P.M. Magazin

werden die Mikroben quasi aufgelöst. Inwieweit sie tatsächlich herkömmliche Antibiotika ersetzen oder ergänzen können, bleibt jedoch abzuwarten. Denn sie haben selbst ein Thema mit Resistenzen: Bei ei- ner Infektion mit dem Darmkeim Escherichia coli etwa überleben einige Einzeller die Behandlung mit den Maden. Deswegen sprachen sich Forschende dafür aus, die tierische Therapie nur in Kombina- tion mit anderen Mitteln wie Antibiotika anzuwen- den. Rosalyn Thomas sieht die Tiere vor allem als hilfreich an bei der zunehmenden Anzahl von Dia- betikern, weil diese auch oft unter chronischen Wunden leiden. BLUTEGEL D och nicht nur Maden werden wichtiger für die Medizin. Auch ein Lebewesen, das schon lange in der Heilkunde bekannt ist, doch erst vor Kurzem für medizinische Behandlungen zugelassen wurde, hält Einzug in die Arztpraxen: der Blutegel. Als die Tiere sich erstmals an seinem Fuß fest- beißen, zweifelt Kai Uwe Meding noch. Er leidet seit sechs Jahren unter einem komplexen Schmerz­ syndrom. Deshalb fällt ihm das Treppensteigen schwer, auch längere Strecken erschöpfen ihn. Aber Meding will sein Leben nicht von seinem Schmerz bestimmen lassen. Nach vielen erfolglosen Behand- lungen schlägt ihm seine Schmerztherapeutin die Anwendung von Blutegeln vor. Der Speichel der Tiere soll unter anderem schmerzlindernd wirken. Substanzen wie das darin enthaltene Hirudin wir- ken sich laut dem Biologen Jan-Peter Hildebrandt von der Universität Greifswald positiv auf das menschliche Blutsystem aus. Sie sorgen etwa dafür, dass die Plättchen in unse- rem Blut weniger verklumpen, oder verhindern die Gerinnung, die auch für Schorfbildung bei Wunden verantwortlich ist. Wenn der Parasit sich festbeißt, entsteht eine Wunde in Form eines Sterns. »Wenn jemand uns derartig mit einem Messer verletzen würde, würden wir das schmerzlich spüren«, erklärt Hildebrandt. »Den Blutegelbiss merkt man jedoch kaum.« Durch die Substanzen im Speichel des Egels werde auch das Schmerzsystem unterdrückt. Bei der ersten Anwendung lässt Kai Uwe Meding sich in der Praxis seiner Schmerztherapeutin auf ei- nem Liegesessel nieder. Eine Pflegerin legt ihm eine Manschette zum Messen des Blutdrucks an, wäscht seinen Fuß und setzt die Tiere auf die Haut. Einige

In Europa kommen vor allem Medizinische Blutegel (Hirudo medi­ cinalis und Hirudo verbana) zum EInsatz. Normalerweise leben sie im Süßwasser

beißen sich fest und saugen sich mit Blut voll, nach einiger Zeit fallen sie wieder ab. Meding spürt an- schließend keine deutliche Verbesserung seiner Be- schwerden. Daraufhin setzt die Schmerztherapeu- tin die Blutegel an seiner Achillesferse an. Meding empfindet ein Zwicken und Zwacken, bemerkt, wie sich die Muskulatur lockert und der Schmerz nach- lässt. Er kann danach eine Zeit lang besser Treppen steigen und längere Strecken zu Fuß gehen. Viermal hat er sich seither der Behandlung unterzogen. Doch nicht jeder Einsatz der Blutsauger verläuft derart erfolgreich: Bei unsachgemäßer Handha- bung, sagt der Biologe Hildebrandt, könnten in einigen Fällen auch Infektionen auftreten. Wenn man etwa nicht abwartet, bis sich die Tiere von selbst vom Patienten lösen, sondern versucht, sie aus der Haut zu ziehen, könne ein Teil ihres Magen- inhalts in die Wunde gelangen und sie infizieren. Blutegel werden laut Hildebrandt auch bei Hauttransplantationen eingesetzt, etwa nach Unfäl- len. Indem die Tiere Stauungen in den Adern lösen, wird transplantiertes Gewebe besser durchblutet und somit die Heilung beschleunigt.

Hirudin Die Substanz aus dem Egelspeichel vermag die Blutge- rinnung zu hemmen. Ihren Namen erhielt sie 1904 nach dem wissenschaftlichen Namen der Blutegel: Hirudinae

P.M. 61 02/2024

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