GROSSE LAST Schwerkranke oder gar tote Lagerinsassen zu tragen be- drückt die Zwangsarbeiter besonders
DIENSTAG 3. APRIL 1945 Ich habe schon wieder einen anderen Beruf. Sie haben mich jetzt zum Vormann von einer Gruppe von 4 Jungs katapultiert. Zu viert müssen wir in Freiham eine Bara- cke bauen. Das ist ein Dorf 3 km weiter. Dahin müssen wir mit dem Zug fahren. Die Baracke wird hinter einer Schuhfabrik stehen. Vielleicht kann ich noch ein Paar Schuhe auftreiben. SAMSTAG 21. APRIL 1945 Gegen sieben waren wir erneut unter Beschuss. Das wird mir jetzt doch zu viel. Ich haue ab. Schlechtes Essen und jede Minute den Tod vor Augen, das macht einen Men- schen kaputt. Ich habe meine ganzen Sachen in einen Beutel gestopft und den Koffer für 30 RM verkauft. Nach- dem der Chef in Freiham gewesen war, dem ich 10 RM Vorschuss abgeschwatzt hatte, haben wir uns um elf zu zweit auf unsere „Reise“ begeben. Wir haben vor, zu den Amerikanern zu gehen und dann gleich nach Hause. Mein Mitflüchtling ist ein 19-jähriger Junge, er heißt Arie
Krankenrevier gebracht. Todkrank war der Mann. Das Schlimmste dabei war, dass wir die Trage eine Viertel- stunde durch die Gegend schleppen mussten, bevor wir ihn abliefern konnten. (…) SAMSTAG 31. MÄRZ 1945 Noch immer regnet es. Die letzten Tage fahre ich mit einem Elektrofahrzeug herum. Das macht richtig Spaß. Heute war ich mit einem solchen Wagen in der Stadt. Von 11 Uhr bis halb eins Fliegeralarm. Mittags gab es wieder Tabak! Wir können also wieder rauchen. Auch bekamen wir erneut 1 kg Brot für 4 Tage. Ich dachte, ich hätte es an einem sicheren Ort versteckt, aber eine Stunde später stellte sich heraus, dass das nicht so war. Es war mal wie- der gestohlen worden. Kameradschaft? Nein, dieses Wort kennen die Holländer nicht. Abends war ich im Kino. Das konnte ich machen, denn ich hatte wieder Geld vom RAW (Reichsbahnausbesserungswerk, die Red.) bekommen. 49 RM und 5 Pf. Der Film war großartig. Ein Farbfilm mit Kristina Söderbaum, „Opfergang“. Weil morgen Ostern ist, müssen wir morgen Nachmittag arbeiten. (…)
Westdorp. Zu Fuß und mit dem Zug waren wir bis halb fünf am nächsten Morgen unterwegs. Da hatten wir eine Strecke von 100 km zurückgelegt. Geschlafen haben wir gar nicht. Am 22. April endet das Tagebuch. Die Flucht ist Jan Bazuin gelun- gen, über seinen genauen Weg ist jedoch nichts bekannt.
Über die Kindheit und Jugend von Jan Bazuin (1925–2001) ist wenig bekannt. Nach 1945 machte er Karriere in der niederländischen Militärpolizei. Das Tagebuch entdeckte sein Sohn Leon im Nachlass des Vaters. Jan Bazuin: „Tagebuch eines Zwangsarbeiters“, C.H. Beck 2022. Illustration: Barbara Yelin. Übersetzung: Marianne Holberg
P.M. HISTORY – 71
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