Vergessene Großreiche
Vasallenstaaten. Sie unterwerfen die Gebiete, die sie erobern, zwar, doch sie lassen den lokalen Machthabern dort ein gewisses Maß an Autonomie – so- fern sie bündnistreu sind, im Kriegs- fall militärisch aushelfen und Abgaben leisten. Manchmal werden auch Vize- könige eingesetzt, die mit dem Groß- könig des Hethiterreiches verwandt sind, Söhne oder Neffen zum Beispiel. Der Großkönig ist ein mächtiger Mann, nicht nur in politischen, rechtli- chen und militärischen Belangen. Er ist zugleich auch oberster Priester. Seine Vizekönige müssen einen Eid auf ihn schwören. An seiner Seite steht seine Ehefrau, die sogar nach dem Tod des Mannes oberste Priesterin bleibt. Um den ständigen Morden und Thronwechseln etwas entgegenzu- setzen, wird schon sehr früh eine Art Senat gegründet. Die Mitglieder, alle- samt aus der hethitischen Oberschicht, dürfen an Verträgen und Gesetzen mit- wirken. Theoretisch könnten sie sogar über den König richten. Theorie und Praxis klaffen jedoch auseinander, und
der Sonnengöttin kommt eine wesent- liche Bedeutung zu. Je nach Region treten andere Götter stärker in Erschei- nung, und auch Kultstätten ziehen sich quer durch das Reich. Für ihre Mythen bedienen sich die Hethiter bei den Hat- tiern und Hurritern. Fast zwei Drittel der Tontafeln, die in Hattuša gefunden wurden, widmen sich der Religion: Weissagungen, Ge- bete, Beschwörungen, Flüche, Opferlis- ten, Sagen. Auf Schadenzauber steht die Todesstrafe. Bildnisse von Leuten anzu- fertigen, die man schädigen möchte, ist verboten. Ausgehend von Babylon, wird die Leberschau als Art der Vorhersage populär. Zahlreiche gefundene Leber- modelle aus Ton deuten darauf hin. Apropos Todesstrafe! Vergleicht man das Hethiterreich mit zeitgenös- sischen Staaten wie Ägypten oder Me- sopotamien, wird sie bei den Hethitern seltener angewandt. Neben schwarzer Magie gibt es eine Handvoll Kapital- delikte, die mit dem Tod enden. Ver- brechen gegen den König zum Beispiel. Verschwörungen, könnte man anneh- men. Ja, aber derartige Vergehen sind wesentlich weiter gefasst. Ein Kiesel- stein landet im Brot des Königs? Der Bäcker wird im Backtrog misshandelt, und anschließend lässt man ihn „ver- schwinden“. Im Trinkwasser des Königs schwimmt ein Haar? Der Wasserträger wird exekutiert. Versäumt es ein Tem- peldiener, sich nach dem Geschlechts- verkehr zu waschen, und betritt den- noch den Tempel, wird er getötet.
HOCH ENTWICKELT Eisen ist bei den Hethitern ein Symbol für Macht VOE3FJDIUVN4JFWFSBSCFJUFOEBT Metall lange vor den Europäern
dieses Problem bekommen die Hethiter bis zum Schluss nicht in den Griff.
Volk der 1000 Götter Der Großkönig als Feldherr ist nur so geschickt, wie es die Götterwelt zu- lässt. Der König führt sein Heer selbst an, fragt zuvor jedoch ein Orakel um Rat. Mit Stürmen, Gewittern oder Seu- chen beteiligen sich die Götter an der Schlacht. Einerseits spielt der Glaube bei den Hethitern eine große Rolle, an- dererseits sind sie nicht sehr standhaft, was die eigene Götterwelt betrifft. Be- reitwillig übernehmen sie die Götter und Kulte ihrer Vasallenstaaten. Daher der Spitzname der Hethiter: das „Volk der 1000 Götter“. Dem Wettergott und
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EXPANSION "CW$IS erobern die hethitischen Könige fast ganz Kleinasien und Syrien 3FMJFG +BISIVOEFSUW$IS
47 P.M. HISTORY – OKTOBER 2025
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