KNIFFLIG Patterson wurde in erster Linie engagiert, um eine Brücke über den Tsavo zu errichten
entkommen, und die Verstärkung reiste ein paar Tage später wieder ab. Sechs Monate nach seiner Ankunft begann sich das Blatt aber zu Pattersons Gunsten zu wenden. Am 9. Dezember fielen die Löwen erneut ins Lager ein. Patterson gelang es endlich, eines der Raubtiere anzuschießen. Doch die bei- den konnten entkommen. Da er die Raubkatzen beim Fres- sen unterbrochen hatte, war sich Pat- terson sicher, dass sie in der nächsten Nacht für neue Beute zurückkehren würden. Er errichtete einen Hochsitz und bezog auf ihm bei Sonnenunter- gang Stellung. Es war stockfinster, als er das Knacken eines Zweiges ver- nahm: „Der Jäger wurde der Gejagte; und anstatt sich davonzumachen oder an den Köder zu gehen, […] begann der Löwe heimlich, sich an mich he- ranzupirschen! Für etwa zwei Stunden versetzte er mich in namenloses Ent- setzen, indem er […] allmählich immer näher heranrückte.“
Erst einige Tage später tauchte der letzte Menschenfresser wieder auf. Er schlich nachts um den Bungalow des Gleisbauinspektors. Der dachte, drau- ßen sei ein betrunkener Arbeiter, und rief deshalb: „Geh weg!“ Zu seinem Glück griff sich der Löwe lieber zwei Ziegen. In der folgenden Nacht legte sich Patterson in der Nähe auf die Lau- er. Als Köder band er drei Ziegen an ein Schienenstück. Kurz vor Tagesan- bruch tauchte der Löwe auf, schnappte sich den Köder, lief davon – und Pat- terson verfehlte ihn. Am Morgen folg- ten der Brite und einige Männer den Schleifspuren. Sie überraschten den Löwen, als er gerade eine der Ziegen fraß. Das Raubtier stürmte brüllend auf die Gruppe zu, ließ dann aber ab und verschwand. Da der Löwe zwei Ziegen zurückge- lassen hatte, war Patterson überzeugt, er würde nachts zurückkehren, und errichtete an der Stelle ein Gerüst. Er behielt recht: Gerade noch rechtzeitig
Dann sah Patterson den Löwen: „Ich konnte kaum seine Umrisse ausma- chen […]; aber ich sah genug für meine Zwecke, und bevor er näherkommen konnte, zielte ich sorgfältig und drückte ab. Auf den Klang des Schusses folgte sofort schreckliches Gebrüll […].“ Ein zweiter Schuss bellte durch die mond- lose Nacht, der sein Ziel fand: „Endlich ertönte ein mächtiges Stöhnen, das all- mählich in ein tiefes Seufzen überging und schließlich ganz verstummte.“ Der erste Menschenfresser war tot. Zähes Biest Am Morgen kamen die wenigen Arbei- ter, die noch geblieben waren, zum Ort des Geschehens. Sie tanzten, lachten und trugen Patterson auf ihren Schul- tern um das tote Tier herum. Doch die Feierstimmung hielt nicht lange an, denn der zweite Löwe trieb immer noch sein Unwesen. Und der sollte eine be- sonders schwierige Beute werden …
78 P.M. HISTORY – OKTOBER 2025
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