P.M. Magazin

FORSCHUNG | INFEKTIONSTHERAPIE

Kapsidkopf

DNA

Nukleinsäure

Kragen

Schwanzscheide

F

Basalplatte

Schwanzfasern

Spikes

VIREN-RAUMFÄHRE Je nach Phagenart unterscheidet sich der Aufbau. Was sie eint: Über 95 Prozent der Phagen bestehen aus einem Kopf- und einem Schwanzteil, wie diese Escherichia- Phage. Andere Bakteriophagen haben etwa eine kubische Form wie die Ente- robacteria-Phage M13

ür die Therapie, die sein Leben verändern sollte, legte sich Tilman Neubronner auf sei- ne Couch. Vorsichtig träufelte er mit einer Pipette eine klare Flüs- sigkeit in sein linkes Ohr, so viel, dass sein Gehörgang und seine Hörmuschel randvoll gefüllt waren. Dann wartete er. Zehn Minuten, 20 Minuten. Bis er die Prozedur auf dem rechten Ohr wiederholte. Seit drei Jahren litt Neubronner an eitrigen Ohren- entzündungen, so schlimm, dass er seine Hörgeräte nicht mehr tragen konnte. In größeren Grup- pen kommt er ohne die Hilfsmit- tel aber nicht zurecht. »Das war für mich sehr belastend«, sagt der 70-Jährige heute. Daher setzte er damals, im November 2023, seine ganze Hoffnung auf die wässrige Lö- sung in seinen Ohren. Phagen waren darin enthalten, Viren also, die gezielt Bakterien befal- len. Sie sollten dort wirken, wo Antibiotika nichts mehr ausrich- ten konnten. »Die Bakterien in seinem Ohr waren gegen Anti- biotika resistent«, sagt der Un-

fallchirurg und Orthopäde Christian Willy vom Bundes- wehrkrankenhaus in Berlin, der Neubronner behandelt hat. Weltweit beobachten Medizi- ner mit Sorge, dass Bakterien zu- nehmend gegen Antibiotika ge- feit sind. Mehr als 39 Millionen Menschen könnten bis zum Jahr 2050 an antibiotikaresistenten Erregern sterben, so berichteten es kürzlich Forschende der Uni- versity of Washington im Fach- blatt »Lancet«. Bei weiteren 169 Millionen Todesfällen könnten diese Bakterien zumindest eine Rolle spielen. Bereits in den Jah- ren 1990 bis 2021 kamen mehr als eine Million Menschen aufgrund von Resistenzen ums Leben. Pro Jahr. Immerhin diskutieren mehr und mehr Institutionen die Frage, inwiefern Phagen zur Be- kämpfung der Resistenzen bei- tragen können. Die Gemeinsame Forschungsstelle der EU-Kom- mission etwa veröffentlichte im Frühjahr 2024 einen Bericht über das Potenzial und die Anwen- dung der Phagenbehandlung. Im

Juli 2024 wurden in einem neuen Kapitel des Europäischen Arz- neibuchs zum ersten Mal europa- weite Qualitätskriterien veröf- fentlicht, wie Phagen für eine Therapie am Menschen herzu- stellen sind. Daran angelehnt, entsteht in Deutschland derzeit eine Leitlinie zur personalisier- ten Phagentherapie. In wenigen Monaten soll das Dokument fer- tig sein. Nicht mehr ob, sondern wie Phagen zum Einsatz kommen sollen, ist künftig die Frage. Wie Mondlandefähren sehen Phagen meist unter dem Mikro- skop aus, sie haben einen eckigen Kopf, in dem das Erbgut lagert, einen langen Stiel und darunter sechs faltbare Beine. Sie können wie andere Viren nicht allein wachsen oder sich vermehren. Dafür brauchen sie Bakterien. Daher landen sie auf deren Ober- fläche und docken dort an Rezep- toren an. Dann spritzen sie ihr eigenes Erbgut in die Bakterien- zelle, die dann plötzlich Phagen produziert, statt eigene Eiweiße herzustellen. Bis sich die Bakte- rienhülle irgendwann auflöst

12 Bakterienarten

hat die WHO auf eine Liste gesetzt, für die dringend neue Medi- kamente entwickelt werden müssen. Die gefährlichsten: Enterobacteriaceae, Acinetobacter baum- annii, Pseudomonas

08/2025 P.M. 61

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