TECHNIK | IT-SICHERHEIT
möglichst viel Geld zu bekommen, resümiert sie später bitter. Für die Strafverfolgung sind solche Fälle ein Albtraum. Die Täter operieren international, nut- zen gefälschte Identitäten und verschleiern ihre Spuren. Während das Opfer in Deutschland sitzt, laufen die Fäden meist in anderen Ländern zusam- men. Die vermeintlichen Europol-Agenten rufen oft aus Callcentern in Osteuropa oder Afrika an, das Geld fließt über asiatische Konten, die Bitcoin-Wal- lets sind in alle Winde verstreut. Hinzu kommt: Die Betrüger hinterlassen kaum verwertbare Spuren. Prepaid-Handys werden nach wenigen Tagen weggeworfen, IP-Adressen über VPN-Dienste verschleiert, die verwendeten Konten bei Wise oder anderen Anbietern auf Strohmänner registriert. Selbst wenn Ermittler einen Geldfluss verfolgen können, führt die Spur oft zu ahnungslo- sen Mittelsmännern – sogenannten Geldmules –, die selbst Betrugsopfer sind. Das Krypto-Problem verschärft die Lage zusätz- lich. Während traditionelle Banküberweisungen noch Tage dauern und gestoppt werden können, sind Bitcoin-Transaktionen binnen Minuten abge- wickelt und unwiderruflich. Aber der beste Komplize von allen ist der Zeit- druck. Eine fundamentale Erkenntnis aus Psycho- logie und Hirnforschung: Unter emotionalem und zeitlichem Druck verlieren Menschen den Zugang zu ihren kritischen Denkfähigkeiten. Das Gehirn schaltet um auf das, was der Psychologe Daniel Kahneman »schnelles Denken« nennt – intuitiv, aber fehleranfällig. ZUSTAND DER ANGST »Dieses Muster springt nahezu automatisch an«, erklärt Christina Lekati, Sicherheitsforscherin und Psychologin. Die Kriminellen konstruieren be- wusst Szenarien, in denen Zeitdruck und Angst auf- einanderprallen. Die psychologische Falle ist tü- ckisch: »Wenn man in einem Zustand der Angst ist, will man da raus«, so Lekati. Man tut alles, um die- sen Zustand zu beenden. Hinzu kommt unsere na- türliche Kooperationsbereitschaft – schließlich gibt der Anrufer vor, zu helfen. Diese Mischung aus Angst und Hilfsbereitschaft wird zur Falle. »Du bist psychisch so kompromittiert, du hast keine Ressourcen mehr«, bestätigt Miriam Peters. Das Eingeständnis fällt ihr schwer – auch wenn sie rational verstehen kann, was passiert ist. Ihr Ge- hirn war schlicht überfordert.
Sind Emotionen also unser Verhängnis? Macht uns unsere Menschlichkeit zur berüchtigten »Schwachstelle Mensch«? Christina Lekati wider- spricht: »Das ist nicht nur unsere Schwäche, das ist auch unsere Stärke.« Die Kooperations- und Hilfs- bereitschaft als Schwäche zu brandmarken sei ein fatales Narrativ. »Wir haben über Jahrtausende ge- lernt: Überleben funktioniert nur gemeinsam. Wir sind soziale Wesen – das steckt in unseren Genen.« Dieser unausgesprochene Gesellschaftsvertrag hat tief verwurzelte neurologische Spuren hinter- lassen: »fixed action patterns« – angeborene Hand- lungsmuster, die automatisch unsere Reaktionen steuern. Bewusst hinterfragen lässt sich das schon, »aber einfach ist es nicht«, so Lekati. Genau hier setzen die Betrüger an. Sie kon- struieren Situationen, die diese Automatismen triggern. Dringlichkeit plus Emotionen. Sie
Die Währung der Scammer: Bitcoin- Transaktionen werden binnen Minuten abgewickelt und sind unwiderruflich
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