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Ein Gelehrter mit Gespür für sensationelle Auftritte begab sich mit Pumpe und Kugel auf die Suche nach der absoluten Leere Der Lärm ums Nichts NERD ALERT zündende momente der wissenschaft /011

W ir begeben uns gleich zu Anfang auf eine Zeitreise zurück ins Jahr 1654, Reichstag in Regens- burg, beginnende Ära der Aufklärung. Kaiser Ferdinand III. ist zuge- gen und die hohen Stände und gemeines Volk und Gelehrte. Mittendrin ein heller Kopf aus Magde- burg, Otto Guericke, ein früher Populärwissen- schaftler, der für seine Verdienste später geadelt werden sollte, aber nun erst einmal vor großem Publikum mit Pumpen hantiert und Luft wiegt in einem Glasballon und den Luftdruck nachweist und wenige Jahre darauf mit seinen »Magdeburger Halbkugeln« berühmt wird. Dutzenden Muskel- protzen und selbst Pferden will es schlicht nicht ge- lingen, zwei Kugelhälften aus Kupfer zu trennen, die durch die Magie der Luft aufeinanderkleben. Ein großes Schauspiel ist das, wo immer es auch aufgeführt wird. Jener Otto von Guericke (1602–1686) war näm- lich auf der Suche nach dem Nichts, nach der reinen Leere, dem perfekten Vakuum. Daran hatten sich seit der Antike bereits viele andere abgearbeitet und sich darüber stattlich zerstritten – viel Lärm um nichts. Es standen sich zwei Lehrmeinungen unversöhnlich gegenüber: die Plenisten und die

Keines der Lager kann seine Theorien beweisen. Hundert Jahre später aber nimmt Aristoteles die Debatte wieder auf und ergreift Partei. Der große Universalgelehrte ist überzeugt, es gebe kein Nichts, weil das der Natur zuwiderliefe. Die lateinische Ableitung vom »horror vacui«, der Abscheu vor dem Nichts, hält sich fast zweitausend Jahre. Dann geht alles ziemlich flott und wird zuweilen vogelwild. Im Jahre 1643 erfindet Galileo Galileis Schüler Evangelista Torricelli das Quecksilberbarometer und definiert den Raum im versiegelten Teil über der Quecksilbersäule als luftleer – die »torricelli- sche Leere«. Er überzeugt aber längst nicht alle Zeitgenossen. Der große René Descartes (»Ich den- ke, also bin ich«) spöttelt, in Wahrheit sei Torricellis Hirn das Vakuum. 16 PFERDESTÄRKEN Das Urteil des Franzosen wäre vermutlich etwas milder ausgefallen, hätte er die Versuche des ein- gangs erwähnten deutschen Multitaskers Otto von Guericke noch erleben können. Der war a) Bürger- meister seiner durch den Dreißigjährigen Krieg verwüsteten Heimatstadt Magdeburg, b) Diplomat, c) Forscher, d) Philosoph und e) Tüftler und zählt aus heutiger Perspektive zu den absoluten Granden der Naturwissenschaft. Für den Nachweis des Vaku- ums konstruierte er zunächst ein für damalige Ver- hältnisse revolutionäres Gerät: die Kolbenvakuum- luftpumpe. Mit deren Hilfe gelang es ihm nach allerlei Fehlschlägen tatsächlich, annähernd 99 Prozent der Luft zwischen zwei Halbkugeln aus Kupfer abzusaugen. Dem Regensburger Auftritt beim Reichstag ließ er zunehmend spektakulärere folgen. 1657 in Magdeburg etwa, diesmal mit Pfer-

Von Michael Streck, der regelmäßig am Vakuum in Marmela- dengläsern scheitert

Die Plastik im Stadtzentrum Magdeburgs erinnert an den berühmten Halbkugelversuch Otto von Guerickes

Atomisten. Der Naturphilosoph Empe- dokles (um 495 v. Chr. – etwa 435 v. Chr.) formuliert für die erste Fraktion den Leit- satz: »Im All gibt es nirgends einen leeren Raum, noch einen, der übervoll wäre.« Dem schleudert der weise Demokrit das Mantra »In Wirklichkeit gibt es nur die Atome und den leeren Raum« entgegen.

92 P.M. 08/2025

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