VISIONEN | MEERESBIOLOGIE
strumente klinisch sauber waren? Dann sagen Sie Danke zu denen hier.«
Nutzkrebs Pfeilschwanzkrebse wurden vor 100 Jah- ren an der US-Ost- küste in großen Mengen gesammelt. Sie dienten vor allem als Futter für Schwei- ne und Hühner oder wurden zu Pflanzen- dünger verarbeitet
as Schauspiel am Strand der Stadt New Haven an der
WERTVOLLES BLUT Mit ihren Worten spielt Cuomo auf das Blut der Pfeilschwanzkrebse und seine besondere Eigen- schaft an. Es ist zunächst schmutzig weiß bis fahl- gelb, doch bei Kontakt mit Sauerstoff verwandelt es sich in leuchtendes Hellblau. Die Färbung entsteht, weil das Sauerstoff transportierende Protein auf Kupfer basiert (Hämocyanin) und nicht wie beim Menschen auf Eisen (Hämoglobin). Seine wahre »Zauberkraft« liegt jedoch in den Blutzellen: Sie enthalten einen Extrakt namens Limulus-Amöbozyten-Lysat, abgekürzt LAL. Des- sen einzigartige Eigenschaft liegt darin, dass es augenblicklich gerinnt, wenn es mit bakteriellen Endotoxinen in Kontakt kommt. Das macht LAL zum perfekten Detektor für bakterielle Verunreini- gungen in Medikamenten, auf chirurgischen In- strumenten oder in Lebensmitteln. Die Entdeckung dieser Fähigkeit geht auf die 1950er-Jahre zurück. Die Mediziner Frederick Bang und Jack Levin stießen im Zuge immunologischer Studien auf dieses vermutlich älteste Immunsys- tem der Erdgeschichte. Da Pfeilschwanzkrebse seit Hunderten Millionen Jahren in einer wahren Bak- teriensuppe leben – ein Kubikzentimeter Meerwas- ser enthält Millionen von Mikroorganismen –, ha- ben sie diese unvergleichliche Abwehr entwickelt.
Ostküste der USA könnte sich so auch schon vor etwa 450 Millionen Jahren abgespielt haben. Denn es ist Teil einer uralten Überlebensstrategie. Es ist ein kühler Maiabend, Meeresbiologin Carmela Cuomo ist unterwegs, um die Eiablage der Pfeil- schwanzkrebse zu beobachten. Am Boden sind parallele Kratzspuren im Ab- stand von etwa 30 Zentimetern zu sehen, die in zwei hufeisenförmigen Erhebungen enden. Sie muten wie Steine an. Doch plötzlich beginnen sie, sich knirschend zu bewegen. Ein mühsamer Schritt, dann Pause, dann wieder ein Schritt. Carmela Cuomo ist begeistert: Die Pfeil- schwanzkrebse sind angekommen. Seit Ende der 1990er-Jahre erforscht sie die bizarren Glieder- füßer, von denen es noch vier Arten auf der Welt gibt. Diese hier an der amerikanischen Ostküste heißt »Limulus polyphemus«. Das spektakuläre an den Tieren ist ihr Arterhaltungsprogramm, das seit Hunderten Millionen Jahren nahezu unverändert funktioniert – und sie zum begehrten Objekt von Forschung und Industrie macht. Aber erst mal zur Vorstellung der Tiere: Pfeil- schwanzkrebse benötigen neun bis elf Jahre, bis sie geschlechtsreif werden. Dann ist ihr gepanzerter Körper etwa so groß wie eine Schallplatte, aus der hinten ein spitzer Stachel wächst. Jedes Jahr im Mai und Juni suchen sie die seichten Uferregionen an der Ostküste des amerikanischen Kontinents auf, um in Voll- und Neumondnächten mit der Flut an Land zu krabbeln. Die Weibchen haben jeweils ein Männchen im Schlepptau, das die im Sand vergra- benen Eier befruchtet. Von den 80 000 Eiern, die ein Weibchen pro Saison legt, rechnet Cuomo vor, erreicht vielleicht ein Tier das Erwachsenenalter. Pfeilschwanzkrebse haben kaum Fleisch, bloß fünf dünne Klauenpaare und Eingeweide. Genau genommen sind sie keine Krebse, sondern enger mit den Spinnen und Skorpionen verwandt. Für Carmela Cuomo die großartigsten Geschöpfe der Welt: »Sie haben alles überlebt. Die Entstehung der Kontinente, die Eiszeiten und Meteoritenein- schläge.« Sie bückt sich, streichelt über den mit Ko- rallen bewachsenen Panzer eines Weibchens und fragt: »Sind Sie schon mal geimpft worden? Oder haben eine Operation gut überstanden, weil die In-
Meeresbiologin Carmela Cuomo am Strand bei der Eiablage der Pfeilschwanz- krebse. Sie hat die Universität verlassen, um die Tiere zu züchten
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