P.M. History

Schornsteinen. Dann geht es an den Abstieg. Ganz vorn läuft Croz, der sichers- te der Männer. Hinter ihm seilt sich Hadow an, der unerfahrenste. Dann fol- gen Hudson und Lord Douglas, am Ende Whymper und die Taugwalders. Die Vordersten sind bereits in der schwierigen Passage angelangt. Es be- wegt sich immer nur ein Mann. Erst wenn er fest steht, folgt der nächste. Hadow ist beim Abstieg auf die Hilfe von Croz angewiesen. Der führt dem jungen Mann bei jedem Schritt die Füße, stellt sie dahin, wo er hintreten muss. Dann geschieht es. Hadow rutscht ab, stößt gegen Croz und reißt ihn mit sich. Ein Schrei des Bergführers hallt über die Felswand, das Gewicht der fallenden Körper zerrt an Hudson und Lord Douglas, sie können sich nicht mehr halten. Die Taugwalders und Whymper stemmen sich gegen den Felsen, so fest sie können. Die Macht aber, mit der die Stürzenden in das Seil fallen, ist zu groß – das Seil in der Sicherungskette reißt. Von diesem Augenblick an sind die vorderen vier Männer verloren. F assungslos müssen Whymper und die Taugwalders miterleben, wie Croz, Hadow, Hudson und Douglas auf dem Rücken den Abhang hinun- tergleiten, mit ausgestreckten Händen vergebens versuchen, Halt zu finden. Außerhalb der Sicht der drei oben Ge- bliebenen stürzen ihre Kameraden wei-

BERGUNG Suchtrupps stoßen bald auf die Leichen von drei der Verunglückten. Der vierte Tote wird nie entdeckt

Sie gehen, bis es längst dunkel ge- worden ist. Auf einer schmalen Fels- platte als Nachtquartier verbringen sie die Nacht. Bei Tagesanbruch machen sie sich wieder auf, am Vormittag des 15. Juli sind sie zurück in Zermatt. Suchtrupps ziehen los, um die Ver- unglückten zu finden. Whymper hat die Honung zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgegeben, dass die verlorenen vier überlebt haben könnten. Am fol- genden Tag bricht er mit einer Gruppe

kiefers. Nur anhand des langen Bartes können sie identifizieren, dass es sich um Michel Croz handelt. Den Leichnam von Lord Douglas finden sie nicht. Bis heute ist er verschollen. Die Tragödie am Matterhorn scho- ckiert Menschen rund um den Globus – vor allem aber die britische Öentlich- keit. Über keine andere Erstbesteigung wird so viel und so ausführlich berich- tet. Allein in der „Times“ erscheinen im folgenden Monat 43 Artikel und Briefe zu den Ereignissen des 14. Juli 1865. Auch Königin Viktoria ist erschüt- tert. Sie erwägt zeitweise sogar, ihren Untertanen per Gesetz zu verbieten, weiter die Alpen zu besteigen. Großbri- tanniens bestes Blut dürfe nicht im Ge- birge vergossen werden, so die Königin. Das Gesetz wird nie erlassen. Tat- sächlich wollen nun immer mehr Briten die Gipfel erklimmen. Der Medienrum- mel um das Unglück am Matterhorn fügt der Faszination der Berge oen- bar noch einigen Nervenkitzel hinzu. Und der Ort Zermatt wird durch die tragische Erstbesteigung international bekannt und bald zu einer der belieb- testen Destinationen in den Alpen.

Drei Tote sind grausam entstellt, der vierte wird nie gefunden

ter von Vorsprung zu Vorsprung, mehr als 1000 Meter in die Tiefe. Eine halbe Stunde lang bleiben Whymper und die Taugwalders im Schock dort stehen, wo sie sind, wie ge- lähmt. Schließlich steigen sie weiter ab und sichern sich nun bei jedem Schritt, indem sie zusätzlich ein Seil um feste Felsvorsprünge schlingen. Die Männer rufen nach ihren gestürzten Bergkame- raden, bekommen aber keine Antwort.

noch vor Sonnenaufgang auf, doch was sie im Laufe des Morgens finden, sind lediglich drei Leichen. Die Bergsteiger liegen in der Rei- henfolge auf dem Gletscher, wie sie ab- gestürzt sind: etwas weiter vorn Croz, Hadow in seiner Nähe und Hudson weiter hinten. Der Fall hat sie furchtbar entstellt. Von einem Kopf finden die Männer nicht mehr als einen Teil des Unter-

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