P.M. Magazin

P . M . NEUGIERIG AUF MORGEN

Therapien mit Maden, Egeln, Würmern MEDIZIN

Neues Röntgenmikroskop der Superlative NANOFORSCHUNG Die Macht der Weibchen im Tierreichn BIOLOGIE

Wie wir unseren wichtigsten Werkstoff energiesparender produzieren können DER STAHL VON MORGEN

I ES GIBT VIEL ZU ENTDECKEN!

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NOVEMBER 2023

SCHLAUE JÄGER Teamwork der Schwertwale

FEUER UND EIS Inselvulkan im Südpolarmeer

IN DER AKTUELLEN AUSGABE Folgen Sie den Schmetterlingen auf ihrer Wanderung. Und lesen Sie, warum ihr Erhalt für den Artenschutz so wichtig ist.

LASST UNS IN RUHE! Ein Steinzeit-Volk verzichtet auf seine „Entdeckung“

JANUAR 2024

Weltprojekt CO ZWÖLF TECHNIKEN, WIE WIR DAS KLIMAGAS WIEDER LOSWERDEN

SPÄTE MÜTTER Die Medizin öffnet neue Fens ter

LOB DES SPIELS Was Kinder Erwachsene l ehren

HANDY UND STEINZEIT Wie ein Amazonas- Stamm Technik und Tradition zum Überleben nutzt

2

DER ZUG DER MONARCH- FALTER

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*2 Ausgaben für 5,90 € (inkl. MwSt. und Versand in Deutschland; Ausland abweichend). Es besteht ein 14-tägiges Widerrufsrecht. NATIONAL GEOGRAPHIC erscheint in der NG Media GmbH, Infanteriestraße 11a, 80797 München.

EDITORIAL

Ihre Neugier ist unser Kompass

Liebe Leserin, lieber Leser, im Oktoberheft 2023 haben wir Sie im Editorial zur Teilnahme an einer Online- umfrage eingeladen. Unser Wunsch war: Sagen Sie uns, was Ihnen gefällt an unse- rem P.M. Magazin – und was nicht. Wir in der Redaktion freuen uns außerordent- lich, dass 1318 Menschen teilgenommen haben, haben Sie tausend Dank. Etwa ein Fünftel davon lebt nicht in Deutschland, sondern in Österreich oder der Schweiz, wir schreiben also für Menschen in der ganzen »DACH-Region«. Die Fragen wurden oft sehr detailliert beantwortet, unter den Teilnehmern waren auch zahlreiche Leser der ersten Stunde, die dem Heft seit Oktober 1978 verbunden sind: »Ich bin seit der Erstaus- gabe dabei, und die Themenmischung, Aufbereitung sowie Ihre immer erfolgrei- che inhaltliche, mediale und wirtschaft- liche Anpassung und Weiterentwicklung an die Veränderungen der Medienwelt haben mich nie enttäuscht, sondern stets überzeugt.« Was für ein schönes Kom­ pliment nach mehr als 45 Jahren! Ein erster Blick in die Umfrage­ ergebnisse zeigt: Mit der Themenauswahl liegen wir richtig, der Bereich »Wissen- schaft und Forschung« landet mit 93 Pro- zent »interessiert mich voll und ganz« auf dem ersten Platz bei der Leserschaft. Im Detail begeistern vor allem Beiträge über Physik, Raumfahrt, Astronomie, Energie und Verkehr. In den kommenden Wochen werden wir uns weiter intensiv mit Ihren

Antworten befassen. Denn wieder müs- sen wir uns weiterentwickeln bei P.M., das Heft verändern und in unserer neuen Verlagsheimat überprüfen: Was passt noch, was passt nicht mehr? Wie gehen wir damit um, dass künstliche Intelligenz und Werkzeuge wie ChatGPT die Arbeits- welt herausfordern? Dass digitale und soziale Medien und vor allem Bewegtbild- formate bei der Generation Z gefragter sind als Printmagazine? Was will unsere Leserschaft wissen in dieser sich rasant wandelnden Welt, bei der mancher an einer »Veränderungserschöpfung« lei- det, wie der Soziologe Steffen Mau jüngst in einer Talkshow sagte? In dieser Ausgabe möchte ich Ihnen ein Interview mit der Soziologin und Informatikerin Milagros Miceli empfeh- len. Sie erforscht ethische Auswirkungen des KI-Booms und die Arbeit der »Data Worker« in ärmeren Ländern, die die KI-Systeme großer Technologiekonzerne mit Daten füttern. Sie vermutet, dass bessere Arbeitsbedingungen zu besseren Algorithmen führen. Aber lesen Sie selbst von Seite 64 an. Ich wünsche Ihnen viel Freude mit Ihrem P.M. Magazin.

Christiane Löll, Redaktionsleitung

Mit herzlichen Grüßen

Mehr als 430 spannende Wissensthemen zum Hören finden Sie im P.M.-Podcast »Schneller schlau«.

Christiane Löll

02/2024 P.M. 3

FEBRUAR 2024

16 TITELTHEMA . DER WEG ZUM GRÜNEN STAHL

Der Werkstoff ist unverzichtbar, aber bei der Produktion wird enorm viel Kohlendioxid freigesetzt. Ingenieure und Forscher arbeiten an Methoden, die weniger Energie verbrauchen – und so dem Klima weniger schaden

28 Unterschätzt: Weibchen im Tierreich

Das geplante Röntgenmikroskop »Petra IV« soll deutlich detailreichere Bilder der Nanowelt ermöglichen als seine Vorgänger 48

64 Übersehen: Arbeiter hinter dem KI-Boom

4 P.M. 02/2024

INHALT

ALPHA

8

DAS BESTE VON HEUTE UND MORGEN Neues aus den Laboren der Welt · Wissen in einer Minute · Faktencheck: Richtig oder falsch? · Psycho-Test: Wie tickt der Mensch?

TECHNIK & FORSCHUNG

28 VON WEGEN KEUSCH

Warum sich in der Zoologie der Blick auf Weiblichkeit zunehmend verändert

48 DAS SUPERMIKROSKOP

Mit einer neuen Anlage in Hamburg wollen Forscher tiefer in den Nanokosmos vordringen

58 TIERISCHE THERAPIEN

Mediziner entdecken alte Behandlungen neu – mit Maden, Egeln und Würmern

64 HINTER DEM KI-BOOM

Eine Expertin erforscht die Schattenwelt der Millionen Klickarbeiter

VISIONEN & IDEEN 16 STAHL VON MORGEN

80 Seegras ist ein höchst erstaunliches Gewächs: Warum es große Chancen eröffnet, Probleme der Zukunft zu lösen

Wie wir den wichtigen Werkstoff mit weniger Energie produzieren können

70 STROMQUELLE MENSCH

Unser Körper produziert ständig Energie. Könnten wir sie nutzen?

