Wenn sie einmal nicht im Laderaum angekettet sind, hindern Netze die Un- glücklichen daran, ins Meer zu springen und so die Erlösung durch den Freitod zu suchen. Vor Ankunft in den Koloni- en werden die Gefangenen zur „Erfri- schung“ mit Meerwasser abgespritzt und bekommen Alkohol zu trinken, um auf den Sklavenmärkten einen lebendi- geren Eindruck zu machen. Allein die Familie von Christoph Burckhardt investiert zwischen 1783 und 1792 in insgesamt 21 Sklavenfahr- ten. Bei durchschnittlich 350 Gefan- genen pro Fahrt ist sie also innerhalb dieser zehn Jahre vermutlich an der Verschleppung von 7350 Männern, Frauen und Kindern beteiligt. Bis etwa 1830 werden Schweizer Handelshäuser und Banken an der Ver- sklavung von schätzungsweise 172000 Menschen aus Afrika beteiligt sein. Al-
lein ein Drittel der im atlantischen Skla- venhandel stark involvierten franzö- sischen „Compagnie des Indes“ gehört um 1780 Schweizer Investoren. N ach sechs Wochen, am 6. Au- gust 1787, landet die „Le Comte de Tréville“ im Hafen der Stadt Saint-Marc in Saint-Domingue, wo eine ansässige Firma den Verkauf der Sklaven übernimmt. Kaufleute aus der Schweiz betreiben selbst Niederlassungen vor Ort und machen Geschäfte mit den Plantagenbesitzern, von denen manche ebenfalls aus der Schweiz stammen. Vor allem in Surinam und den an- deren niederländischen Besitzungen, aber auch in South Carolina an der At- lantikküste Nordamerikas sind eidge- nössische Siedler zu finden, auf deren Plantagen Sklaven schuften. Und es gibt Schweizer Söldner, die sich haben
NIPPES Menschenhandel als Deko- ration für die Stube: Porzellanfiguren einer Schweizer Manufaktur von 1775
anwerben lassen, um in den Kolonien Sklavenaufstände zu bekämpfen. Der Basler Isaac Faesch, Spross ei- ner der führenden Familien, macht auf diese Weise ab den 1730er-Jahren Karriere in Übersee. Im Dienst der Nie- derländischen Westindien-Kompanie schlägt er auf der Insel Sint Maarten eine Revolte nieder und wird schließ- lich Gouverneur von Curaçao, einem wichtigen Umschlagplatz im Men- schenhandel. Auch auf den Plantagen der Insel arbeiten viele Sklaven. Der Schweizer lässt sie mit glühenden Eisen brandmar- ken – und auspeitschen, wann immer es ihm nötig scheint. Als es 1750 zum Auf- stand kommt, werden auf Faeschs Ge- heiß Dutzende Sklaven enthauptet und ihre Köpfe zur Abschreckung im Hafen ausgestellt. Noch 100 Jahre später be- sitzen Basler Erben der Familie Faesch Sklavenplantagen in Surinam. Beim letzten Schritt im Dreiecks- handel zwischen Europa, Afrika und Amerika werden die Erlöse aus dem Verkauf der Sklaven eingesetzt, um Ko- lonialprodukte zu erwerben. Beladen mit Zucker, Baumwolle, Kaffee, Kakao oder Tabak kehren die Schiffe zurück – um bald von Neuem aufzubrechen, mit Tauschwaren Richtung Afrika. Doch die Schweizer investieren zu einer Zeit in den Menschenhandel, in der die Forderungen nach Abschaffung der Sklaverei lauter werden. Aufklärer empören sich über die Missachtung der Menschenrechte, andere argumentie-
KULTUR Vater und Sohn Ryhiner musizieren in ih- rem Landhaus. Die Familie besitzt gleich mehrere Indiennes-Fabriken in Basel
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