P.M. Magazin

FORSCHUNG | TIERISCHE THERAPIEN

In steriler Umgebung werden Fliegen herangezogen, um Maden zu gewinnen. Diese Insektenlarven dienten schon zu Napoleons Zeiten der Wundversorgung – und werden heute in der Medizin wiederentdeckt

Ronald Sherman, es für seine Pilotstudie selbst zu tun. Die Tiere sammelte er zunächst im Freien, dann ließ er sie in Eimern auf verrottendem Fleisch heranwachsen, bis sie sich verpuppten und Fliegen schlüpften. Die Insekten surrten in Käfigen herum, die Sherman selbst aus Fensterglas und Draht ge- baut hatte. So versuchte er, eine Fliegenart zu fin- den, deren Nachwuchs er besonders gut zur Wund- behandlung verwenden konnte. Als Sherman für seine Experimente schließlich ein Kliniklabor zugeteilt bekam, sammelte er die Maden auf vergammelter Rinderleber. Das stieß bei jenen Kollegen, mit denen er sich das Labor teilen

drei Tagen nahm er sie wieder ab – und habe »beein- druckende Ergebnisse« sehen können. Erhebliche Mengen des abgestorbenen Gewebes der Wunde seien entfernt worden. Darunter wuchs gesunde Haut nach. Die Pilotstudie galt als erfolgreich. Inzwischen arbeiten zahlreiche Mediziner an Publikationen zu dem Thema Madentherapie und versuchen zu ergründen, wie sie wirkt. Sind Maden wirklich so effektiv, wie Sherman behauptet? S o viel ist bekannt: Die speziell gezüchteten Tiere vertilgen abgestorbenes Gewebe, töten mit einem enzymreichen Sekret die Bakte- rien in der Wunde und stimulieren eine Regenera- tion der Haut. Heutzutage werden die Maden meist in einer Art verschlossenem Teebeutel auf die be- troffene Körperstelle gelegt. Selbst durch den dün- nen Stoff können sie das Gewebe schnell reinigen, sagt Rosalyn Thomas, Fußspezialistin am Swansea Bay University Health Board in Großbritannien. Seit mehr als zwei Jahrzehnten behandelt sie Patientin- nen und Patienten mithilfe der kleinen Kreaturen. Die Maden werden auch als mögliche Lösung für die zunehmende Resistenz von Bakterien gegen Antibiotika gesehen: Ihr Sekret bricht die Schleim- schicht auf, die manche Erreger schützend umgibt, und schafft ein säurehaltiges Milieu. Dadurch

Die Maden der Gold­ fliege (Lucilia sericata) haben sich als beson­ ders hilfreich bei der Wundheilung erwiesen

musste, auf wenig Gegenliebe. Aber auch als Sherman in ein kleineres Labor und schließlich in einen Abstellraum verbannt wurde, ließ er sich nicht beirren. 1990 war es schließlich so weit: Der Mediziner hatte die Goldfliege, wissenschaftlich Lucilia sericata genannt, als aussichtsreichsten Kandida- ten isoliert und vermehrt. Da- raufhin legte er madenhaltige Verbände auf chronische Wun- den seiner Patienten. Nach zwei,

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