GRENZBEREICHE & GEHEIMNISSE

36 ALIENS AUS DEM LABOR

Wissenschaftler versuchen, außerirdisches Leben selbst in Gang zu bringen

80 DAS GRÜNE WUNDER

Seegras wirkt unscheinbar, doch es wird immer wichtiger für unsere Zukunft

70 Strom aus dem Körper

RUBRIKEN

3 Editorial 6 Zitate 7 Zuschriften 44 Wie jetzt? Mehr Wissen mit »Schneller schlau«

78 Neue Games 79 Neue Bücher 92 Bükers Testgelände: Der Erdkern 94 Rätsel 96 Vorschau/Impressum 98 P.M. Tierleben: Schreikranich

36 Anschub für außerirdisches Leben

58 Therapien mit Maden und Egeln

Alle Coverthemen sind rot markiert.

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ZITATE

» Zwischen Hochmut und Demut steht ein Drittes, dem das Leben gehört, und das ist der Mut. « THEODOR FONTANE (1819–1898), deutscher Schriftsteller Eingesandt von Siegbert Staudter, Babenhausen

» Die Ratte, die das sinkende Schiff verlässt, ist klüger als der Kapitän, der damit untergeht. « Jonathan Swift (1667–1745), irischer Schriftsteller und Satiriker Eingesandt von Klaus P. Jaworek, Büchenbach

Der französische Komiker Louis de Funès

Es spielt keine Rolle, ob du Stil, Ruhm oder Geld hast. Wenn du kein gutes Herz hast, bist du nichts wert.

Louis de Funès (1914–1983), französischer Schauspieler Eingesandt von Frank Giese, Schwerte

» Unbehaglich macht mich stets das Wört- chen ›wir‹ . Denn man ist nicht eins mit einem andern Tier. «

» Nicht, wer zuerst die Waffen ergreift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt. « Niccolò Machiavelli (1469–1527), Florentiner Staatsmann Eingesandt von Hans-Arno Piesack, Waldkraiburg

» Im Hafen ist ein Schiff sicher, allerdings wurden Schiffe nicht dafür gebaut! « Grace Hopper (1906–1992), US-amerikanische Computerpionierin Eingesandt von Lina Müller, Hamburg

Albert Einstein (1879–1955), Nobelpreisträger für Physik Eingesandt von Michael Espe, per Mail

Haben Sie ein Lieblingszitat? Schicken Sie es uns! Wir freuen uns über Ihre Einsendungen an pm-redaktion@verlagshaus.de. Bitte schreiben Sie dazu, von wem das Zitat stammt.

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ZUSCHRIFTEN

So erreichen Sie uns

der Geschwindigkeit und Hitze ist selbst das kleinste Ding supergefährlich … Ich habe mal so ein Ding runter- kommen sehen, zuerst gehört, dann erst gesehen. Verrückt zu glauben, das ginge ohne Schaden ab. Hdy, per Mail Vielen Dank für Ihre Zuschrift! Der Fall von Lottie Williams wird unter anderem beschrieben unter www.guinnessworldrecords.com/ world-records/114727-first-per- son-hit-by-space-junk. Die Redaktion

WENN SIE FRAGEN ZU IHREM ABONNEMENT HABEN Internet: serviceportal.pm-magazin.de Telefon: +49 (0)40/55 55 – 89 80 (Mo 7–20 Uhr, Di–Fr 7.30–20 Uhr, Sa 9–14 Uhr) Post: P.M.-Kundenservice 20080 Hamburg Fax: +49 (0)40/55 55 – 78 03 Jahresabopreise der Print-Ausgabe (13 Ausgaben): D: 67,60 €; A: 75,40 €; CH: 107,90 sFr Einzelheft Digital + Flexabo Digital: 3,99 € Jahresabo Digital 44,99 € Einzelne Auslandsabopreise auf Anfrage Abonnements Kanada SUNRISE NEWS, 47 Silver Shadow Path, Toronto, ON, M9C 4Y2, Tel + 1 647-219-5205, e-mail sunriseorders@bell.net Abonnements USA P.M. (USPS no 00014879) is published monthly. Known Office of Publication: Data Media (A division of Cover- All Computer Services Corp.), 660 Howard Street, Buffalo, NY 14206. Periodicals postage is paid at Buffalo, NY 14205. Postmaster: Send address changes to P.M., Data Media, P.O. Box 155, Buffalo. NY 14205-0155,

wodurch verbrannten diese Sterne den Wasserstoff? Günter Seidel, per Mail Lieber Herr Seidel, vielen Dank für Ihre Zuschrift. Nach dem Urknall bestanden die ersten Sterne hauptsächlich aus Was- serstoff. Durch Kontraktion erhöhten sich im Inneren der Sterne der Druck und die Tempe- ratur, es wurde bis zu 10 ⁷ Kelvin heiß. Dadurch setzte das »Was- serstoffbrennen« ein, bei dem über verschiedene Reaktions- wege schließlich Wasserstoff zu Helium fusioniert wurde. Nach- dem der Wasserstoff verbrannt war und einen Heliumkern im Stern gebildet hatte, konnte der Stern weiter kontrahieren und damit die Temperatur erhöhen. Später entstand dann, wie im Text geschrieben, Kohlenstoff. Die Redaktion

P.M. 12/2023 Titelgeschichte/Kohlenstoff Das Superelement Wieso will und muss jedes Land (etwas übertrieben) alles neu erfinden, obwohl es das in anderen Ländern bereits gibt? Hier seien CO₂- und Methanfilter an- geführt, da wird in Europa geforscht und probiert, obwohl es solche Anlagen in Amerika bereits gibt. CO₂- Filter wurden in Europa bereits in ein paar Gaskraft- werken eingebaut. Damit waren sie umweltfreund- licher als die Biomassekraft- werke, welche das CO₂ ungefiltert in die Umwelt lassen. Leider hatten die Filter nur eine kurze Lebens- dauer, und ob diese dann ausgetauscht wurden, ist mir nicht bekannt. Georg Pachta, per Mail In dem Bericht wird be- schrieben, dass es nach dem Urknall in unserem Univer- sum nur Sterne aus Wasser- stoff gab. Warum, wie oder

Alpha Disco im Weltall

Hier steht, dass 2019 erstmals ein direktes Foto des Schwar- zen Lochs M87* veröffentlicht wurde. Die Bezeichnung »direktes Foto« ist allerdings nicht ganz korrekt. Ein Schwarzes Loch an sich kann nicht fotografiert werden, was man auf dem Bild sieht, ist der Ereignishorizont. Dieser wurde vom gleich­ namigen Verbund mehrerer Radioteleskope beobachtet. Aus diesen Daten ist das Bild entstanden. Patrick Voigt, per Mail Lieber Herr Voigt, haben Sie vielen Dank für die Präzisierung. Wir haben ungenau formuliert und bitten, dies zu entschuldigen. Die Redaktion

E-Mail: service@roltek.com, Toll free: 1-877-776-5835

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Technik/Raumfahrt Point Nemo

Ab 11.1.2024 im App Store Das neue P.M. eMagazin

Ein Teil einer Weltraumsta- tion oder was immer auch hat eine Frau getroffen … Also, wer das glaubt … Bei

P . M . NEUGIERIG AUF MORGEN

Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften zu kürzen.

