P.M. History

Fluchthilfe

neut aber wird sie an die Front entsandt, diesmal nach Florida: das Sklavenkind, das höchste Militärkreise für unersetz- lich an ihrer Seite halten. Zeugen ihrer Arbeit staunen über die ihnen fast unbe- greifliche Freundlichkeit und Zähigkeit, mit der sich die zierliche Frau noch je- dem Mitglied „ihrer Rasse“ widmet. Mehr als 600000 Soldaten sind am Ende des Bürgerkriegs nach der Kapitu-

Im März 1869 heiratet Tubman ein zweites Mal. Sie arbeitet in einer Zie- gelei und wieder als Hausmädchen. Als 1872 erstmals eine Dokumentation der Underground Railroad erscheint, erhält Tubman eine einzige Seite darin. Die elaborierte Mittelklasse-Frauen­ bewegung New Yorks beginnt, die kleine Schwarze mit den schwieligen Händen an den Rand zu schieben; alte Verbün-

Beifall bekommt sie mitunter noch, diese „schwarze, alte und faltige“ Frau in „billigen Kleidern“, wie ein Reporter schreibt. Aber sie wird schwächer. Im Oktober 1888 stirbt Harriet Tubmans zweiter Mann. Acht Dollar Witwenrente im Monat erhält sie da- nach. Und weil das schon als reichlich empfunden wird, scheitert der Versuch eines ihr wohlgesinnten Kongressab- geordneten, sie für ihre Dienste in der United States Army mit einer Monats- rente von 25 Dollar auszustatten. Zwölf Dollar werden es schließlich. So muss Tubman eine angeschaffte Kuh verkau- fen, um die Reise zu einer Versamm- lung in Boston bezahlen zu können. Während ihre Lebensleistung weit weg von den USA, jenseits des Atlantiks, sogar das britische Königshaus dazu veranlasst, ihr 1897 eine Medaille zu verleihen. Tapferkeit verschreibt sich Harriet Tubman bis zu ihrem Lebensende. Sie kämpft weiter für ihre Idee, ein Haus für alte und bedürftige Schwarze be- treiben zu können, was schließlich 1908 eröffnet wird. Ab 1910 sitzt Tub- man im Rollstuhl, 1913 stirbt sie an ei- ner Lungenentzündung. Ein Buch über die Freiheitskämpfe- rin, etwa drei Jahrzehnte später, wird von diversen Verlagen abgelehnt. Eine Begründung lautet, es sei ein „freak project“. Eine andere, das Leben dieser Sklavin, die einst aufbrach, sich ge- gen ihr Schicksal zu wehren, sei „a bit strong meat for us“, übersetzt vielleicht: ein bisschen zu heftig für die sensible Seele des Publikums. Nun wird Harriet Tubman bald von einer 20-Dollar-Note blicken. Menschen werden sie aus ihrem Portemonnaie ho- len, die sagen: Yes, black lives matter, schwarze Leben zählen. Und solche, die bis heute das Gegenteil glauben. Das Mädchen Minty hat einst geholfen, Amerika zu verändern. Gewonnen hat es noch nicht.

Diverse Verlage lehnen es ab, ein Buch über die berühmte Frei- heitskämpferin zu veröffentlichen

lation der Südstaaten im April 1865 auf den Schlachtfeldern gestorben; wobei die Todesrate unter den Schwarzen in den Hospitälern jene der Weißen um das Zweieinhalbfache übertroffen hat. Der Kongress beschließt das Verbot der Sklaverei für die gesamten USA. Doch der Rassismus lebt weiter, auf der Stra- ße, in Schulen, in Geschäften. Tubman, die bis fast an ihr Lebensen- de dafür kämpfen wird, eine angemes- sene Bezahlung für ihre Dienste für die Union zu erhalten, darf immerhin zu ei- nem ermäßigten Tarif die Eisenbahn be- nutzen. Auf einer Fahrt nach New York aber bescheinigt ihr ein Schaffner, die Bahn transportiere „keine Nigger zum halben Preis“. Zwei Männer brechen Tub- man den Arm, als sie sich weigert, das Abteil zu verlassen. Sie hält das aus, wie sie es aushält, mühsam nach Geldquellen zu suchen, mit denen sie wenigstens ihre Familie und andere Verarmte ernähren kann. Sie hält es aus wie die Nachricht von der Ermordung ihres ersten Ehe- manns. Wie die Erfahrung, dass auch in der wachsenden Frauenbewegung, deren einer Teil ihr zugewandt ist, im anderen Teil die Verachtung für eine vermeintlich primitive Schwarze blüht.

dete sterben – und Amerika will eine neue Erzählung. Die Geschichte einer Vereinigung im Frieden, die Verklärung auch des „alten Südens“, der nun schön sein soll, nicht mehr Ort unglaublicher Verbrechen. Es soll vergessen werden, was die Schwarzen erlitten haben. W enn all das, was Frauen wie sie getan hätten, sie nicht endlich den Männern gleich- stellten: was dann? Das fragt „Mother Tubman“, die „große schwarze Befrei- erin“, wie ihre Verehrer sie nennen, im- mer wieder bei Versammlungen. Und

UNBEUGSAM Bis zum Ende ihres Lebens, zuletzt an den Rollstuhl gefesselt, streitet Harriet Tubman für die Rechte der Schwarzen in den USA

Peter-Matthias Gaede hat in einer Reihe von Porträts großer Frauen für P.M HISTORY unter anderem bereits Gerda Taro und Bertha von Suttner beschrieben.

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