P.M. Magazin

FORSCHUNG | INFEKTIONSTHERAPIE

» Auf jedes Sandkorn unseres

Planeten kommen etwa

eine Billion Phagen «

in Georgien etwa oder in Polen sowie das Institut Pasteur in Paris setzten die Behandlungen fort. Im Gegensatz zu Antibiotika haben Phagen einen großen Nachteil: Sie sind äußerst wähle- risch darin, welche Bakterien- stämme sie befallen. Daher etwa mussten die Mediziner am Bun- deswehrkrankenhaus in Berlin erst prüfen, ob ihre verfügbaren Phagen gegen den resistenten Bakterienstamm im Ohr von Tilman Neubronner etwas aus- richten konnten. »Ich hatte Glück«, erinnert sich Neubron- ner. Er beschloss, die Therapie zu versuchen Noch haben große klinische Studien nicht gezeigt, dass die Phagentherapie tatsächlich ge- gen resistente Infektionen hilft. Was vor allem daran liegt, dass Forschende in solchen Untersu- chungen üblicherweise die Wir- kung eines neuen Arzneimittels mit jener eines Scheinmedika- ments vergleichen. Doch bei der Phagenbehandlung erhält jeder Patient einen anderen Phagen- cocktail, genau auf die eigene In- fektion abgestimmt. »Daher ist eine klinische Studie schwer

und die neuen Phagen in ihre Umgebung ausströmen. P hagen finden sich überall, wo auch Bakterien sind, in den Ozeanen, in der Erde, im menschlichen Körper. Keine andere Lebensform kommt auf unserem Planeten so häufig vor. »Auf jedes Sandkorn unseres Planeten kommen etwa eine Billion Phagen«, sagt Claas Kirchhelle, Wissenschaftshisto- riker am Nationalen Institut für Gesundheit und medizinische Forschung INSERM in Paris. Bereits im Jahr 1915 hatte ein englischer Forscher in einem Fachartikel beschrieben, dass ir- gendetwas Merkwürdiges seine Bakterienkulturen zerstöre, dar- in glasige Flecken hinterließ. Zwei Jahre später sprach der Franzose Félix d’Hérelle zum ers- ten Mal von Bakteriophagen, den Bakterienfressern, angeblich kam ihm der Geistesblitz beim Abendessen mit seiner Familie. Im August 1919 wagt es d’Hérelle, den ersten Patienten zu behandeln, einen schwer kranken, elfjährigen Jungen im Hôpital des Enfants Malades in

Claas Kirchhelle, Wissenschaftshistoriker

70 Prozent geringer ist die

Paris. Doch erst, nachdem d’Hé- relle die wässrige Lösung an sich selbst, seiner Frau, seinen Töch- tern und 20 Ärzten ausprobiert hat. Der Patient überlebt, und die Phagen gelten plötzlich als neues Allheilmittel der Medizin. »Der Hype war enorm«, sagt der Wis- senschaftshistoriker Kirchhelle. Im Zweiten Weltkrieg etwa ver- sorgten die Behring-Werke die deutsche Wehrmacht mit Pha- gen, um verwundete Soldaten in Nordafrika damit zu behandeln. Bald jedoch übertönte eine neue Entdeckung den Lärm um die Phagen: Der britische Medizi- ner Alexander Fleming hatte ent- deckt, dass chemische Substan- zen eines Schimmelpilzes viele verschiedene Bakterienarten ab- töten können. Es sollte zwar bis zum Jahr 1941 dauern, bis der erste Patient mit Penicillin be- handelt wurde. Dennoch geriet die einst so gefeierte Phagen- therapie in Vergessenheit, nur wenige Forschungseinrichtungen

Wahrscheinlichkeit, dass die Bakterien vernichtet werden, wenn bei der Phagentherapie kein begleitendes Anti- biotikum eingesetzt wird – so das Studienergebnis des Biotechnologen Jean-Paul Pirnay

Meilenstein der Pha- genforschung: Der Biotechnologe Pirnay untersuchte die Wirk- samkeit von Phagen- therapien. Bild rechts: zwei Platten mit mu- tierten Bakterien. Klare Bereiche im oberen linken Viertel der lin- ken Platte zeigen: Das Antibiotikum wirkt

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