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Neues Röntgenmikroskop der Superlative NANOFORSCHUNG Die Macht der Weibchen im Tierreichn BIOLOGIE

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Kommen Sie in Kontakt mit der Redaktion: P.M. Magazin, Virchowstaße 65b, 22767 Hamburg pm-redaktion@verlagshaus.de facebook.com/PMOnline

Alle Themen bis 2022 finden Sie in unseren P.M. Jahresregistern: www.pm-wissen.com/ p-m-jahresregister

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MEERESFORSCHUNG Forschungsstationen im All sind längst üblich. In der Tiefsee dagegen gibt es noch keine permanente Präsenz des Menschen. Das britische Ingenieurunternehmen Deep hat nun eine solche Wohn- und Forschungsstation entwor- fen. Denn es stimmt, dass wir über die Tiefsee weit weniger wissen als über Mond und Mars. Der Meeresboden dort ist noch weitgehend unkartiert, Fauna und Flora sind großteils unbekannt. Das ähnlich der Raumstation ISS aus Wohn- und Labormodulen bestehende Unterwasserhabitat Sentinel soll Aufenthalte von bis zu vier Wochen in 200 Meter Tiefe ermöglichen – dort, wo per Definition die Tiefsee beginnt, die meisten Konti- nentalplatten enden und sich laut Schätzungen 90 Prozent des marinen Lebens tummeln. Sentinel soll mit regenerativer Energie betrieben und per Satellitenboje mit der Außenwelt verbunden sein. Angesteuert wird die Station per U-Boot. Wohnen in der Tiefe

Entwurf einer ISS unter Wasser: Diese Station soll die Erforschung der Tiefsee voranbringen

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Mehr über das Projekt erfahren Sie im TV-Beitrag unserer Kollegen: pm-wissen. com/methansauger (oder den QR-Code scannen)

P.M. Wissen bei

Stauseen saugen für den Klimaschutz

Deutschland mittwochs, 21.15 Uhr Österreich donnerstags, 20.15 Uhr

TECHNIK Stauseen liefern zwar erneuerbare Energie per Wasserkraft, haben aber auch einen Nachteil fürs Klima: An der Staumauer sammeln sich jede Menge Sedimente mit Pflanzenresten. Es entsteht ein Schlamm, in dem sich Methan bildet, das permanent ausgast. Und Methan ist als Treibhausgas viel effektiver als Kohlendioxid. Doch was wäre, wenn man es einfängt und stattdessen als Brennstoff nutzt? Diese Idee verfolgen Forschende um Christian Jokiel von der Technischen Hochschule Köln im Projekt »Melinu«. Mit seinen Studierenden arbeitet er an der Entwicklung eines schwimmenden

Hochdrucksaugers , der das Sediment mit einem langen Schlauch vom Grund des Sees aufnimmt, an Bord das Methan abscheidet und in Auffangbehältern speichert. Die Sedimente pumpt die Maschine über eine Leitung jenseits der Staumauer wieder in den Fluss, wo sie ihren natürlichen Weg Richtung Flussmündung fortsetzen können. »Melinu« nutzt das gewonnene Methan als Treibstoff für den Sauger. Es könnte aber auch per Pipeline etwa zu Biogasanlagen geleitet werden. Beim Verbrennen entsteht zwar CO₂. Aber der Klimaeffekt ist weitaus geringer als der von Methan.

Moderator Gernot Grömer

Fortpflanzung bei Fledermäusen

BIOLOGIE Durch trickreiches Platzieren ihrer Kameras in einem Kirchturm ge- langen Forschenden Aufnahmen von der Kopulation der Breitflügelfledermaus. Und sie staunten: In Relation sind die Männchen extrem gut bestückt, ihr Penis schwoll auf gut 16 Millimeter an – ein Fünftel ihrer Körperlänge. Dazu war die Spitze 7,5 Millimeter dick. Das ist für die kleine Vagina des Weibchens viel zu groß.

Wie soll da der Sex funktionieren? Weitere Beobachtungen zeigten: Als bis dato ein- ziges bekanntes Säugetier paart sich die Fledermaus ganz ohne Penetration. Der Penis dient vielmehr dazu, die Schwanz- haut des Weibchens beiseitezuschieben, die Vagina zu ertasten und dann das Ejakulat einfach darauf zu verteilen. So verharren die beiden rund eine Stunde. Die Spermien finden ihren Weg.

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FOLGE 101: RE6SE8CL2 in einer Minute WISSEN

Von wegen kopflos

PHYSIOLOGIE Schon länger zerbrechen sich Forschende ihrerseits den Kopf über die Frage, wo denn der Seestern seinen Kopf hat. Denn anders als die meisten Tiere inklusive des Menschen hat er keinen achsensymme- trischen Körperbau, also Ohren, Augen und Arme links und rechts der zentralen Achse. Stattdessen hat er fünf symmetrische Arme, eben wie ein gezeichneter Stern. Ist also der Kopf in der Mitte? Oder in einem der Arme? Die Lösung haben nun Forschende der britischen University of Southampton ermittelt. Und zwar indem sie sich nicht nur den Verlauf der Nerven im Innern des Seesterns angesehen, sondern zudem eine sogenannte RNA-Tomografie angefertigt haben: Sie haben nachgeschaut, wie typische Kopf- und Rumpfgene im Körper des Seesterns Patiria miniata verteilt sind. Und siehe da: Demnach ist eigentlich der gesamte Stern ein einziger Kopf. Sowohl im Zentrum des Sterns als auch mittig in den Armen fanden sich Signaturen von Genaktivität, wie sie für den Kopf typisch sind. Charakteristische Rumpfsignaturen dagegen fanden sich nur an den äußersten Spitzen der Arme.

HAT DA ETWA JEMAND SEIN PASSWORT ÖFFENTLICH GEMACHT?

Nein – was aussieht wie eine willkürliche Zeichenfolge, ist die chemische Formel eines

Moleküls. Re₆Se₈Cl₂ besteht aus sechs oktaedrisch angeordneten Rhenium- Atomen, die wiederum ein Würfel aus acht Selen-Atomen einschließt. Zwei Chloratome komplettieren das Gebilde zu einem flachen, quadratischen Gitter.

UND WOFÜR SOLL DAS GUT SEIN?

US-Forschende hatten Re₆Se₈Cl₂ hergestellt, um damit die Auflösung eines neuen Mikroskops zu testen.

Als sie das Molekül mit Licht anregten, passierte Unerwartetes: Es leitete nun Elektronen schneller als alle bisher bekannten Materialien. Durch Zufall hatte man also einen neuen Halbleiter gefunden. HALBLEITER, WAS IST DAS NOCH MAL? Halbleiter sind die Grundlage fast aller Elektronik. Smartphone, LED, Solarzelle: Sie alle funktionieren mit Halbleitern. Die Materialien leiten nur dann Strom, wenn ihnen selbst Energie zugeführt wird. Oft verwendete Halbleiter sind Silizium und Perowskite. Re₆Se₈Cl₂ leitet Strom doppelt so schnell wie Silizium.

BRICHT NUN EINE NEUE ELEKTRONIK- ÄRA AN?

