Schweiz
P orto-Novo, Westafrika, am 30. August 1776. Etwa 300 Gefangene drängen sich an Deck der „La Ville de Basle“, eines Handelsschiffs, das vor der Küste des heutigen Benin ankert. Die Männer, Frauen und Kinder tra- gen Handschellen und Fußeisen, noch sind sie nicht im Schiffsbauch an ihren Hälsen zusammengekettet. Noch kön- nen sie sich wenigstens etwas bewegen. Der erste Kapitän und ein Teil der Besatzung sind an Land, um bei einhei- mischen Königen Waren gegen weitere Sklaven einzutauschen. Die Gefan- genen ahnen: Wenn sie eine Chance haben, in die Freiheit zu entkommen, dann nur jetzt, bevor das Schiff ablegt. Also schlagen sie los, packen den zweiten Kapitän, versuchen, die übri- gen Weißen niederzuringen und ins
Für die Sklavenhändler ist der Tod von 35 Arbeitskräften ein großer finan- zieller Verlust. Viele der Toten waren als Ware der höchsten Kategorie eingestuft, Schwarze zwischen 18 und 30 Jahren mit einer Körpergröße von etwa 1,80 Metern, ohne sichtbare Makel und mit vollständigem Gebiss. Noch schlimmer scheint für die Schweizer Investoren zu sein, dass in dem Tumult an Bord auch der Rest ihrer kostbaren Indiennes-Stof- fe verloren gegangen ist: hochwertige Ware für den Tauschhandel in Afrika. Mit den Textilien hätte man die Skla- venbestände wieder aufstocken können, zürnen Emmanuel und Nicolas Weis of- fenbar per Brief aus der Ferne. Die Brü- der aus Basel sind Kaufleute. Das Schick- sal der Toten ist ihnen keine Silbe wert. Als der Sklavenhandel nach Ame- rika im 18. Jahrhundert seinen Höhe-
Meer zu werfen. Die Bewacher grei- fen zu den Waffen, feuern Gewehrsal- ven in die Luft. Doch die Warnschüsse verhallen ohne Wirkung, der Mut der Verzweiflung lässt die Aufständischen weiterkämpfen. Schließlich drängen die Seeleute die Menschen mit Säbeln zurück, erst einmal bemüht, nieman- den zu töten. Zahlreiche Frauen und Kinder las- sen sich so in die Pferche unter Deck zwingen. Dutzende Männer aber sprin- gen über Bord – und damit in den si- cheren Tod. Mit ihren eisernen Fesseln können sie sich nicht über Wasser hal- ten. Die Besatzung gibt einen Kanonen- schuss ab und setzt die Flagge auf Halb- mast, Signale, um von anderen Schiffen Verstärkung und Rettungsboote anzu- fordern. Doch für 35 Schwarze ist es zu spät: Sie ertrinken an diesem Tag.
TRÜGERISCH Verträumt mutet Basel am idyllischen Rhein an. Doch Teile ihres Wohlstands verdankt die Stadt einem brutalen Geschäft: dem Menschenhandel
P.M. HISTORY – FEBRUAR 2024 39
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