P.M. Magazin

Passiert das offiziell, oder müssen diese Perso­ nen fürchten, von ihrem Arbeitgeber belangt zu werden? Einige von ihnen fürchten tatsächlich Vergeltungs- maßnahmen und haben dennoch das Bedürfnis, über die Geschehnisse zu sprechen, und halten es für wichtig, dass die Öffentlichkeit von ihren Missständen erfährt. Deshalb ist es wichtig, sich als Forscher bewusst zu machen, was für die Arbeitnehmer auf dem Spiel steht, die mit uns sprechen und Forschungsprojekte mit uns durch- führen. Wir schulden ihnen Respekt und Wert- schätzung. Ohne die Datenbearbeiter, die ihren Arbeitsplatz aufs Spiel setzen, um mit mir zu sprechen, könnte ich meine Forschung nicht durchführen. In diesem Sinne gehört diese For- schung nicht nur mir, sondern auch ihnen. Wird Ihre Arbeit in der Öffentlichkeit wahr­ genommen? Ja, mittlerweile. Aber das dauerte etwas. Seien wir ehrlich: Niemand liest wissenschaftliche Paper, die schreiben wir nur für unsere kleinen Kreise. Die Aufmerksamkeit kam, als ich begann, auf Veranstaltungen aufzutreten und Interviews zu geben. Dass parallel der große KI-Hype losbrach, hat natürlich geholfen. Wie reagierten die KI-Unternehmen wie OpenAI, Amazon oder Google auf Ihre For­ schung? Ausgesprochen ablehnend. Sie reiten auf Details der Technologie herum, die ihrer Meinung nach nicht akkurat dargestellt sind, anstatt sich mit den eigentlichen Aussagen zu befassen. Auch Kollegen aus der Informatik haben mich nicht ernst genom- men, weil ich eine Soziologin bin – und vermutlich

Die großen Vermittler CROWDSOURCING Die wichtigste Plattform für die Vermittlung von Data Work ist »Amazon Mechanical Turk« (MTurk), das zur Web-Services-Division des US-Konzerns gehört. MTurk funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip wie die Dienstleistungsunternehmen Uber oder Helpling: Auftraggeber und -nehmer können sich verknüpfen, Vertragskonditionen vereinbaren und die Bezahlung über die Plattform abwickeln. Der Name leitet sich vom »Schachtürken« ab, einem vorgeblichen Schachroboter, den der Mechaniker Wolfgang von Kempelen im 18. Jahr­ hundert konstruierte – und hinter dem sich in Wahrheit ein menschlicher Schachgroßmeister verbarg. Die 2005 gestartete Plattform wird nicht nur von KI- und Techno­ logieanbietern genutzt. Auch Forschende setzen auf die Plattform, um Teilnehmende für Studien zu gewinnen. Bei der Fahndung nach Vermissten kam MTurk ebenfalls zum Einsatz, etwa bei der – letztlich erfolglosen – Suche nach dem Turing-Award-Gewinner Jim Gray. Der größte Konkurrent von MTurk ist die Plattform »Toloka«, die 2014 an den Start ging. Sie gehört zum russischen Technologie­ konzern Yandex, bekannt für seine gleichnamige Such­ maschine. Der russische Begriff »toloka« stand in früheren Zeiten für eine Form gegenseitiger Unterstützung in Dorfgemeinschaften. Das Unternehmen veröffentlicht auch Datensätze und macht sie Forschenden zugänglich.

auch, weil ich eine Frau bin. Wie sind Sie dem begegnet?

Ich habe einen Doktor in Computerwissenschaften gemacht. Danach konnten sie mich nicht mehr ignorieren. Und die Plattformen? Die berufen sich nun auf Standards, die sie angeb- lich implementieren, oder schieben die Verant- wortung auf die Dienstleister und Plattformen. Mittlerweile ist aber die Politik aufmerksam ge- worden, sowohl in Europa als auch in den USA. Eine Gruppe von Kongressabgeordneten hat auf Basis unserer Forschung den betroffenen Konzer- nen einen offiziellen Brief geschrieben und sie zu dem Thema befragt. Wir haben mit den Abgeord- neten dafür auch direkt zusammengearbeitet. Das

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