03-2020 Frauen im Einsatz

Kampf gegen die

Beschneidung in Guinea

96 % aller guineischen Frauen sind beschnitten. Das heisst: Von 100 Frauen entkommen weniger als vier der weibli- chen Genitalverstümmelung! Wir engagieren uns vor Ort, um dieser qualvollen Praxis ein Ende zu setzen. Guinea hat nach Somalia weltweit die zweithöchste Quote an Beschneidungen. Bei der Beschneidung werden die äusseren Geschlechtsorgane einer Frau entfernt. Von der Beschneidung betroffen sind sowohl kleine wie auch jugendliche Mädchen und erwachsene Frauen. Dieser Eingriff kann schwerwiegende Folgen haben: anhaltende Schmerzen, Blutungen, schmerz- hafter Geschlechtsverkehr, Komplikationen bei der Geburt, die häufig zum Tod des Babys und/oder der Mutter führen. «Ich leide immer noch jeden Tag» Odette, eine Guineerin, die sich gemeinsam mit uns im Kampf gegen die Bescheidung engagiert, ist selber auch betroffen: «Ich wurde fünfmal beschnitten, aber ich wusste nicht, dass dies die Ursache meines Leidens war. In meiner Unwissenheit unterzog ich dann andere Mädchen und Frauen den gleichen Verstümmelungen.» Die junge Frau fügt hinzu: «Bei meiner Ent- bindung wurde alles auseinandergerissen. Nach Jahren leide ich immer noch jeden Tag. Mein Mann hat mich verlassen, weil ich den Geschlechtsverkehr mit ihm nicht mehr ertragen konn- te. Jetzt möchte ich alles tun, um gegen diesen Brauch, der so viele Frauen in meinem Land schwer verwundet, zu kämpfen.» Die Kirche, eine treibende Kraft im Kampf gegen die Beschneidung Die Beschneidung ist eine alte Praxis mit tief verwurzelten re- ligiösen, kulturellen und sozialen Ursprüngen. Unsere Partner- kirche EPEG ist ein Vorreiter in der Bekämpfung der Beschnei- dung geworden. Als SAM global unterstützen wir sie dabei seit Jahren praktisch und finanziell. «Über die Beschneidung wird in Guinea nicht gesprochen. Dieses Tabu wollen wir brechen, sagt der Leiter des Departements für Ehe und Familie, Pastor Esaïe Koundouno. «Unser Ziel ist es, dass die Wahrheit über die Beschneidung und ihre Folgen bekannt wird.» Der Beitrag der Kirche ist dabei absolut unerlässlich: Wo viele Initiativen scheitern, weil sie die inneren Überzeugungen nicht ausreichend berücksichtigen, kann die Kirche einen tiefgreifen- den Mentalitätswandel herbeiführen. Es müssen auch die Ur- sachen angegangen werden, die in religiösen, mystischen und animistischen Praktiken und Überzeugungen verwurzelt sind. «Traditionell ist die Beschneidung oft Teil von animistischen Ritualen», sagt Pastor Esaïe. «Die abgeschnittenen Körpertei- le werden für okkulte Hexereipraktiken verwendet.» Es gibt zahlreiche Mythen und falsche Überzeugungen rund um die Beschneidung, so beispielsweise, dass unbeschnittene Frauen keine Kinder haben können oder keine richtigen Frauen sind. Die Lehre der Bibel ist ein sehr wirksames Werkzeug zur Verän-

nach Conakry bringen, wo Mercy Ships für einige Monate stationiert war und rekonstruktive Chirurgie für beschnit- tene Frauen anbot. Zudem wurden mehr als 2000 unbe- schnittene Mädchen durch Treffen und Selbsthilfegruppen ermutigt, dem sozialen Druck und dem Spott, dem sie re- gelmässig ausgesetzt sind, zu widerstehen. Pastor Simon- Pierre Lamah ist sich bewusst, dass es in einer Gesellschaft, in der die Gemeinschaft einen hohen Stellenwert hat, schwierig sein kann, die Beschneidung aufzugeben. «Unser Ziel ist es, den jungen Mädchen zu helfen, sich nicht dafür zu schämen, dass sie nicht beschnitten sind, sondern stolz darauf zu sein!» Es braucht einen langen Atem Der Kampf gegen die Beschneidung braucht viel Ausdauer. Trotz der Grösse der Aufgabe glauben wir, dass es gemein- sam mit unseren Partnern vor Ort und mit der Hilfe Gottes möglich sein wird, dass die Frauen Guineas eines Tages völ- lig frei von Genitalverstümmelungen sein werden. Wir sind dankbar, dass uns die «Stiftung gegenMädchenbe- schneidung» seit vielen Jahren in diesem Kampf finanziell tatkräftig unterstützt! Flucht in letzter Minute Nur in ein Tuch gehüllt gelang es Aminata wenige Minuten vor der Beschneidung, durch das Badezimmerfenster zu entkommen. Sie flüchtete zu einer Frau, die sich im Kampf gegen die Beschneidung engagiert. Später nahm eine Pas- torenfamilie aus einer anderen Stadt sie auf. In der Zwi- schenzeit versucht man die Familie zu sensibilisieren und zu ermutigen, darauf zu verzichten, ihrer Tochter diese Ver- stümmelung anzutun.

