P.M. History

E s war um den 200. Geburts- tag der Harriet Tubman, als die US-Notenpresse fast zu ei- ner von Millionen Menschen erwarteten Tat geschritten wäre. Es war geplant, erstmals in der Geschichte der USA das Antlitz einer schwarzen Frau auf einen Geldschein zu drucken. Auf die Vorderseite einer 20-Dollar-Note. Zum dritten Mal über- haupt erst das Gesicht einer Frau. Doch dann kam Donald Trump. Und fand, so etwas sei ihm nicht zuzumu- ten; er mochte „das nicht sehen“. Harriet Tubman, geboren als Ara- minta „Minty“ Ross, wird es demnächst trotzdem auf die 20-Dollar-Note schaf- fen, auf Beschluss des Trump-Nachfol- gers Biden. Und damit wird vielleicht noch einmal die Geschichte einer Frau in Erinnerung gerufen, wie es keine zweite gegeben hat im Kampf gegen die Sklaverei in den Südstaaten der USA. Keine zweite im Amerikanischen Bür- gerkrieg. Keine zweite, die, obwohl zeit- lebens weder des Lesens noch Schrei- bens mächtig, für das Aufbegehren und Selbstbewusstsein von Menschen stand, die gehandelt wurden wie Vieh. Minty war das fünfte von neun Kin- dern eines Sklavenpaars im Dorchester County, Maryland. Kam sie 1820 zur Welt, 1822, 1825? Dass sich dies nie ganz klären ließ, gehört zur Biografie

Dann ein Ereignis, das Araminta Ross’ Leben für immer verändern wird. Ein kiloschweres Messgewicht, mit dem ein Aufseher nach einem jungen Sklaven wirft, trifft sie am Kopf. Blu- tend und ohnmächtig wird sie in ein Haus getragen, dort, weil es kein Bett gibt, zwei Tage lang auf die Bank eines Webstuhls gelegt. Ein Arzt wird nicht gerufen. Noch blutend wird sie wieder zur Feldarbeit geschickt. Mediziner,

jener Menschen, deren Eltern weder Kalender noch Uhren besaßen und an denen das Wichtigste aus Sicht ih- rer Besitzer ihre Arbeitskraft war. Ein kleiner Vermerk über den Einsatz einer Hebamme lässt vermuten, dass es sehr wahrscheinlich das Jahr 1822 war, als Minty in eine fensterlose Hütte in dem von Sumpflandschaften und Wäldern durchzogenen Land östlich der Chesa- peake Bay hineingeboren wurde.

Tubman geht es nicht nur um Selbstbefreiung. Sie will möglichst viele Sklaven nach Norden holen

Die „Einfuhr“ neuer Sklaven aus Afrika und der Karibik ist da seit einem Kongressbeschluss von 1808 verboten, und auch in Maryland gibt es bereits aus der Sklaverei entlassene Schwar- ze, Alte zumeist, zu schwach für harte körperliche Arbeit. Doch Minty erfährt schon als kleines Mädchen, was es be- deutet, eine Ware auf dem Arbeitsmarkt zu sein. Schuhe hat sie nicht, Kleidung über einem Hemdchen bekommt sie erst, als sie etwa sieben Jahre alt ist. Die Familie wird getrennt, Eltern und Geschwister werden an verschiede- ne Sklavenhalter ausgeliehen. Minty selbst muss das Baby einer Familie hü- ten, wird geschlagen. Sie ist vermutlich noch keine zehn Jahre alt, als sie mit härteren Arbeiten beauf- tragt wird. In den eisigen Wassern des Marschlands muss sie Fallen für Bisam- ratten kontrollieren, erkrankt an Masern, darf eine Zeit lang zu ihrer Mutter zurückkehren,

hätten sie sich denn um das Mädchen gekümmert und hätte es die Diagnostik damals schon gegeben, hätten als Folge der schweren Schädelverletzung ver- mutlich eine Temporallappen-Epilepsie entdeckt. Menschen, die Minty begeg- nen, merken nur, dass sie fortan An- fälle plötzlicher Bewusstlosigkeit hat. Und sie selbst erzählt immer häufiger von Träumen und Halluzinationen, von Zwiegesprächen mit Gott. Es ist auch eine immer tiefer werdende

Religiosität, die am Beginn ihrer ganz persönlichen Rebellion gegen die Ver-

PROMINENT Als dieses Porträt von

Tubman um 1868 entsteht, ist sie im Land längst eine bekannte Größe in der Befrei- ungsbewegung der Schwarzen

wird dann an eine nächste Familie als Hausmädchen verliehen. Dort wird Min- ty nicht nur geschlagen, dort wird sie nach ei- nem Fluchtversuch,

bei dem sie sich fünf Tage in einem Schwei- nekoben versteckt, ausgepeitscht.

VERFOLGT Der „Fugitive Slave Act“ gestattet es Weißen, geflüchtete Sklaven wieder in Besitz zu nehmen

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