P.M. History

Restaurant

D ie Pariser Gazette L’Avant- coureur hat im März 1767 kulinarische Neuigkeiten. Das Journal, das sich den Künsten, der Wissenschaft und allem widmet, was „das Leben le- benswert macht“, lobt in einer Notiz ein neues Etablissement in der Rue des Poulies: Dort gäbe es „exzellente con- sommés und restaurants im sorgfältig angewärmten Wasserbad“. Während heute das Wort Restaurant als Bezeich- nung für einen gastronomischen Ort gilt, hat der Begriff im vorrevolutionä- ren Paris eine andere Bedeutung. Er bezeichnet eine heilsame Speise, meist eine Bouillon, die, abgeleitet vom Verb restaurer , das Wohlbefinden der Essen- den erneuern soll. Ego vos restaurabo lautet der Werbespruch, der auf den Gaststättenschildern prangt: „Ich wer- de Euch wiederherstellen“. Wer in Paris zu dieser Zeit etwas auf sich hält, ist gerne krank und isst gerne gesund. Jean-Jacques Rousseau, Vordenker der Revolution, beklagt sich fortwährend über seine Magenpro- bleme und ist damit wohl der berühm- teste Hypochonder des Ancien Régime. „Glück besteht aus einem hübschen Bankkonto, einer guten Köchin und ei-

ner tadellosen Verdauung“, so der Phi- losoph. In den aufstrebenden bürgerli- chen und aufgeklärten adligen Kreisen ist es chic, über diverse Zipperlein zu klagen. Schlemmen und sich rück- sichtslos den Bauch vollschlagen? Mon dieu, das ist etwas für den Pöbel in den Tavernen, wo alle an langen Tischen aus einer Schüssel essen, oder den al- ten Adel, der die Völlerei als Ausweis von Wohlstand betrachtet. Wer Stil hat, verträgt kein fettes Essen und sorgt sich um seine Körpersäfte. Eine ganze Protoindustrie aus Me- dizinern, Quacksalbern und Wun- derheilern kümmert sich derweil mit Tinkturen, Tabletten und Salben um die Gebrechen dieser zahlungskräfti- gen Kundschaft. Auch der restaurateur gehört dazu. Er steht im Schnittpunkt von Medizin und Kulinarik und unter- scheidet sich damit vom traiteur , dem hergebrachten Kochberuf, der „norma- le“ Gerichte zubereitet und dessen ein- flussreiche Zunft den Zugang zum Markt streng reguliert. Eine neue Obsession Das Essen ist also wichtig in der pulsie- renden, wachsenden, unruhigen Metro-

HEILSAM Anfangs steht bei Restaurants noch die Gesundheit im Mittelpunkt (Ölgemälde von Étienne Jeaurat, um 1743)

pole Paris. Gesundes Essen ist die Ob- session der besseren Stände – und eine clevere Geschäftsidee. Keiner hat das besser verstanden als Mathurin Roze, Sohn eines Kaufmanns aus der Provinz, der um 1760 nach Paris kommt und seinem Namen das aristokratisch klin- gende „de Chantoiseau“ anhängt. Er ist ein Tausendsassa, ein charmanter Hal- lodri, der dem König einen verwegenen Plan zur Reduzierung der gigantischen Staatsschulden präsentieren wird (und für seine revolutionären Gedanken vorübergehend ins Gefängnis wandert), einen „Almanach générale“ verlegt, der alle wichtigen Geschäftsadressen in Paris zusammenfasst, und sich endlich selbst zum Erfinder des Restaurants stilisiert: 1765 oder 1766, die Quellen sind etwas ungenau, eröffnet Roze ein solches Etablissement. Der findige Geschäftsmann nutzt den selbst verlegten Almanach, der jährlich nur unter dem Namen „de Chantoiseau“ erscheint, um das neue Unternehmen zu promoten – Roze ist mehr Marketinggenie als Maître, aber mit einem Sinn für das, was gerade ge- fragt ist. Vorher kauft er noch schnell für 1600 Livre den Titel eines Hoflie- feranten, um seinem Geschäft mehr Prestige zu verleihen. Sein Almanach soll den Reisenden mit nützlichen In- formationen über Paris ausstatten: Wo kann man günstig übernachten? Wo findet man einen Anwalt, einen Sattler oder Uhrmacher? Und nicht zuletzt: Wo kann man gut essen?

OSTERIA Szene aus einer italie- nischen Gaststätte (Ölgemälde von $BSMLJ#MPDI  

68 P.M. HISTORY – OKTOBER 2025

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