Strafkolonien
KERKER Haftzellen im Kranken- haus von Royale, einer von drei als Strafkolonie genutzten Inseln vor Französisch-Guayana
lässigen Kompass anvertraut. Ihr Ziel war Venezuela. Doch schon am zweiten Tag waren sie in einen Sturm geraten, hatten sich ohne Vorräte in der Karibik verloren, waren eine Woche nur noch dahingetrie- ben. Als endlich wieder Land in Sicht ge- kommen war, hatten sie gehofft, es könn- te Venezuela sein. Aber es war Trinidad. Beim Anlanden hatte sie ein schwarzer Polizist empfangen: „You are under ar- rest, in the name of His Majesty!“ In dem trostlosen Nest Cayenne macht Londres erste Bekanntschaft mit dem „Bagne“, wie die Franzosen die Strafkolonie nennen, die aus mehreren Standorten besteht. Einer befindet sich in Saint-Laurent-du-Maroni, am Grenz- fluss zu Surinam, drei weitere liegen auf den Îles du Salut, den „Inseln des Heils“, vor der Küste von Kourou, wo ein halbes Jahrhundert später der Weltraumbahn- hof für Ariane-Raketen entstehen wird. Allesamt Schandflecken der franzö- sischen Republik, wie Londres schnell erkennt. Weil ihre einzige Funktion da-
lonie. Sein Erzählstil, zwischen litera- risch und schnoddrig, ist geprägt von einer sehr subjektiven Liebe zum Detail. Die entflohenen Häftlinge, die trotz Wi- derstrebens des Kapitäns an Bord der „Biskra“ nach Cayenne zurücktranspor- tiert werden, beschreibt er zum Beispiel so: „Nur zwei von den elf wiesen äuße- re Merkmale von Intelligenz auf. Die übrigen, obwohl mager, wirkten wie schwerfällige Idioten. Drei von ihnen hatten ein Stück Rinderfett gefunden, rieben sich damit ihre schrecklich ge- schundenen Füße ein und wiederholten dabei nur in einem fort: ‚Verfluchte Teu- felskrabben!‘ Doch sie alle erweckten Mitleid. Man wünschte, sie hätten es doch geschafft!“ F luchtversuche aus der grünen Höl- le Amazoniens zählen in Guayana zum Alltag. Der Plan ist fast immer derselbe, wie bei diesen elf. Sie hatten sich eine Barke besorgt, aus Sackfetzen ein Segel genäht, ihr Schicksal dann den Strömungen und einem unzuver-
rin besteht, als Depot für unerwünsch- te Menschen zu dienen. Früher, unter „Sonnenkönig“ Ludwig XIV., hatte die Galeerenstrafe diesen Zweck erfüllt. Doch dann waren die Galeeren als Kriegsschiffe durch Segelschiffe ersetzt worden. Für die Fortführung des un- sichtbaren Strafvollzugs hatten sich da eigentlich nur Kolonien wie Neukaledo- nien und Guayana angeboten. Gegründet 1852 von Napoleon III., dienen die „Bagnes“ also nicht in ers- ter Linie dem Bestrafen, sondern ei- ner „Säuberung“ der Gesellschaft von „schädlichen“ Elementen, sozialen wie politischen, die auch nach Verbüßen ih- rer offiziellen Strafe nicht wieder heim- kehren sollen. Dafür sorgt eine Regel, die unter der Bezeichnung „doublage“, Verdoppelung, läuft: Wer zu fünf bis sieben Jahren Zwangsarbeit verurteilt wird, muss nach Verbüßen dieser Strafe noch einmal die- selbe Anzahl von Jahren als „freie“ Per- son in Guayana verbringen. Nur, dass es außerhalb des „Bagne“ keine koloniale
74 P.M. HISTORY –
Made with FlippingBook flipbook maker