Rhenium ist selten und teuer, daher kann das Material nicht in Massen produziert werden. Die Forschen-

den sind aber dennoch optimistisch: Mit den neuen Erkenntnissen können sie jetzt besser andere neue Halbleitermaterialien mit ähnlichen Eigenschaften identifizieren. Nach denen wollen sie sich nun auf die Suche begeben.

Nerven- und Genverteilung im Seestern verraten: Dieses Tier ist ein einziger Kopf

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Durch diese An- lage jagen Laser- strahlen hin und her. So lässt sich die Erdrotation präzise ermitteln

In Bayern nimmt man es ganz genau

men. Wobei dieses Tempo ständig variiert: Der Mond, Strömungen in den Meeren, in der Atmosphäre und im heißen Erdkern sowie Erdbeben nehmen Einfluss. Dadurch ist kein Tag genauso lang wie der andere. Diese Schwankungen genau zu kennen ist aber wich- tig. Nicht nur für astronomische Berechnungen, sondern auch für die Präzision von Klimamodellen und zum Beispiel die Vor- hersage des Klimaphänomens El Niño.

LASERTECHNIK Forschenden der TU München ist an einer Ringlaser-Messanlage im bayerischen Wettzell die bislang präzi- seste Messung der Erdrotation gelungen. Sie misst diese anhand winzigster Frequenzverschiebungen von gegenläufig durch die Anlage schießenden Laserstrahlen. Neue Software zur Korrektur sowie Optimierungen am Laser ermöglichten es, die Rotations­ geschwindigkeit auf neun Nachkommastellen genau zu bestim-

Muss ich die kennen?

WAS ERFORSCHT SIE? Weltweit werden Malaria- mücken mit insektizid­ behafteten Moskitonetzen in Schach gehalten. Doch die Tiere bilden Resistenzen. Ingham untersucht, was dabei im Körper der Mücke passiert. Dafür erhielt sie 2023 zwei Auszeichnungen: den Lautenschläger-For-

VICTORIA INGHAM, INFEKTIONSBIOLOGIN

WER IST DAS? Victoria Ingham leitet die Arbeitsgruppe Translationale Malaria-Forschung am Zen­ trum für Infektiologie der Uniklinik Heidelberg. Sie beschäftigt sich mit der Malariamücke Anopheles.

SO SEHEN MUSKELN AUS

Forschende in Dortmund haben per Kryoelektronen- tomografie das erste hochauflösende 3-D-Bild von einer dicken Herzmuskelfaser angefertigt. Es liefert Einblicke in mögliche Fehlfunktionen des Herzens.

12 P.M. 02/2024

Richtig oder falsch?

DIE ERDE HAT GENAU EINEN MOND › FALSCH Wenn man einen Mond als Himmelskörper definiert, der um die Erde kreist, so hat die Erde noch einige weitere, wenn auch recht kleine Monde: Insgesamt zählen Forschende aktuell 21 Asteroiden von bis zu 100 Meter Größe, die auf einer mehr oder weniger exzentrischen Bahn um die Erde kreisen. Die meisten wurden wohl durch Kollisio- nen aus dem Asteroidengürtel jenseits der Marsbahn zur Erde geschleudert und von deren Gravitation eingefangen. Einzelne, das hat eine aktuelle US-Studie ergeben, könnten auch Brocken des Mondes selbst sein, die bei Meteoriten- einschlägen herausgebrochen sind. Allerdings bleiben die meisten Mini- monde nicht ewig in ihrem Erdorbit. ROBOTER SIND DIE BESSEREN PILOTEN › RICHTIG Koreanische Forschende haben den humanoiden Roboter »Pibot« trainiert, Flugzeuge zu fliegen wie ein Pilot. Dank KI kann er jedes Handbuch in Windeseile lernen, verschiedenste Sprachen sprechen und mit seinen Kameras, Sensoren, Armen und Fingern

alle Instrumente präzise bedienen. Auch in turbulenten Situationen: Stress kennt »Pibot« nicht. Und anders als herkömmliche Autopiloten ist er mobil und kann in verschiedenen Flugzeug- typen arbeiten. Allerdings muss »Pibot« erst noch fertiggestellt werden und sich in Tests beweisen. Da sind Forschende in der Schweiz mit ihrem künstlichen Piloten »Swift« schon weiter: Diese auf die Steuerung von Drohnen trainierte KI hat beim Abfliegen eines Testparcours in einem Hangar bei Zürich drei Welt­ klasse-Drohnenpiloten besiegt. DER SATZ DES PYTHAGORAS STAMMT GAR NICHT VON IHM › RICHTIG a² + b² = c² lernen wir alle als Satz des Pythagoras in der Schule. Aller- dings ist inzwischen klar, dass diese mathematische Gleichung schon Jahr- hunderte vor Pythagoras, der 570 v. Chr. geboren wurde, bekannt war. Zuletzt hat das der Fund der babylonischen Tontafel IM67118 bestätigt, die um 1770 v.Chr. graviert wurde: Darauf ist das Prinzip, die Diagonale innerhalb eines Rechtecks zu berechnen, bereits beschrieben.

TIERVERHALTEN Die dunk- len Punkte auf dem weißen Bauch afrikanischer Brillen- pinguine wirken wie zufällige Sprenkel. Doch für die Tiere sind sie offenbar ein wich­ tiges Erkennungsmerkmal. Forschende der Universität Turin haben bei Pinguinen in einem Zoo bei Rom beobach- tet, dass nicht nur die Pfleger die Tiere, sondern auch die Tiere einander vor allem an den Fleckenmustern erken- nen. Die Forschenden teste- ten das, indem sie separierte Pinguine mit Fotos konfron- tierten: Mal waren darauf ihre engsten Kumpel abge- bildet, mal fremde Pinguine. Mal mit, mal ohne das Fleckenmuster – es wurde retuschiert. Die Tiere schie- nen ihre Kumpel nur zu erkennen, wenn das Muster da war. Sonst ignorierten sie das Foto ihrer Freunde ge- nauso wie die der Fremden. Die Flecken machen mich aus

Ingham vermutet, dass es auch direkt den Malariaerre- ger angreift. So ein Doppel- schlag könnte die Ausbildung von Resistenzen gegen andere Mittel verhindern. WARUM IST DAS WICHTIG? Malaria zählt noch immer zu den tödlichsten Tropen- krankheiten: Jährlich for- dert der Erreger weltweit rund 600 000 Todesopfer.

schungspreis für wissen- schaftlichen Nachwuchs und eine Förderung der Bill & Melinda Gates Foundation. WAS IST IHR AKTUELLES PROJEKT? Ingham kooperiert mit dem Chemiekonzern BASF, der ein neues Insektizid entwickelt hat. Erst im Körper der Mücke wandelt es sich in einen für das Tier giftigen Stoff um.

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ALPHA

P.M. stellt Experimente der Psychologie vor. Bevor Sie die Lösung lesen: Überlegen Sie selbst – und testen Sie Ihren Menschenverstand Wie tickt der Mensch? FOLGE 78 Hat bessere Freunde, wer sich schlecht mit den Eltern versteht?

