URWALD Die wilde Natur des Landes (r.) erweist sich für Tausende Inhaftierte als tödlich: Sie sterben bei Zwangsarbeiten an Malaria, Typhus oder Gelbfieber GEFAHREN Wem die Flucht gelang, der riskierte im dichten Dschungel sein Leben: Hier eine historische Illustration aus der Zeitschrift „Le Petit Journal“ (u.)
Wirtschaft gab, in der man hätte Arbeit und Einkommen finden können. So sind entlassene Ex-Insassen quasi gezwun- gen, sich mit Diebstahl, Schmuggel und anderen illegalen Aktivitäten durchzu- schlagen. Werden sie erwischt, kom- men sie wieder ins „Bagne“ – nun für den Rest ihres Lebens. B ei seiner Rückkehr nach Paris wird der Journalist unverzüg- lich einen offenen Brief an den Minister für Kolonien verfassen. Und darin die sofortige Abschaffung fordern sowohl der „doublage“ als auch der le- benslangen Verbannung nach Guayana für jene, die zu mehr als sieben Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden sind. Doch bis zu jenem Brief ist es noch ein weiter Weg. Im Gefangenenlager von Cayenne lernt der Reporter den All- tag der Insassen kennen. Zusammenge- pfercht hausen dort 300 Mörder, Diebe, Zuhälter, Anarchisten, Landesverräter und Aufmüpfige aus den Kolonien Alge- rien, Indochina, Madagaskar. Tagsüber
sind sie zuständig für die städtische Reinigung, etwa als Straßenfeger. Die Nacht verbringen sie im Lager – in Käfi- gen zu 50 Mann. Dort wird meist Karten gespielt, oft kommt es dabei zu Streit. Niemand be- wacht die Käfig-Insassen. Wozu auch? Sie haben ihre eigenen Gesetze. Finden die Wächter am Morgen eine Leiche, folgt darauf keine Untersuchung. Theoretisch soll das „Bagne“ auch ökonomischen Wert schaffen, sich ir- gendwann selbst versorgen können. Doch es gelingt nicht einmal, die seit 1863 in Bau befindliche Straße von Cayenne nach Saint-Laurent-du-Ma- roni fertig zu bekommen. 60 Jahre nach dem ersten Spatenstich sind von den 260 geplanten Kilometern erst 24 entstanden. Tausende sterben für die Schneise durch den Regenwald, an Ma- laria, Gelbfieber, Typhus oder Erschöp- fung durch die Schinderei in der Hitze. Bei Kilometer 24 besucht Londres die Baustelle. Er schreibt: „Das Ende der Welt. Da sind jene, die aufrecht ste-
hen; jene, die am Boden liegen; jene, die wimmern wie Hunde. Vor ihnen steht der Busch wie eine Mauer. Aber nicht sie werden diese Mauer niederrei- ßen, sondern umgekehrt.“ Eine Hölle für sich sind auch die „Inseln des Heils“, auch wenn sie, ver- glichen mit den Gefangenenlagern in Cayenne und Saint-Laurent-du-Maroni, aus der Ferne bezaubernd wirken, wie Londres schreibt. Dass er die Inseln besuchen darf, lässt darauf schließen, dass er mit bes- ten Empfehlungen hoher Pariser Stellen nach Guayana gekommen ist. Gewöhn- lichen Besuchern ist der Zugang näm- lich strengstens untersagt. Royale, das Eiland in der Mitte, ist Standort für Verwaltung und Spi- tal. Nach Saint-Joseph werden jene verfrachtet, die schon mehr als einen Fluchtversuch unternommen haben oder als Aufwiegler gelten. Ihr Willen soll durch Kerkerhaft gebrochen wer- den. Das Ergebnis ist ebenso erbärm- lich wie erschütternd. Als „lebende
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