VISIONEN | STAHLPRODUKTION D
ie Schlote der Hochöfen qualmen nur kurz in Schwarz-Weiß. Schnitt. Dann fliegt die Ka- mera schnell über weite Wiesen in einem Werbe video von Thyssenkrupp Steel, Deutschlands größ- tem Stahlhersteller. Die quellenden Rußwolken sind längst Schall und Rauch, soll das wohl heißen. Das Hier und Jetzt scheint grün wie das Gras, blau wie der Rhein, strahlend weiß wie die Windräder. Auf Satellitenbildern, die das Werksgelände von oben zeigen, ist jedoch kein Naherholungsgebiet zu erkennen: Auf dem neun Quadratkilometer großen Areal, fast fünfmal so groß wie das Fürstentum Mona- co, schlängeln sich 80 Kilometer Straßen und 470 Ki- lometer Schienen zwischen riesigen Produktions hallen, Bergen von Koks und qualmenden Schloten; dazwischen ein paar Grünstreifen und Baumreihen – grüne Sprenkel inmitten von sehr viel Braun. Sosehr sich Thyssenkrupp auch müht, sein Ge- schäft reinzuwaschen – Stahlkochen ist eine drecki- ge Angelegenheit. Für die elf Millionen Tonnen des Werkstoffs, die der Konzern jährlich produziert, stößt er 20 Millionen Tonnen CO₂ aus. Das ist etwa zehnmal so viel wie der innerdeutsche Flugverkehr und macht fast drei Prozent der deutschen Emis sionen aus. Weltweit strömen fast zehn Prozent des CO₂-Gesamtaufkommens aus den Schloten der Stahlindustrie. Um die globale Erwärmung unter der im Pariser Klimaabkommen angestrebten Gren- ze von 1,5 Grad Celsius zu halten, muss die Branche ihren Ausstoß des Treibhausgases nach Schätzung der Internationalen Energieagentur bis zum Jahr 2050 um 93 Prozent senken. Eine gigantische Herausforderung, zumal die Welt dann wohl noch einmal ein Drittel mehr Stahl verbauen wird. Denn egal ob Wolkenkratzer oder Tiny House, Auto oder Zug, Kraftwerk oder Wind- rad – die moderne Welt ist aus Stahl gemacht. Es geht nicht mit, es geht nicht ohne. Geht es anders?
Aus Hochöfen wird der künftige Stahl wohl je- denfalls nicht mehr fließen, denn ihre Emissionen lassen sich kaum noch verringern, in modernen An- lagen sind die Mittel dazu ausgereizt. Sie produzie- ren bis zu zwei Tonnen CO₂ je Tonne Stahl. Denn in ihnen wird der aus Kohle gewonnene Koks nicht nur verbrannt, um das Erz, wie es in der Natur vor- kommt, einzuschmelzen. Der Kohlenstoff aus dem Koks löst auch die Schlacke aus dem Erz heraus, in- dem er sich mit dessen Sauerstoff verbindet. Wäh- rend das CO₂ aufsteigt, strömt das glühende Eisen wie Lava aus dem Hochofen. Später wird es zu Stahl verarbeitet. Der Kohlenstoff ist also nicht nur Ener- gielieferant, sondern zugleich Reduktionsmittel. F ür den Hochofen gäbe es nur eine Hoffnung: das CO₂ unschädlich zu machen. So könnten Hersteller es aus den Schornsteinen abfangen und etwa in ehemalige Öl- und Gaslagerstätten un- ter die Erde pumpen. Die Internationale Energie- agentur hat ein Szenario entworfen, in dem noch im Jahr 2050 die Hälfte des Stahls mit Hochöfen herge- stellt werden könnte, wenn man das CO₂ so unter- irdisch lagern würde. Auch die Hersteller sprechen viel darüber, tun aber bis jetzt wenig – womöglich wegen der Kosten. »Das einzige Projekt ist vor ein- einhalb Jahren eingestellt worden«, sagt Stefan Lechtenböhmer, Professor für Nachhaltiges Tech- nologie-Design an der Universität Kassel. Noch ver- lockender, aber mindestens genauso unausgereift ist die Idee, das CO₂ nicht nur zu binden, sondern gar für sich zu nutzen. Forscher haben ein Bakte rium erschaffen, das sich von CO₂ ernährt und es in die Chemikalien Aceton und Isopropanol verstoff-
81 000 Menschen arbeiten in Deutsch- land in der Stahl- industrie. Vier Millio- nen weitere sind in stahlintensiven Branchen wie der Autoindustrie oder dem Maschinenbau beschäftigt
18 P.M. 02/2024
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