Finden Sie die richtige Antwort: A Ja. Wer schlimme Eltern hat, sucht sein Heil bei engen besten Freunden. B Im Gegenteil. Wie gute Freund- schaft sich anfühlt, das lernen wir zuerst in einer sicheren Beziehung zu unseren Eltern. C Weder, noch. Es gibt keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen der Elternbeziehung und der Qualität der Freundschaften, die wir eingehen.

Ein schwieriges Verhältnis zu Vater und Mutter könnte uns bessere Freundschaften bescheren: An den Eltern schulen wir unsere Fähigkeit zur Kommunikation und unsere Menschenkenntnis. Je schwieriger sich das darstellt, desto mehr lernen wir dabei, wie wertvoll die Wahlverwandtschaften sind, die wir dann mit engen Freunden eingehen. Das alles klingt sehr einleuchtend. Aber stimmt es auch wirklich?

ARCHÄOLOGIE Der schon mit 19 Jahren verstorbene Pharao Tutanchamun wurde so bekannt, weil seine Grabkammer bei der Entdeckung noch voller Schätze war, darunter prächtige Streitwagen. Die wilde Fahrt mit einem solchen war wohl sein Verderben, wie eine neue Durchsicht der Mumien-Autopsieberichte ergab. Fest- gestellte Brüche an Brustkorb, Ober- und Unterschenkeln sowie Knien sprechen deutlich für einen heftigen Verkehrsunfall. Kamikaze-Pharao

DIE LÖSUNG Kürzlich hat ein Team von der niederländischen Universität Nim- wegen diese Frage an jungen Erwachsenen untersucht. Dabei zeigt sich: Wer eine ängstlich-unsichere Bindung zu seinen Eltern hat, hat in der Regel auch keine sichere Bindung zum besten Freund oder zur besten Freundin. Man reproduziert die Muster aus der Elternbindung. Wer etwa gegenüber Vater und Mutter verschlos- sen war, ist auch Freunden gegenüber weniger offen, behält mehr Geheimnisse für sich und sucht weniger Unterstützung in Zeiten der Not. Antwort B ist also richtig.

PALÄONTOLOGIE Wollnashörner waren wie Mammuts an die Kälte angepasst und lebten in der letzten Eiszeit bis vor rund 10 000 Jahren auch noch mitten im heutigen Deutschland. Aus dem fossilisierten Kot von Hyänen, der in zwei schwäbischen Höhlen gefunden wurde, konnten deutsche Forschende nun sogar Erbmaterial von Wollnashörnern gewinnen. Die Raubtiere hatten sie offenbar gefressen. So ließ sich erstmals das Genom der europäischen Urzeit-Nashörner rekonstruieren. Der Vergleich mit dem Genom sibirischer Wollnashörner zeigt, dass sich die beiden Linien schon vor mehr als 150 000 Jahren trennten. Bis dato dachte man, die beiden seien enger verwandt. Wollnashörner in Schwaben

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I GESCHICHTE ERLEBEN

NR. 11

Alexandria Weltwunder des Wissens: Die Geburt der Bibliothek Raffael Der Superstar der Renaissance und die Macht seiner Bilder Lawrence von Arabien Ein britischer Spion gegen das Osmanische Reich

Sisi Eigenwillige Kaiserin, bewunderte Stilikone

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VISIONEN | STAHLPRODUKTION

Feurige Angelegen- heit: Ein Stahlarbeiter von Thyssenkrupp Steel entnimmt eine 1500 Grad Celsius heiße Roheisenprobe beim Abstich am Hochofen

DER

16 P.M. 02/2024

Vom Schmuddelkind zum Musterknaben: Neue Produktionsverfahren könnten die Herstellung unseres wichtigsten Werkstoffs revolutionieren – und das Klima entlasten

TEXT: ANDREAS HOLZAPFEL

SO WIRD

STAHL

GRÜN 02/2024 P.M. 17

VISIONEN | STAHLPRODUKTION D

ie Schlote der Hochöfen qualmen nur kurz in Schwarz-Weiß. Schnitt. Dann fliegt die Ka- mera schnell über weite Wiesen in einem Werbe­ video von Thyssenkrupp Steel, Deutschlands größ- tem Stahlhersteller. Die quellenden Rußwolken sind längst Schall und Rauch, soll das wohl heißen. Das Hier und Jetzt scheint grün wie das Gras, blau wie der Rhein, strahlend weiß wie die Windräder. Auf Satellitenbildern, die das Werksgelände von oben zeigen, ist jedoch kein Naherholungsgebiet zu erkennen: Auf dem neun Quadratkilometer großen Areal, fast fünfmal so groß wie das Fürstentum Mona- co, schlängeln sich 80 Kilometer Straßen und 470 Ki- lometer Schienen zwischen riesigen Produktions­ hallen, Bergen von Koks und qualmenden Schloten; dazwischen ein paar Grünstreifen und Baumreihen – grüne Sprenkel inmitten von sehr viel Braun. Sosehr sich Thyssenkrupp auch müht, sein Ge- schäft reinzuwaschen – Stahlkochen ist eine drecki- ge Angelegenheit. Für die elf Millionen Tonnen des Werkstoffs, die der Konzern jährlich produziert, stößt er 20 Millionen Tonnen CO₂ aus. Das ist etwa zehnmal so viel wie der innerdeutsche Flugverkehr und macht fast drei Prozent der deutschen Emis­ sionen aus. Weltweit strömen fast zehn Prozent des CO₂-Gesamtaufkommens aus den Schloten der Stahlindustrie. Um die globale Erwärmung unter der im Pariser Klimaabkommen angestrebten Gren- ze von 1,5 Grad Celsius zu halten, muss die Branche ihren Ausstoß des Treibhausgases nach Schätzung der Internationalen Energieagentur bis zum Jahr 2050 um 93 Prozent senken. Eine gigantische Herausforderung, zumal die Welt dann wohl noch einmal ein Drittel mehr Stahl verbauen wird. Denn egal ob Wolkenkratzer oder Tiny House, Auto oder Zug, Kraftwerk oder Wind- rad – die moderne Welt ist aus Stahl gemacht. Es geht nicht mit, es geht nicht ohne. Geht es anders?

