P.M. Magazin

TECHNIK | MATERIALFORSCHUNG

P . M .

ACADEMY

Neue Methoden der Materialdurchleuchtung helfen der Industrie – und schlichten sogar einen Streit zweier Professoren Neutronen auf Schatzsuche

TEXT: TIM SCHRÖDER

O riginal oder Fälschung? Über diese Frage streiten seit Jahren zwei Profes- soren der Archäologie. Es geht um ei- nen Goldschatz, der aus der Bronzezeit stammen soll. Ein Hobbyarchäologe hatte ihn bei Ausgrabungen bei Freising gefunden: ein Diadem, einen Gürtel, mehrere Anstecker und einen mit Gold umwickelten Holzstab. Die beiden Professoren begutachteten die Kost- barkeiten und kamen zu unterschiedlichen Ergeb- nissen. Der eine hält ihn für eine Fälschung, weil er aus sehr reinem Gold besteht, das sich nur mit mo- dernen industriellen Verfahren herstellen lasse. Der andere beharrt darauf, dass der Schatz echt sei, und kontert, dass man bereits in der Bronzezeit vor mehr als 3000 Jahren mit speziellen Verfahren sehr reines Gold herstellen konnte. Beide Wissenschaftler veröffentlichten Gutach- ten und Gegengutachten, um einander von ihrer Sichtweise zu überzeugen – vergeblich. Also holte man Verstärkung: Forscher vom Helmholtz-Zen- trum Hereon. Ihr Werkzeug? Kein Pinsel, keine Pinzette, sondern: Neutronenstrahlung. Denn Neutronen können, was Röntgenstrahlen kaum schaffen: Sie durchdringen selbst extrem dichte Materialien wie Gold. Röntgenstrahlung wird bei so schweren Metallen stark abgeschwächt – das Bild bleibt verschwommen. Neutronen dagegen lassen sich davon kaum beeindrucken. Sie durch- leuchten sogar massive Goldobjekte – und das mit erstaunlich feinem Detailblick. Während Röntgenstrahlen von den Elektronen der Atome gestreut werden, reagieren Neutronen mit den Atomkernen. Die Bilder liefern so besseren

P.M. & HEREON Das Helmholtz-Zen- trum »Hereon« in Geesthacht betreibt Spitzenforschung auf Weltniveau. Jeden Monat berichtet P.M. exklusiv über die neuesten Projekte. Zum Nachhören auch in unserem Podcast »Hereon Academy«

Kontrast, zeigen innere Spannungen, Bearbei- tungsspuren, sogar winzige Unterschiede im Kris- tallgitter – also der atomaren Ordnung im Inneren. Die Methode ist so präzise, dass sich aus der Ab- lenkung der Neutronen Rückschlüsse auf die Lage der Atome ziehen lassen. Genau das machten die Hereon-Forscher – gemeinsam mit der TU Mün- chen am Heinz Maier-Leibnitz Zentrum. Dort steht die Anlage, in der die Neutronen erzeugt werden – und mit der auch der Goldschatz ins Visier genom- men wurde. Schicht für Schicht, Atom für Atom. »In Metallen ordnen sich die Atome in kristalli- nen Strukturen an«, erklärt Hereon-Physiker Jean- François Moulin. »Auch in Gold. Um Gegenstände aus Gold herzustellen, wird das Gold bearbeitet – zum Beispiel mit Hämmern oder durch Walzen. Je nach Methode werden die Kristalle dabei unter- schiedlich verformt.« Diese charakteristische Verformung lässt sich mit Neutronen erkennen, sodass man feststellen kann, wie das Gold bearbeitet wurde. Und so konn- te Jean-François Moulin das Rätsel um den Schatz lösen. Das Gold wurde mit Rundhämmern in Form gebracht, die es bereits in der Bronzezeit gab. M it Neutronen lässt sich natürlich nicht nur Gold durchleuchten, sondern jede Art von Materie. Entsprechend vielfältig ist die Arbeit an der Forschungsneutronen-Quelle in München. Die Wissenschaftler haben bereits lebende Pflanzen untersucht und beobachtet, wie Wasser hindurchfließt. Sie haben in versteinerte Dinosaurier-Eier geblickt, um herauszufinden, ob darin Embryonen liegen. Und für einen Autoher-

Tim Schröder würde mit Neutronen gerne mal seinen Dach- boden durchleuchten, um den lärmenden Marder zu finden, der sich dort versteckt.

56 P.M. 08/2025

Made with FlippingBook flipbook maker