P.M. Magazin

In vielen Fällen hatten indigene Weltan- schauungen einen großen Einfluss darauf, wenn Rechte der Natur anerkannt wurden

natürliche Personen – den Menschen – und juristi- sche Personen, wozu bestimmte Unternehmensfor- men zählen, etwa Aktiengesellschaften. Flora und Fauna kommen bislang nicht als »Rechtssubjekte« vor, sondern als »Rechtsobjekte«, vergleichbar mit Gegenständen oder Vermögen. Ginge es nach Vanessa Hasson de Oliveira, wür- de eine dritte Kategorie eingeführt: ökologische Personen. Tiere, Pflanzen und ganze Ökosysteme wären juristischen Personen gleichgestellt; die In- teressen von Unternehmen müssten dann gegen die der Natur auf einer völlig neuen Grundlage ab- gewogen werden. Dass darunter nun auch ein phy- sikalischer Prozess, eine brechende Welle, verstan- den wird, ist allerdings etwas Neues. »Wir müssen unser Verständnis und unseren Umgang mit der Natur überdenken, um dem Ver- lust der Artenvielfalt und dem Wegbrechen unserer Lebensgrundlage entgegenzuwirken«, sagt Hasson de Oliveira. Die 55-Jährige wurde in São Paulo ge- boren und studierte dort Umweltrecht. 2004 grün- dete sie die Organisation Mapas, die inzwi- schen acht fest angestellte Mitarbeiter und etwa 50 freiwillige Helfer hat. Gemeinsam kämpfen sie dafür, die Rechte der Natur in neue juristische Formen zu gießen. Die Idee dafür geht auf ein Buch des US- Amerikaners Christopher Stone zurück. Der Rechtswissenschaftler war 1972 mit dem Disney-Konzern über den Bau einer Hotelanlage in Kalifornien in Konflikt ge- raten. Der Titel des Buchs stellt die Frage: Sollten Bäume Rechte haben? Aus der Idee ist längst eine globale Be- wegung geworden. Weltweit melden sich

Initiativen zu Wort, um die Rechte der Natur in den jeweiligen Gesetzen zu berücksichtigen. Zwischen 2006 und 2021 waren es mehr als 400. Und nicht selten führt das Engagement zu Erfolg: In Indien wurden mehrere Flüsse zu Rechtspersonen erklärt, in Neuseeland eine ganze Gebirgskette, die für die eingeborenen Maori eine spirituelle Bedeutung hat. K olumbien und Bolivien haben Teile ihres Regenwaldes zu Rechtspersonen erhoben. Auch in Argentinien, Panama, Uganda, Bangladesch und Kanada wurden Ökosysteme zu Rechtssubjekten erklärt. Die Vereinten Nationen versuchen seit 2009, die verschiedenen Strömun- gen in ihrem »Harmony with Nature«-Programm zu bündeln. Man kann all dies juristisch betrachten: als Wei- terentwicklung von spezifischen Umweltrechten hin zu fundamentalen Rechten der Natur. Oder als eine Rückbesinnung auf ein Leben in Harmonie mit der Natur. In jedem Fall ist es ein revolutionärer Ansatz, ein Paradigmenwechsel, der sich auf vielen Ebenen an vielen Ort zugleich voll- zieht. Es ist eine juristische und politische Bewegung, aber auch eine zutiefst ethische und philosophische mit fundamentalen Fol- gen für unser Leben auf dem Planeten Erde. Denn nun sind es Länder des Globalen Sü- dens, und da insbesondere naturnah leben- de indigene Völker, die eine Rechtsvorstel- lung zur weltweiten Umsetzung vorbringen. Bisher waren es meist Konzepte des vermeintlich fortschrittlichen Nordens, die übernommen wurden, häufig in Form kolo- nialer Gesetzgebung. Die Natur selbst als

Der Umweltjuristin Hasson de Oliveira gelang es erstmals in Brasilien, in Bonito und Paudalho die Rechte der Natur offiziell anerkennen zu lassen

08/2025 P.M. 69

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