Aus Hochöfen wird der künftige Stahl wohl je- denfalls nicht mehr fließen, denn ihre Emissionen lassen sich kaum noch verringern, in modernen An- lagen sind die Mittel dazu ausgereizt. Sie produzie- ren bis zu zwei Tonnen CO₂ je Tonne Stahl. Denn in ihnen wird der aus Kohle gewonnene Koks nicht nur verbrannt, um das Erz, wie es in der Natur vor- kommt, einzuschmelzen. Der Kohlenstoff aus dem Koks löst auch die Schlacke aus dem Erz heraus, in- dem er sich mit dessen Sauerstoff verbindet. Wäh- rend das CO₂ aufsteigt, strömt das glühende Eisen wie Lava aus dem Hochofen. Später wird es zu Stahl verarbeitet. Der Kohlenstoff ist also nicht nur Ener- gielieferant, sondern zugleich Reduktionsmittel. F ür den Hochofen gäbe es nur eine Hoffnung: das CO₂ unschädlich zu machen. So könnten Hersteller es aus den Schornsteinen abfangen und etwa in ehemalige Öl- und Gaslagerstätten un- ter die Erde pumpen. Die Internationale Energie- agentur hat ein Szenario entworfen, in dem noch im Jahr 2050 die Hälfte des Stahls mit Hochöfen herge- stellt werden könnte, wenn man das CO₂ so unter- irdisch lagern würde. Auch die Hersteller sprechen viel darüber, tun aber bis jetzt wenig – womöglich wegen der Kosten. »Das einzige Projekt ist vor ein- einhalb Jahren eingestellt worden«, sagt Stefan Lechtenböhmer, Professor für Nachhaltiges Tech- nologie-Design an der Universität Kassel. Noch ver- lockender, aber mindestens genauso unausgereift ist die Idee, das CO₂ nicht nur zu binden, sondern gar für sich zu nutzen. Forscher haben ein Bakte­ rium erschaffen, das sich von CO₂ ernährt und es in die Chemikalien Aceton und Isopropanol verstoff-

81 000 Menschen arbeiten in Deutsch- land in der Stahl- industrie. Vier Millio- nen weitere sind in stahlintensiven Branchen wie der Autoindustrie oder dem Maschinenbau beschäftigt

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STAHLKOCHEN IST EINE DRECKIGE GESCHICHTE

wechselt, die etwa für Acrylglas und Desinfekti- onsmittel gebraucht und sonst mit Erdöl herge-

stellt werden. Derzeit aber sind die Bakterien noch nicht hungrig genug. Um all das anfallende CO₂ umzuwandeln, bräuchte es sehr viel mehr Bioreak- toren, als es verfügbare Flächen gibt. Verlässlich einsparen lassen sich die Emissio- nen dagegen mit Recycling. Der Stahlschrott wird eingeschmolzen, indem in einem Elektrolichtbo- genofen Elektroden Blitze mit einer Temperatur von bis zu 3500 Grad Celsius auf ihn abfeuern. Das stößt fünfmal weniger CO₂ aus, als wenn das Eisenerz in Hochöfen erst zu Stahl gekocht werden muss. Be- triebe man die Öfen mit grünem Strom, würden sich die Emissionen fast auf null reduzieren. Fachleute rechnen zwar damit, dass bis zur Jahrhundertmitte 45 Prozent des Stahls aus Schrott hergestellt werden könnten statt wie derzeit 30 Prozent. Aber für

Eisenerz ist der Aus- gangsstoff für die Stahlherstellung. Hier fällt es von einem Förderband an einer Mine in Westaustralien

Braune Insel in grüner Landschaft: das Stahlwerk von Thyssenkrupp Steel in Duisburg

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LANGE ZEIT GLAUBTEN SELBST

FACHLEUTE: OHNE KOHLE KEIN STAHL

> 90 Prozent des Altstahls werden wiederverwendet. Nebenprodukte aus der Stahlproduktion wie Stäube und Schlämme erreichen

gibt es jedoch Alternativen, die fast ohne CO₂- Emissionen auskommen und sogar reineren Stahl herstellen, zumindest im Labor. Die Frage ist: Las- sen sich mit ihnen auch die heute weltweit produ- zierten 1,9 Milliarden Tonnen und mehr pro Jahr herstellen? Und wenn ja, wäre der Werkstoff dann noch bezahlbar? B islang mussten sich die europäischen Un­ ternehmen um ihren CO₂-Ausstoß wenig kümmern. Zwar soll ein Handelssystem für Emissionsrechte in der EU vor allem Firmen in ener- gieintensiven Branchen dazu anhalten, umwelt- freundlicher zu produzieren. Doch bislang funk­ tioniert das in der Praxis nicht. Die Idee dabei: Jeder Betrieb muss für die Menge an CO₂, die er ausstößt, Emissionsrechte kaufen. Je weniger ein Konzern von dem Treibhausgas freisetzt, desto weniger die- ser Zertifikate muss er erwerben und desto billiger wird für ihn die Produktion. Tatsächlich haben die EU-Stahlhersteller in den vergangenen Jahren die Zertifikate allerdings gratis erhalten, damit sie nicht in Länder mit billigeren Produktionsbedingungen abwandern. Das soll sich ändern: Künftig müssen die Unter- nehmen zahlen. Die Emissionsrechte sollen nach und nach teurer werden, während Zölle auf um- weltschädliche Importe den Nachteil ausgleichen sollen. Deshalb suchen die europäischen Firmen

mehr gibt es nicht genug Material. Zudem geht es auch ohne Primärstahl nicht, da beim Recyceln vier Prozent verloren gehen und sich andere Metalllegie- rungen in den Stahl mischen, die ihn spröder ma- chen oder seine Leitfähigkeit verringern. »Wenn wir nur allen Schrott wieder einzu- schmelzen bräuchten, müssten wir nicht lange grü- beln«, sagt Matthias Weinberg, Leiter der Metallur- gie von Thyssenkrupp Steel. »Aber wir können auf Primärstahl nicht verzichten. Und den werden wir nicht von heute auf morgen grün kriegen.« Es braucht also mehr als Elektrolichtbogenöfen und einen Stromanbieterwechsel. Ein alternatives Verfahren ist nötig, um aus natürlichem Eisenerz reinen Stahl zu machen, und das schnell. Sonst ge- rät das Ziel, 2050 Netto-Null zu emittieren, außer Reichweite. Netto-Null heißt: Emissionen, die sich nicht vermeiden lassen, müssen aus der Atmosphä- re wieder entnommen werden. Lange Zeit glaubten selbst Experten: ohne Koh- le kein Stahl. Sie hielten den Koks für unersetzlich, um das Erz von der Schlacke zu trennen. Inzwischen

eine ähnliche Recylingquote

Im Bochumer Thyssenkrupp-Werk transportiert ein Arbeiter eine Walz- stahlspule per Kran

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Vom Eisenerz zum Stahl PRODUKTIONSPROZESSE Die Herstellung des Werkstoffs benötigt grundsätzlich viel Energie. Doch der Hochofenprozess (grau) belastet die Umwelt deutlich stärker als die Direktreduktion (grün), die derzeit von verschiedenen Unternehmen entwickelt wird.

CO₂

Kohlendioxid

O₂

Sauerstoff

1

2

Eisenerz-Pellets

Rohstahl

Roheisen

Kohle

Sauerstoff- konverter

Hochofen

3

Eisenerz-Pellets

Schrott

Sekundär- metallurgie

Ökostrom

Wasserstoff

H₂

O₂

3

Erdgas

Elektrolichtbogenofen

Eisenschwamm DRI

Elektrolyse

2

Wasser

Direktreduktions- anlage

Direktreduktion Hochofenprozess

H₂O

1

GRÜNER STAHL: 1 Die Eisenerz-Pellets werden in der Direktreduktionsanlage mithilfe von Erdgas auf etwa 1000 Grad Celsius erhitzt, bevor der umweltfreundlich per Ökostrom und Elektrolyse gewonnene Wasserstoff eingeleitet wird. Der reagiert mit dem im Eisenerz gebundenen Sauerstoff und wandelt dieses in Eisenschwamm um. Dabei entsteht statt CO₂ Wasser. Weil keine Kohle zum Erhitzen gebraucht wird, liegt der Koh- lenstoffgehalt des porösen Eisenschwamms wie vor der Ver­ arbeitung bei zwei Prozent und muss nicht verringert werden. 2 Der Eisenschwamm wird mit Stahlschrott in einem Elektro- lichtbogenofen bei bis zu 3500 Grad Celsius eingeschmolzen. Dabei werden Verunreinigungen wie Schwefel und Phosphor herausgelöst.

