P.M. History

Amerika, bei dem Fertigprodukte, Men- schen und Rohstoffe gewinnbringend ausgetauscht werden. Wohl zehn der großen Basler Familien sind direkt oder indirekt an diesem Geschäft beteiligt. Teils sind es frühere Flüchtlingsfa- milien, die einst als verfolgte Protestan- ten aus Frankreich oder Italien kamen. Mittlerweile prägen sie und die altein- gesessenen Geschlechter mit ihrem Wohlstand das Gesicht der Stadt: Die Gulden-Millionäre lassen ihre Häuser in den begehrten Wohnlagen moderni- sieren oder gleich neu bauen. Der Daig, wie die Einheimischen die Oberschicht nennen, leistet sich eine aristokratische Lebensart, mit Bediensteten und Luxus- gütern aus Übersee wie Zucker, Kaffee und Trinkschokolade. S o entsteht 1788 unweit vom Rheinufer ein neuer Wohn- und Geschäftssitz für den Kaufmann Christoph Burckhardt. Das Haus ist kostbar ausgestattet: Im „Grauen Saal“, einem Prunkzimmer mit Kronleuchter und Kamin, Spinett und kunstvoll ge- stalteten Wänden, sitzt man beim Ge- spräch zusammen oder musiziert. Burckhardt kleidet sich gern elegant mit Herrenrock, Weste und Seiden- schal. Verheiratet ist er standesgemäß mit der vier Jahre jüngeren Dorothea Merian, Tochter einer weiteren hoch- rangigen Kaufmannsfamilie. Der Hausherr ist ein eher introver- tierter Mann. Doch in seinen Geschäfts- briefen zeigt er eine kalte Offenheit. Als etwa die Kunde vom Sklavenaufstand des Jahres 1791 in der Kolonie Saint-­ Domingue (dem heutigen Haiti) um die Welt geht, rechnet er sich dennoch gute Verkaufschancen für seine menschliche Fracht aus. Wenn nicht in der Karibik, dann eben auf dem südamerikanischen Festland. Dort liege der Preis bei bis zu 800 Gulden pro Sklave, noch immer ein profitables Geschäft. Es ist ein neuer, protestantisch ge- prägter Kapitalismus, der den Schwei- zer Dreieckshandel befeuert. Seine Ver- treter sind oft ehrgeizige und familiär gut vernetzte junge Männer, häufig kön- nen sie mehrere Nationalitäten für sich in Anspruch nehmen und treten so etwa

VERSCHLEPPT Kinder, Frauen und Männer werden von europäischen Menschen- händlern in ihren Heimatregionen in Afrika gefangen genommen und als Sklaven nach Übersee verkauft

ten Aufstand auf der „La Ville de Basle“ 35 Sklaven im Meer ertrunken sind. Die örtlichen Potentaten sind keine naiven Kunden, sie verhandeln hart mit den Europäern, afrikanische Seeleute dienen als Dolmetscher. So dauert es über vier Monate, bis der Kapitän der „Le Comte de Tréville“ seine Fracht gegen 375 Sklaven eingetauscht hat. Sie werden wohl wie meist üblich von einem „Chi­ rurgen“ mit eher fragwürdigen medizini- schen Kenntnissen untersucht, etwa in- dem er Männern den Finger in den Anus steckt und Frauen in die Vagina, Urin- dämpfe einatmet, Schweiß kostet, Brüs- te und Hoden mit der Hand abwiegt. Obwohl möglichst nur junge und gesunde Verschleppte gekauft werden, liegt die Sterberate während der Fahrt über den Atlantik bei ungefähr 15 Pro- zent. Eingepfercht und angekettet un- ter Deck, zwischen Gestank und Krank- heit, verweigern viele Gefangene die Nahrungsaufnahme. Mit Peitschenhie- ben werden sie zum Essen gezwungen.

mal als Schweizer auf, mal als Franzo- sen – je nachdem, was den Geschäften nützt. Christoph Burckhardts gleichna- miger Sohn eröffnet im französischen Nantes eine Filiale des Familienunter- nehmens und ändert seinen Namen ins Französische ab: Christophe Bourcard. Als am 31. August 1786 das Skla- venschiff „Le Comte de Tréville“ ablegt, sind auch verschiedene Zweige der Fa- milie Burckhardt an dem Unternehmen beteiligt. Der Segler hat Tauschware für afrikanische Herrscher geladen: Karaffen und Gläser, Eichenfässer mit Schnaps, Korbflaschen mit Anislikör, Tabakspfeifen, Puder, Zinnteller, Hüte und Seidenstoffe aus Siam. Vor allem aber Indiennes. Denn wie es ein Gelehr- ter aus Nantes ausdrückt: „Kein guter Eintausch von Sklaven ohne Indiennes.“ Um Weihnachten erreicht die „Le Comte de Tréville“ Porto-Novo. Die Ha- fenstadt dient als Drehscheibe des Men- schenhandels. Es ist jener Ort, an dem zehn Jahre zuvor bei dem gescheiter-

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