P.M. History

Schweiz

N och 60 Meter unberührter Schnee, dann haben die sie- ben Männer den Berg besiegt. Das Mat- terhorn, 4478 Meter hoch, mit einem Gipfel aus Fels und Eis, der sich scharfkantig in den Himmel schraubt. Der Gigant gilt als unbezwingbar: Seine Front wirkt vom Schweizer Ort Zermatt aus gesehen extrem steil, teils sogar senkrecht, ja fast überhängend. Kein Mensch hat es je hier hinaufgeschat – bis zu diesem 14. Juli 1865. Edward Whymper löst sich aus dem Seil und hastet voran, lässt die klei- ne Gruppe hinter sich. Nur einer setzt ihm nach, der französische Bergführer Michel Croz. Kopf an Kopf stapfen die beiden die letzten Meter bis zum Gipfel, so schnell sie können. Gleichzeitig kom- men Whymper und Croz an, es ist 13.40 Uhr. Dieser Moment macht den engli- schen Alpinisten Edward Whymper zu einem Mann, der in die Geschichtsbü- cher eingehen wird. Nach einigen Minuten trit auch der Rest der Seilschaft ein. Croz pflanzt eine Zeltstange in den Schnee. Die Fah- nenstange ist da, aber wo ist die Fahne, fragen die Männer. „Hier ist sie!“, sagt der Bergführer aus Frankreich, zieht kurzerhand sein Staubhemd aus und bindet es an den Stab. Eine armselige Fahne, so schreibt es Whymper später in seinem Bericht, zumal kein Wind den Sto aufbläht. Es ist ein ruhiger und heiterer Tag. Am Südende des Gipfelgrats errichten die Männer eine Pyramide aus Fels- brocken, als unverrückbaren Beweis, dass sie hier waren. Erst dann geben

ward Whymper, Michel Croz, Reverend Charles Hudson, Lord Francis Douglas, Douglas Robert Hadow, Peter Taugwalder seni- or und Peter Taugwalder junior. Nur drei der Männer werden lebend am Fuß des Matterhorns ankommen. D ie Schweizer Hochalpen sind bis um 1700 noch weitgehend unentdeckt. Erst im Laufe des 18. Jahrhun- derts wächst das wissenschaft- liche Interesse. Forscher erkun- den die Pflanzen- und Tierwelt in der Höhe, studieren die Geologie und zeichnen Karten. Ab den 1850er-Jahren folgen ihnen Sportler, Alpinisten wetteifern nun um die Erstbesteigungen der Gipfel. Insge- samt 27 Schweizer Viertausender er- klimmen sie zwischen 1854 und 1865 zum ersten Mal: das Strahlhorn etwa,

PIONIERE Engländer gelten als besonders bergverliebt. Hier trit sich der britische Alpine Club in Zermatt

sie sich ganz dem Ausblick hin. Berge, die 75, gar 150 Kilometer entfernt sind, zeichnen sich klar vor ihren Augen ab. Ganz nah erscheinen sie. Ihre Grate und Felsspitzen, die Schneefelder auf ihren

Im 18. Jahrhundert erschließen Forscher und Sportler die Bergwelt

die Dufourspitze des Monte Rosa, den Dom und das Weisshorn. Die Bergsportler, die sich nun Jahr für Jahr im Gebirge einfinden, kommen fast ausnahmslos aus Großbritannien. Einige von ihnen gründen 1857 in Lon- don den Alpine Club, um sich gegensei- tig bei ihren Expeditionen zu unterstüt- zen. So formiert sich weit weg von den Alpen die weltweit erste Bergsteiger- vereinigung. Unter den Mitgliedern ist auch ein Londoner Verleger. Er bringt die Ver- einszeitschrift „Peaks, Passes and Gla- ciers“ heraus und schickt Künstler in

Flanken und die Gletscher, alles ist ge- nau zu erkennen. Ein atemraubendes Panorama. Nach einer Stunde bereiten sich die Männer auf den Abstieg vor. Edward Whymper fertigt noch rasch eine Skizze des Gipfels an. Ein Mann mit weichen, feinen Gesichtszügen, 25 Jahre alt. Die Augen stechen unter der Hutkrempe hervor, entschlossen. Bevor sich auch der Zeichner schließlich Richtung Tal aufmacht, schreibt er die Namen der Seilschaft auf ein Blatt Papier, schiebt es in eine Fla- sche und deponiert sie am Gipfel: Ed-

SEILSCHAFT Um sich gegenseitig vor Abstürzen zu sichern, binden sich die Bergsteiger gruppenweise aneinander

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