derung. Sie erinnert uns daran, dass Männer und Frauen «sehr gut» erschaffen wurden und dass Sexualität von Gott gewollt ist. Esther Kamano, die Frau eines Pastors und eine führende Kraft im Kampf gegen die Beschneidung, ist selber nicht be- schnitten worden. Sie meint: «Mein Vater hat sich imTheologie- studiummit mehreren seiner Kollegen verpflichtet, seine Töch- ter nicht beschneiden zu lassen. Dank seines Glaubens und seines Engagements bin ich – anders als fast alle Mädchen und Frauen – dieser schrecklichen Verstümmelung entgangen!» Ein Kampf an allen Fronten Vielfach sind es die Mütter, die ihre Töchter dieser Gewalt aussetzen. Sie wollen diese Tradition nicht aufgeben, da sie befürchten, dass ihre Töchter sonst keine respektablen Frau- en oder gute Ehefrauen werden können, wenn sie nicht wie sie selbst beschnitten werden. Dazu kommt ein finanzieller Aspekt: «Diese Praktik ist eine bedeutende Einnahmequelle sowohl für traditionelle Beschneiderinnen in den Dörfern als auch für die Beschäftigten im Gesundheitswesen – denn auch medizinisches Personal und Hebammen führen Beschneidun- gen durch», sagt Simon-Pierre Lamah, Pastor und Koordinator des Departements zur Förderung von Kindern unserer Partner- kirche EPEG. Obwohl die Beschneidung in Guinea offiziell verboten ist und trotz zahlreicher Sensibilisierungskampagnen geht der Anteil der beschnittenen Frauen nur sehr langsam zurück. Das Pro- blem ist, dass die Täter nicht bestraft werden. Zudem ist es schwierig, diese Verstümmelungen aufgrund der allgegenwär- tigen Korruption anzuprangern. «Letztes Jahr verurteilte ein Richter mehrere Personen, die Beschneidungen praktizierten. Aber nach einer Woche wurden die Täter von den Behörden wieder freigelassen. Und der mutige Richter erhielt Drohun- gen. Er musste seine Versetzung in eine andere Stadt beantra- gen», sagt Pastor Esaïe Koundouno. Schritt für Schritt Bis heute konnten wir etwa 40 Frauen für die Sensibilisierung ausbilden. Sie sind in fünfzehn Präfekturen und Regionen Guineas aktiv und bilden ihrerseits andere Frauen aus, damit sie sich in lokalen Kirchen, aber auch in Dorfgemeinschaften, Schulen und Gesundheitszentren in diesem Kampf engagieren können. Jedes Jahr werden so etwa 150 Dörfer und Nachbar- schaften aufgeklärt und sensibilisiert. Mit der Unterstützung der örtlichen Gemeinden versuchen die Frauen auch den Op- fern der Beschneidung zu helfen. Letztes Jahr haben dadurch 17 traditionelle Beschneiderinnen ihre Praktiken aufgegeben. Mehrere von ihnen sind jetzt engagierte und effektive Ver- mittler im Kampf gegen die Beschneidung. Im gleichen Jahr konnten wir mehr als 25’000 Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder erreichen. Mehrere Mädchen und Frauen konnten wir

Pastor Esaïe und seine Frau Esther setzen sich leidenschaftlich im Kampf gegen die Genital- verstümmelung in Guinea ein.

Gaëlle und Cédric Chanson engagieren sich zusammen mit ihrer Familie im Projekt ProTIM 2-2-2 in Kissidougou, Guinea, gegen die Mädchenbeschneidung

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