KONVENTIONELL: 1 Abwechselnd werden Eisenerz-Pellets und Koks schichtweise oben in den Hochofen gefördert. Bei Temperaturen von bis zu 2000 Grad Celsius entzieht der verbrennende Koks dem Erz Sauerstoff. Um aus dem harten, aber wenig elastischen Roheisen Stahl zu machen, muss dessen Kohlenstoffgehalt von 4,5 Prozent auf weniger als zwei Prozent verringert werden. 2 Im Konverter wird dem flüssigen Roheisen Stahlschrott bei­ gemischt, um weniger Roheisen verwenden zu müssen und die Eisenschmelze zu kühlen. Durch eine ausfahrbare Kupferlanze wird Sauerstoff auf die Schmelze geblasen. So setzt sich der überschüssige Kohlenstoff in einer Schlacke ab. Anschließend wird der Rohstahl abgestochen. 3 Der Rohstahl wird in der sogenannten Sekundärmetallurgie je nach gewünschten Eigenschaften veredelt, gegossen und schließlich in die gewünschte Form gewalzt.

3 Der Rohstahl wird wie jener aus dem Hochofen in der Sekundärmetallurgie veredelt, gegossen und gewalzt.

eine Alternative zum Hochofen. Sie fürchten, dass sich ihr Geschäft bald nicht mehr rechnen wird. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass ein Stahl- hersteller ein neues Projekt vorstellt, wie aus einem der größten Umweltverschmutzer ein klimagerech- tes Vorzeigeunternehmen werden soll. »Früher hie- ßen die Optimierungskriterien immer Kosten oder Qualität. Heute kommt das CO₂ dazu«, sagt Wein- berg, »zwei der drei kriegen wir zusammen. Die Kosten gehören aktuell noch nicht dazu.«

Ihre größte Hoffnung setzt die Industrie in das kleinste aller Moleküle: Wasserstoff. Schon der Schriftsteller Jules Verne hatte Wasser als »Kohle der Zukunft« bezeichnet: In seine Bestandteile zerlegt, werde es einst auch Lokomotiven antreiben. 150 Jah- re später ist die Zukunft noch nicht zur Gegenwart geworden, der Wasserstoff aber verheißungsvoller: Er soll nun auch Schiffe und Flugzeuge antreiben, Chemiefabriken und Kraftwerke, einfach alles, was das Klima ins Wanken gebracht hat. Er soll die

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Die Kohle der Zukunft WASSERSTOFF Das kleinste aller Elemente ist die größte Hoffnung für die Energiewende. Wasserstoff soll für Strom sorgen, wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint. Er soll die Kohle ersetzen, wo sie lange Zeit unersetzlich schien, in chemischen Verfahren, etwa bei der Herstellung von Aluminium, Glas oder eben Stahl. Technisch ist der Ersatz teils besser als das Original. Die Frage ist nur, wann es genug von ihm gibt. Jährlich werden in Deutschland rund 55 Terawattstunden Wasserstoff verbraucht. Im Jahr 2045, wenn Deutschland klimaneutral sein soll, wird der Bedarf etwa 10- bis 20-mal so hoch sein. Es braucht aber nicht nur viel mehr Wasserstoff, es braucht viel mehr grünen Wasserstoff. Bislang wird das Element meist aus fossilem Erdgas gewonnen, was viel CO₂ ausstößt. Um das Klima zu schützen, muss Wasser mit grünem Strom durch sogenannte Elektrolyse in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt werden. Aber gerade die grün erzeugte Variante wird in absehbarer Zukunft voraussichtlich knapp und teuer bleiben. Bisher gibt es nur wenige Abkommen und viele Ideen, woher der Wasserstoff kommen soll. Etwa ein Drittel soll in Deutsch- land erzeugt werden, bis zu 70 Prozent sollen aus dem Ausland kommen. Hier blickt die Regierung vor allem auf Namibia und Marokko (im Bild das Solarkraftwerk von Ouarzazate), die viel Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen können. Bis zum Jahr 2032 sollen 9700 Kilometer an Wasserstoffleitungen Häfen, Speicher, Kraftwerke und Industriezentren miteinander verbinden. 19,8 Milliarden Euro sind für das Projekt eingeplant. Dafür sollen zu 60 Prozent Erdgasleitungen umgerüstet werden.

schmutzigsten Industrien rein machen, die fossile Ära am besten schon morgen beenden. Auch Thyssenkrupp will anstelle seiner vier Hochöfen Direktreduktionsanlagen bauen, in de- nen statt Koks Wasserstoff dem Erz die Schlacke un- ter großer Hitze entreißt. Dabei entsteht nichts als Wasser und feste Roheisenbriketts, die dann ver- flüssigt werden. Das Ergebnis: reinerer Stahl und 95 Prozent weniger CO₂-Emissionen. D och die Anlagen verschlingen Unmengen an Strom und Wasserstoff, dessen Produktion selbst wiederum Unmengen an Strom ver- schlingt. Dieser müsste aus erneuerbaren Energien gewonnen werden, damit die Abgase nicht einfach durch einen anderen Schlot geblasen werden. Schät- zungen zufolge wären allein für die deutsche Stahl- industrie 100 bis 120 Terawattstunden nötig, um zu- nächst grünen Wasserstoff und damit dann grünen Stahl zu produzieren. Das wäre etwa die Hälfte des Stroms, der hierzulande im Jahr 2022 mit erneuer- baren Energien erzeugt wurde. Statt der Koksberge bräuchte es viele Wind­ räder. Nach Kalkulation von Thyssenkrupp Steel würde sich fast jedes der rund 3700 Windräder in Nordrhein-Westfalen nur drehen, um den Energie- hunger seines Stahlwerks zu stillen.

