P.M. Magazin

RUBRIK | THEMA FORSCHUNG | EVOLUTION

Niedlich, aber echt mörde­ risch: Im Erdmännchen­ matriarchat pflanzt sich vor allem die Anführerin fort. Die Jungen anderer Weib­ chen müssen ebenso um ihr Leben fürchten wie die größten Konkurrentinnen, meist enge weibliche Verwandte

am Futterspender schiefe Blicke zuwarfen. Währenddessen fochten die Weibchen regel- rechte Luftschlachten aus. Diese Auseinander- setzungen wurden jedoch nicht als Revier- kämpfe erkannt, sondern augenzwinkernd mit »Pre-Breeding Syndrome« erklärt – einem imaginären Gegenstück zum prämenstruellen Syndrom (PMS) bei Frauen. Nach dem Motto: Die einen werden launisch, bevor ihre Periode startet, die anderen vor der Paarungszeit. Die Autoren dieser Studie waren gute Forscher, sie hatten gute Daten. Doch sie kamen gar nicht auf die Idee, dass im Zentrum der Rangordnung, die sie untersuchen wollten, die Weibchen standen. Die Wurzel des Problems sehen Sie im Frauen- bild der viktorianischen Zeit: Es beeinflusste, was Darwin in seiner Evolutionstheorie for- mulierte. Etwa dass sich Weibchen züchtig und passiv verhalten, während Männchen aktiv und kampfeslustig sind – und deswegen die Entwicklung einer Art stärker formen. Charles Darwin zählt seit mehr als 40 Jahren zu meinen Helden. Er war ein brillanter und akri­ bischer Wissenschaftler, der nichts leichtfertig veröffentlichte. Doch selbst er war nicht immun gegen solche kulturellen Einflüsse. Es erscheint verrückt, dass unsere Vorstellungen über Tier­ verhalten bis heute von viktorianischen Ansichten geprägt sind. Aber so ist es. Schauen wir uns einige Stereotype genauer an. Eine Eigenschaft, die oft Frauen zugeschrieben wird, ist Empathie. Sind weiblich dominierte Tiergemeinschaften friedlicher und sozialer als männliche? Bei vielen weiblich dominierten Arten geht es aggressiv und konkurrenzgetrieben zu. Sie sind nicht besser als männlich dominierte Gemein­ schaften. Die niedlichen Erdmännchen etwa mobben Konkurrentinnen gnadenlos und trei­ ben sie nicht selten in den Tod. Es gibt allerdings Ausnahmen. Eine weiblich geführte Gemein­ schaft, in der ich als Frau jenseits der 50 gern leben würde, ist die der Orcas. Dort treten die Großmütter nach der Menopause nicht aus post­ reproduktiver Scham in den Hintergrund, son­ dern drängen nach vorn und nutzen ihr Wissen, um die Gesellschaft zu führen. Und die ist sehr inklusiv: Es gibt etwa Berichte über Individuen mit verkrümmter Wirbelsäule, die durch Unter­ stützung der Gruppe ein langes Leben führten.

32 P.M. 02/2024

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