfer in Deutschland sitzt, laufen die Fäden meist in anderen Ländern zusam- men. Die vermeintlichen Europol-Agenten rufen oft aus Callcentern in Osteuropa oder Afrika an, das Geld fließt über asiatische Konten, die Bitcoin-Wal- lets sind in alle Winde verstreut. Hinzu kommt: Die Betrüger hinterlassen kaum verwertbare Spuren. Prepaid-Handys werden nach wenigen Tagen weggeworfen, IP-Adressen über VPN-Dienste verschleiert, die verwendeten Konten bei Wise oder anderen Anbietern auf Strohmänner registriert. Selbst wenn Ermittler einen Geldfluss verfolgen können, führt die Spur oft zu ahnungslo- sen Mittelsmännern – sogenannten Geldmules –, die selbst Betrugsopfer sind. Das Krypto-Problem verschärft die Lage zusätz- lich. Während traditionelle Banküberweisungen noch Tage dauern und gestoppt werden können, sind Bitcoin-Transaktionen binnen Minuten abge- wickelt und unwiderruflich. Aber der beste Komplize von allen ist der Zeit- druck. Eine fundamentale Erkenntnis aus Psycho- logie und Hirnforschung: Unter emotionalem und zeitlichem Druck verlieren Menschen den Zugang zu ihren kritischen Denkfähigkeiten. Das Gehirn schaltet um auf das, was der Psychologe Daniel Kahneman »schnelles Denken« nennt – intuitiv, aber fehleranfällig. ZUSTAND DER ANGST »Dieses Muster springt nahezu automatisch an«, erklärt Christina Lekati, Sicherheitsforscherin und Psychologin. Die Kriminellen konstruieren be- wusst Szenarien, in denen Zeitdruck und Angst auf- einanderprallen. Die psychologische Falle ist tü- ckisch: »Wenn man in einem Zustand der Angst ist, will man da raus«, so Lekati. Man tut alles, um die- sen Zustand zu beenden. Hinzu kommt unsere na- türliche Kooperationsbereitschaft – schließlich gibt der Anrufer vor, zu helfen. Diese Mischung aus Angst und Hilfsbereitschaft wird zur Falle. »Du bist psychisch so kompromittiert, du hast keine Ressourcen mehr«, bestätigt Miriam Peters. Das Eingeständnis fällt ihr schwer – auch wenn sie rational verstehen kann, was passiert ist. Ihr Ge- hirn war schlicht überfordert.

Sind Emotionen also unser Verhängnis? Macht uns unsere Menschlichkeit zur berüchtigten »Schwachstelle Mensch«? Christina Lekati wider- spricht: »Das ist nicht nur unsere Schwäche, das ist auch unsere Stärke.« Die Kooperations- und Hilfs- bereitschaft als Schwäche zu brandmarken sei ein fatales Narrativ. »Wir haben über Jahrtausende ge- lernt: Überleben funktioniert nur gemeinsam. Wir sind soziale Wesen – das steckt in unseren Genen.« Dieser unausgesprochene Gesellschaftsvertrag hat tief verwurzelte neurologische Spuren hinter- lassen: »fixed action patterns« – angeborene Hand- lungsmuster, die automatisch unsere Reaktionen steuern. Bewusst hinterfragen lässt sich das schon, »aber einfach ist es nicht«, so Lekati. Genau hier setzen die Betrüger an. Sie kon- struieren Situationen, die diese Automatismen triggern. Dringlichkeit plus Emotionen. Sie

Die Währung der Scammer: Bitcoin- Transaktionen werden binnen Minuten abgewickelt und sind unwiderruflich

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