zen der Opfer in dem Dornengestrüpp. Zu Beginn fraßen die Löwen ihre Beu- te noch einige Hundert Meter entfernt, später machten sie sich teilweise nur 30 Meter vor dem Camp über sie her. Über Monate hinweg wurde Patter- son unzählige Male von seinen Baum- verstecken und Hochständen Zeuge der immergleichen grausamen Szene: „In meinem ganzen Leben habe ich noch nie etwas Nervenaufreibenderes erlebt, als das tiefe Gebrüll dieser schreckli- chen Ungeheuer zu hören, das allmäh- lich näher und näher kam, und zu wis- sen, dass der eine oder andere von uns dazu verurteilt war, ihnen zum Opfer zu fallen, ehe der Morgen dämmerte.“ Die Angst vor den Menschenfres- sern und die Unfähigkeit Pattersons, die Tiere zu erlegen, verschlechterte die Stimmung im Camp zunehmend. Immer öfter kam es zu Streit unter den Arbeitern, einige planten gar Mord- komplotte gegen Patterson, denen er nur knapp entkam. Ein Großteil der indischen und afrikanischen Arbeiter glaubte nun auch, dass es sich bei den Löwen um Dämonen oder Geister von toten Häuptlingen aus der Gegend han- deln musste, die auf Rache aus waren. Machtlos Patterson war verzweifelt: „Und bald war ich am Ende mit meiner Weisheit und wusste nicht, was ich noch tun könnte.“ Die Geschichte machte nun in der Region die Runde. Immer wieder kamen Helfer vorbei, darunter Offiziere von Marine und Militär. Doch auch sie konnten die Löwen nicht erlegen. Pat- terson fühlte sich hilflos: „Ich habe eine sehr lebhafte Erinnerung an eine […] Nacht, als die Bestien einen Mann von der Bahnstation ergriffen und ihn in die Nähe meines Lagers brachten, um ihn zu verschlingen. Ich konnte sie deutlich hören, wie sie die Knochen zermalm- ten, und das Geräusch ihres schreck- lichen Grollens […] erklang noch tage- lang in meinen Ohren.“ Anfangs ging immer nur ein Löwe nachts auf die Jagd nach Menschen- fleisch. Doch nach einer Weile drangen sie zu zweit in die Lager ein. Die Zahl
MITTEL DER MACHT Mithilfe der Uganda-Bahn wollte das Britische Empire seinen Einfluss in Ostafrika sichern: Sie ermöglichte es, Rohstoffe, Waren, Beamte und Soldaten schneller innerhalb der Kolonie zu transportieren
UNTERSTÜTZUNG Regelmäßig kamen Kolonialtruppen ins Camp der Uganda-Bahn in die Tsavo-Region, um Patterson bei der Jagd auf die zwei Löwen zu helfen. Doch auch ihnen gelang es nicht, die Raubtiere zu töten
der Angriffe und Toten explodierte. Die Arbeiter flohen jetzt massenhaft, und die Baustelle kam für drei Wochen zum vollständigen Stillstand. Patterson bat nun den Bezirksbe- auftragten Mr. Whitehead um Hilfe. Doch der wurde bei seiner Ankunft Anfang Dezember prompt von einem der Löwen attackiert. Er entkam der Bestie, die seinen Rücken mit ihren Krallen aufgeschlitzt hatte, nur knapp. Dafür schnappte sie sich einen Askari (Soldat der Kolonialtruppe) des Beam- ten. Tags darauf kam weitere Verstär- kung in Form des Polizeipräsidenten Mr. Farquhar, mehreren Offizieren und 20 Sepoys (indische Soldaten).
Die Soldaten verbarrikadierten sich nachts in einer Kastenfalle, die Patter- son entwickelt hatte. Sie bestand aus zwei Kammern, die durch ein Gitter getrennt waren: In der einen saßen die Sepoys quasi als Köder für die Löwen, die durch den Eingang in der anderen Kammer die Falle betreten sollten. Ein- mal drin, sollte ein Mechanismus da- für sorgen, dass die Tür zufiel und die Menschenfresser eingesperrt wurden. Dann hätten die Sepoys freie Schuss- bahn. Doch als genau das passierte, waren die Soldaten so verängstigt von dem Löwen, dass sie nur wild um sich schossen. Mehr als 20 Kugeln feuerten sie ab – ohne Treffer. Der Löwe konnte
77 P.M. HISTORY – OKTOBER 2025
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