P.M. Magazin

Bükers

Weltbewegende Experimente und ihre Geschichte

Inge Lehmann entdeckte, wie das Zentrum des Planeten beschaffen ist – weil sie genauer hinschaute als ihre Kollegen Die innere Stimme der Erde 1936 D ass ich erkenne, was die Welt / Im Innersten zusammenhält«: Die- ses »Faust«-Zitat kommt so häu- fig in Berichten über Physik vor, dass es mir abgedroschen er- scheint. Meist geht es dabei um die Teilchenphysik, manchmal terung in Ruhe. So hinterließ der Stift eine Spur auf dem Papier, aus der sich Stärke und Verlauf des Bebens ablesen ließen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden immer bessere Seismografen entwickelt. Sie ermöglichten, zwischen verschiedenen Arten von Bebenwellen zu unterscheiden. Am schnellsten durch die Erde wandern die P-Wellen (primäre Wellen), die eine Auf-und-ab-Bewegung verursachen. Darauf folgen die S-Wellen (sekundäre Wellen), die den Boden seitwärts wackeln lassen. Sowohl P- als auch S-Wel- len durchqueren vom Ort eines Bebens aus das Innere der Erde.

jedoch auch um das buchstäblich Innerste der Welt: nämlich den Aufbau der Erde. Wie der wirklich aus- sieht, fand die Dänin Inge Lehmann vor rund 90 Jah- ren heraus. Sie horchte genauer als alle ihre Zeit­ genossen in unseren Planeten hinein und erkannte so als Erste, dass die Erde einen festen Kern hat. Lehmann machte sich dabei zunutze, dass die Erde unaufhörlich in Bewegung ist, manchmal sogar bebt. Erdbeben sind nicht nur am Ort des Geschehens spürbar. Manche senden Erschütte- rungswellen aus, die noch auf der anderen Seite des Planeten nachweisbar sind. Wo und wie stark diese Erdbeben-Echos auftreten, hängt vom inneren Auf- bau der Erde ab. Ganz so, als schlüge man ein Glas mit einem Löffel an: Es macht unterschiedliche Geräusche, je nachdem, ob das Glas voll oder leer ist, gefüllt mit Wasser oder Honig. Messgeräte, die Bewegungen der Erdoberfläche aufzeichnen, heißen Seismografen. Frühe Exempla- re bestanden aus möglichst frei schwingend aufge- hängten Gewichten, an denen ein Stift befestigt war. Auf Walzen wurde Papier kontinuierlich am Stift entlanggeführt. Bei einem Beben gerieten die Erde, die Aufhängung und das Papier ins Wackeln – doch das Gewicht blieb dank seiner schwingenden Hal­

Forschende erkannten, dass die P-Wellen auch auf der gegenüberliegenden Seite des Erdballs messbar waren, die S-Wellen jedoch nicht. Weil S-Wellen sich grundsätzlich nicht durch Flüssigkei- ten ausbreiten, folgerten sie: Die Erde muss einen flüssigen, rund 7000 Kilometer starken Kern haben. Dieses Bild vom Aufbau des Planeten lernte auch Inge Lehmann. MEHR ALS EINE ASSISTENTIN Mit Willensstärke hatte die 1888 geborene Dänin es gegen gesellschaftliche Widerstände zur Mathe­ matikerin gebracht. In den 1920er-Jahren wurde sie Assistentin eines Geophysikprofessors in Kopen­ hagen. Er beauftragte sie mit dem Aufbau von Seis- mografen in Dänemark und im dänisch beherrsch- ten Grönland. Lehmann begeisterte sich für die Frage, wie das Wackeln des Erdbodens Einblicke ins Erdinnere gab. Kurzerhand lernte sie alles, was es

Erdbeben entstehen vor allem, weil sich die tektonischen Platten (Grenzen gelb markiert) auf dem plastischen Erdmantel gegeneinander verschieben. Wenn sie sich verhaken und so in ihrer Bewegung aufhalten, kann eine enorme Spannung entstehen. Löst sich diese in einem Beben, kann sich die Erdober­ fläche schlagartig um mehrere Meter bewegen.

92 P.M. 02/2024

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