P.M. Magazin

Gleiche Rechte – auch für die Natur INITIATIVEN Der »Eco Jurisprudence Monitor« sammelt seit 1990 Initiativen, die sich für Rechte der Natur und erdzentrierte Gesetze einsetzen. Auffällig ist der Anstieg im letzten Jahr- zehnt und die Häufung in Latein- sowie in Nordamerika. Neben der Natur im Allgemeinen setzen sie sich vor allem für Süßwasser- und Meeresökosysteme sowie Tiere, etwa bedrohte Arten, ein.

Lateinamerika Nordamerika Ozeanien

Afrika Asien Europa International

ANZAHL DER INITIATIVEN

Region

Initiativen insgesamt

50 100 150 200 250 300 350 400 450 500 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 2024 550

Ob die deutsche Öffentlichkeit schon bereit sei, neben natürlichen und juristischen auch ökologi- sche Personen gleichberechtigt zu akzeptieren, müsse man abwarten, sagt Emmanuel Schlichter. Mit seinem Verein verfolge er zwei Strategien: »Ei- nerseits von oben, auf Gesetzesebene, und ande- rerseits eine Bewegung von unten, von Menschen, die sich vor Ort für ihr Ökosystem einsetzen.« Dass dabei auch mit Widerständen zu rechnen ist, ist Schlichter klar. So hat es auch Vanessa Hasson de Oliveira und ihre Organisation Mapas erlebt. »In einem Land wie Brasilien leben viele Menschen in bitterer Armut. Deshalb ist die wirtschaftliche Ent- wicklung sehr wichtig«, sagt sie. Dass Fabriken sich einschränken sollen, weil der Fluss und die Wellen Rechte haben, sei nicht einfach zu vermitteln. »Was ist mit ihrem Recht, eine warme Mahlzeit auf dem Teller zu haben, fragen die Menschen.« In Linhares stellt diese Frage kaum noch jemand, so Hasson de Oliveria. »Die geschützte Natur und vor allem die großartigen Surfwellen locken so viele Touristen her, dass davon die gesamte Gemeinde profitiert.«

Rechtsordnung würde den Rechtsschutz der Natur und der Umwelt im Allgemeinen bereits gewähr- leisten. Durch die Kombination aus dem Staatsziel Umweltschutz im Grundgesetz, dem bestehenden Umwelt- und Naturschutzrecht und den Klage- rechten der Öffentlichkeit gebe es in Deutschland ein grundsätzlich funktionierendes System. Aller- dings schließe das Ministerium eine Erhöhung des Schutzniveaus in bestimmten Bereichen nicht aus. R eichen die bestehenden deutschen und eu- ropäischen Gesetze womöglich schon aus? »Unser Tierschutzgesetz schützt nicht die Tiere, sondern regelt ihre Nutzung«, sagt Christine Ax. »Unser Artenschutzgesetz unterliegt regelmä- ßig vor Gericht, wenn es um die wirtschaftlichen In- teressen von Landwirten, Eigentümern und Inves- toren geht. Die Umweltschutzgesetzgebung regelt die Zerstörung der Umwelt, aber beendet sie nicht.« Um die Natur effektiv zu schützen, so Ax, sei es not- wendig, Eigenrechte der Natur anzuerkennen. Überraschenden Rückenwind erfuhr die Na- turrechtebewegung durch ein Urteil des Landge- richts Erfurt im August 2024. Vordergründig ging es nur um eine Schadenersatzklage eines Autokäufers im Rahmen des »Dieselskandals«, doch der Richter erklärte in seiner Urteilsbegründung, aus gelten- dem europäischen Recht, nämlich der Grundrech- techarta der EU, lassen sich auch Eigenrechte der Natur ableiten, die durch die Fahrzeugabgase be- einträchtigt würden. »Ein wichtiger erster Schritt«, so Ax, »und hoffentlich eine Ermutigung der Ge- setzgeber, den roten Faden aufzunehmen.«

· Werden Ökosysteme wie Gletscher zu Rechts- personen erklärt, können sie vor Gericht vertreten und verteidigt werden. · Nach dem Bruch einer Stauanlage verseuchte das Gewässer – für mehr Schutz wurden 2024 die Wellen in Linhares juristisch mit Lebewesen gleichgestellt. · Besonders Latein- und Nordamerika sind Vorreiter für Gesetzesänderungen zugunsten der Natur.

Frank Odenthal hat während der Re- cherche viel über die spirituelle Verbindung der indigenen Völker Lateinamerikas zur Natur gelernt.

08/2025 P.M. 71

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