P.M. Magazin

VISIONEN | STAHLPRODUKTION

WANN GIBT ES GENUG GRÜNEN WAS- SERSTOFF?

dürfte als jener aus dem Hochofen. Eine Tonne grüner Stahl würde Berechnungen der Deutschen Energie-Agen- tur nach rund 1000 Euro kos- ten – und damit etwa 400 Euro mehr als konventioneller Stahl. Aber: Während Hänge- brücken oder die Tragwerke von Hochhäusern ohnehin

aus recyceltem Stahl gebaut werden, würde ein Auto Pi mal Daumen nur 250 Euro teurer werden. »Wer ein Auto oder einen Löffel kauft, der bezahlt den Aufschlag vielleicht sogar gern, wie bei Biogemüse«, sagt Weinberg. »Früher fragte man sich: Wieso für denselben Stahl mehr bezahlen? Aber das ändert sich allmählich.« Die Autobauer, die durch den Klimawandel zunehmend unter Druck gerieten, würden in dem grünen Stahl jedenfalls ein Ver- kaufsargument sehen, fügt Stefan Lechtenböhmer von der Universität Kassel hinzu. T hyssenkrupp will bis 2030 jährlich drei Mil- lionen Tonnen CO₂-neutralen Stahl produzie- ren; ab 2045 soll die Herstellung komplett umweltfreundlich ablaufen, so lautet zumindest der Plan. Denn auch wenn ein schwedisches Unterneh- men mit Wasserstoff bereits erste Stahlbrammen für den Autobauer Volvo herstellt – weltweit gibt es noch keine einzige Anlage, die großindustrielle Mengen fertigt. Zwar reduzieren Länder mit größeren Erd- gasvorkommen wie Russland oder Mexiko Eisenerz schon seit Langem mit wasserstoffreichem Erdgas. Noch aber wird experimentiert, wie sich reiner Was- serstoff in vergleichbaren Mengen verhält. Die Frage scheint weniger zu sein, ob der Einsatz von Wasserstoff sinnvoll ist, sondern wann es genug davon gibt. Deshalb verlässt sich Thyssenkrupp nicht allein auf diesen Energieträger. Der Konzern kann die Anlage auch mit Erdgas betreiben und wird das in der ersten Zeit tun. »Ohne diese Sicher- heit macht man so eine Investition nicht«, sagt Matthias Weinberg. »Denn wenn es zu wenig Was- serstoff gibt oder er zu teuer ist, können wir die Menschen nicht nach Hause schicken und ab­ warten. Vielmehr müssen wir die Produktion in Gang halten, um dieses Milliardenprojekt stemmen zu können.« Für das Unternehmen gibt es also ein Sicher- heitsnetz. Nur das Klima fiele durch die Maschen. Im Vergleich zum Hochofen spart die Direktreduk-

tion mit Erdgas zwar etwa zwei Drittel CO₂ ein, aber das ist nicht genug. Was also, wenn all der Wasser- stoff nicht kommt, den sich die Industrie erhofft? H ier setzt das Start-up Boston Metal an, das Wasserstoff als Reduktionsmittel überflüssig machen will. Es hat ein Verfahren entwickelt, bei dem Strom die Schlacke von dem Erz trennt: die Schmelzoxidelektrolyse. Ähnlich wird Aluminium schon seit über 100 Jahren veredelt. Der Strom fließt durch eine Art riesige Batterie, in der ein Gemisch aus gelösten Oxiden schwimmt, und zersetzt das Ei- senoxid bei etwa 1600 Grad Celsius in Sauerstoff und Eisen. Während der Sauerstoff aufsteigt, sinkt das geschmolzene Eisen in der brodelnden Oxid-Suppe zu Boden. Dort wird es zur Weiterverarbeitung abge- zapft. Weil etwaige Rückstände nicht mit dem Eisen schmelzen, eignet sich sogar minderwertiges Erz. Allerdings verbrauchen die Reaktorzellen eben- falls viel Strom. Forscher der Columbia University

35 Prozent

des neu produzierten Stahls in Deutschland werden von der Bau- industrie verarbeitet, 26 Prozent von der Autoindustrie

24 P.M. 02/2024

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