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Eisenerz-Pellets vor der Verarbeitung in einem Stahlwerk

Es gibt aber nicht nur diesen ungeheuren Bedarf an grünem Wasserstoff, es gibt auch ein ungeheures Bedürfnis, diesen Bedarf zu decken. Namibia, Ke- nia, Australien, Schweden – viele Länder, vor allem jene mit viel Sonne, Wasserkraft oder Wind, schi- cken sich an, die Scheichs von morgen zu werden. Sollte es ihnen gelingen, könnte sich Thyssenkrupp den Wasserstoff einkaufen, so wie es das mit der Kohle und dem Erz macht, die schon lange nicht mehr in der Region abgebaut werden. Aber selbst dann würde es danach kaum leichter. Denn Kohle und Erz können einfach verschifft werden – Wasserstoff muss dazu etwa erst in Ammo- niak verflüssigt werden, wobei er an Energie ver- liert. Es braucht Schiffe, die ihn transportieren kön- nen, Häfen, die ihn löschen können, und schließlich Anlagen, die mit ihm Stahl herstellen. Zumindest die restlichen Produktionsstufen, etwa die Gieße- reien, Walzwerke und Warmbandwerke, können bleiben, wie sie sind. Das aber macht den Umbau nur weniger teuer. Die erste Direktreduktionsanla-

ge, die spätestens im Jahr 2026 in Betrieb gehen soll, soll etwa zwei Milliarden Euro kosten. D ie Politik wird die Stahlhersteller auf dem Weg zum grünen Stahl stützen müssen, etwa durch Differenzverträge, wie die Bundes­ regierung sie plant: Für Unternehmen, die auf Wasserstoff umsteigen, will der Staat 15 Jahre lang die Mehrkosten abfedern. Gleichzeitig fordern die Unternehmen Regularien, die ihnen die Nachfrage sichern. So könnte die Politik etwa den Bauherren bei staatlich finanzierten Projekten auferlegen, nur grünen Stahl zu verbauen. Der Preis für grünen Stahl hängt zwar an den Energiepreisen, doch es gilt bereits als sicher, dass er vor allem am Anfang sehr viel teurer werden

2500 Sorten Stahl werden heutzutage hergestellt. Dazu gehören zum Beispiel Baustahl, Federstahl, Werkzeugstahl, Messerstahl, Beweh- rungsstahl und säu- rebeständiger Stahl

Im Labor von Salzgitter Mannesmann wird geprüft, wie Stahl zur Beförderung von Wasserstoff mit dem Element reagiert

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WANN GIBT ES GENUG GRÜNEN WAS- SERSTOFF?

dürfte als jener aus dem Hochofen. Eine Tonne grüner Stahl würde Berechnungen der Deutschen Energie-Agen- tur nach rund 1000 Euro kos- ten – und damit etwa 400 Euro mehr als konventioneller Stahl. Aber: Während Hänge- brücken oder die Tragwerke von Hochhäusern ohnehin

aus recyceltem Stahl gebaut werden, würde ein Auto Pi mal Daumen nur 250 Euro teurer werden. »Wer ein Auto oder einen Löffel kauft, der bezahlt den Aufschlag vielleicht sogar gern, wie bei Biogemüse«, sagt Weinberg. »Früher fragte man sich: Wieso für denselben Stahl mehr bezahlen? Aber das ändert sich allmählich.« Die Autobauer, die durch den Klimawandel zunehmend unter Druck gerieten, würden in dem grünen Stahl jedenfalls ein Ver- kaufsargument sehen, fügt Stefan Lechtenböhmer von der Universität Kassel hinzu. T hyssenkrupp will bis 2030 jährlich drei Mil- lionen Tonnen CO₂-neutralen Stahl produzie- ren; ab 2045 soll die Herstellung komplett umweltfreundlich ablaufen, so lautet zumindest der Plan. Denn auch wenn ein schwedisches Unterneh- men mit Wasserstoff bereits erste Stahlbrammen für den Autobauer Volvo herstellt – weltweit gibt es noch keine einzige Anlage, die großindustrielle Mengen fertigt. Zwar reduzieren Länder mit größeren Erd- gasvorkommen wie Russland oder Mexiko Eisenerz schon seit Langem mit wasserstoffreichem Erdgas. Noch aber wird experimentiert, wie sich reiner Was- serstoff in vergleichbaren Mengen verhält. Die Frage scheint weniger zu sein, ob der Einsatz von Wasserstoff sinnvoll ist, sondern wann es genug davon gibt. Deshalb verlässt sich Thyssenkrupp nicht allein auf diesen Energieträger. Der Konzern kann die Anlage auch mit Erdgas betreiben und wird das in der ersten Zeit tun. »Ohne diese Sicher- heit macht man so eine Investition nicht«, sagt Matthias Weinberg. »Denn wenn es zu wenig Was- serstoff gibt oder er zu teuer ist, können wir die Menschen nicht nach Hause schicken und ab­ warten. Vielmehr müssen wir die Produktion in Gang halten, um dieses Milliardenprojekt stemmen zu können.« Für das Unternehmen gibt es also ein Sicher- heitsnetz. Nur das Klima fiele durch die Maschen. Im Vergleich zum Hochofen spart die Direktreduk-

tion mit Erdgas zwar etwa zwei Drittel CO₂ ein, aber das ist nicht genug. Was also, wenn all der Wasser- stoff nicht kommt, den sich die Industrie erhofft? H ier setzt das Start-up Boston Metal an, das Wasserstoff als Reduktionsmittel überflüssig machen will. Es hat ein Verfahren entwickelt, bei dem Strom die Schlacke von dem Erz trennt: die Schmelzoxidelektrolyse. Ähnlich wird Aluminium schon seit über 100 Jahren veredelt. Der Strom fließt durch eine Art riesige Batterie, in der ein Gemisch aus gelösten Oxiden schwimmt, und zersetzt das Ei- senoxid bei etwa 1600 Grad Celsius in Sauerstoff und Eisen. Während der Sauerstoff aufsteigt, sinkt das geschmolzene Eisen in der brodelnden Oxid-Suppe zu Boden. Dort wird es zur Weiterverarbeitung abge- zapft. Weil etwaige Rückstände nicht mit dem Eisen schmelzen, eignet sich sogar minderwertiges Erz. Allerdings verbrauchen die Reaktorzellen eben- falls viel Strom. Forscher der Columbia University

35 Prozent

des neu produzierten Stahls in Deutschland werden von der Bau- industrie verarbeitet, 26 Prozent von der Autoindustrie

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In einem englischen Werk wird der flüssige Stahl in eine Form ge- gossen, in der er abkühlt und aushärtet

Zerlegte Schiffsteile in Warnemünde. Auf den ersten Blick: Schrott. Auf den zweiten: wertvoller Recycling-Rohstoff für neuen Stahl

schätzen zwar, dass sie im Vergleich zu den Direkt- reduktionsanlagen mindestens ein Viertel einspa- ren würden. Dennoch wären weltweit mehr als 5000 Terawattstunden pro Jahr nötig, um den Stahl so herzustellen – also etwa 20 Prozent dessen, was die Welt insgesamt verbraucht. Während die Reaktoren anfangs so groß wie eine Kaffeetasse waren und nur erdnussgroße Mengen Eisen herstellen konnten, soll das neueste Modell von der Größe eines Schulbusses immerhin ein paar Hundert Kilogramm Stahl pro Tag produzieren kön- nen. Im Jahr 2027 sollen es 1,5 Tonnen pro Jahr sein – etwa ein Drittel dessen, was einer der großen Hoch- öfen von Thyssenkrupp heute schafft. Die Reaktoren sind effizienter, sie brauchen weder Wasserstoff noch hochwertiges Erz und umschiffen so mögliche Engstellen. Aber nun, da Schätzungen zufolge 50 bis 70 Prozent der Hoch- öfen schon allein aus Altersgründen ersetzt wer- den müssen, sind sie noch nicht einsetzbar. »Der

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