Davon träume ich:
«Wir brauchen dich hier!» – ein Brief mit Folgen
«Meine Kinder sollen Jesus liebhaben und ihm nachfolgen. So wie ich in der Schweiz Jesus kennengelernt habe, so wünsche ich mir, dass viele ihn kennenlernen.»
Fatima, 46, aus Syrien, lebt seit 6 Jahren in der Schweiz und nimmt an einem ProCONNECT-Angebot für Migranten-Schlüsselpersonen teil
Frauen in der «Mission»: ihrer Zeit voraus?!
len immer wieder, förderte die Lehrpersonen und war auch die «Inspektorin». Zuerst machte sie die Besuchsreisen zu den weit verstreuten Schulen zu Fuss und auf Eselsrücken, später mit dem Auto. Nach und nach konnte sie Angolanerinnen und Angolaner in diese Verantwortung einführen, und nach der Unabhängigkeit Angolas wurden die Schulen vom Staat übernommen. Dr. Jean- Pierre Bréchet, ein langjähriger Mitarbeiter, schreibt über Flory: «Die Früchte ihres grossen Einsatzes in Angola sind überall sichtbar. Ihre Lie- be zu Jesus Christus hat viele Jungen und Mäd- chen beeinflusst, die heute wichtige Führungs- aufgaben in ihrer Gemeinde wahrnehmen.»
In meinen 28 Jahren bei SAM global hatte ich das Vorrecht, viele «Frauen nach dem Herzen Gottes» kennenzulernen: Frauen, die Gottes Ruf gehört haben und sich durch nichts davon abbringen liessen, Gottes vorbereitete Werke zu tun – weder durch Entführung noch durch körperliche Ein- schränkungen, weder durch Verlust von Familien- angehörigen noch durch Krankheit oder kriegeri- sche Auseinandersetzungen. Ab und zu erlebten sie Planänderungen – sie liessen sich von Gott an ganz anderen Orten und in ganz anderen Projekten gebrauchen, als ursprünglich geplant war. Sie führ- ten ein hingegebenes, manchmal sehr hartes, aber erfülltes Leben. Einen ganzen SAM-Focus könnten wir füllen mit ihren spannenden Geschichten. Ich habe hier eine ausgewählt von einer Frau, die gan- ze Generationen geprägt hat: Flory Eoll – 1921 bis 2013: Ein Leben, das grosse Segensspuren hinterlassen hat Flory Eoll hatte wahrlich keinen optimalen Start ins Berufsleben. Als 14-Jährige musste sie die Schule mit der Diagnose «Depression» abbre- chen. Flory erholte sich und absolvierte eine Aus- bildung zur Übersetzerin. Ihr Herz brannte aber für die interkulturelle Arbeit. Mit der Perspektive auf einen Einsatz in einem fernen Land liess sie sich deshalb auch noch zur Hebamme und später zur Krankenschwester ausbilden. Für sie war aber bald klar, dass diese Arbeit nicht ihren Fähigkeiten entsprach – die Nöte der Kranken gingen ihr viel zu nahe. Auf Eselsrücken in Angola unterwegs Ein Einladungsbrief aus Angola öffnete ihr dann die Tür für ihren 30-jährigen Einsatz. Zwei Frau- en, Edmée Cottier und Anni Bréchet, die mit SAM global in Angola im Einsatz waren, schrieben ihr, sie hätten eine Aufgabe für sie, für die derzeit nie- mand Zeit hätte: nämlich die Betreuung von Mäd- chen, die das Internat auf der Station besuchten. In Angola gründete Flory dann in einer ganzen Region Schulen für Mädchen und Jungs. Die Lehr- mittel erarbeitete sie selber – vom Staat gab es da- mals noch nichts. Der biblische Unterricht gehörte ebenso zum Programm. Flory besuchte die Schu-
Inner- und ausserhalb der Kirche hat- ten die Frauen in Europa bis vor weni- gen Jahrzehnten oftmals kaum Rech- te und haben sich still den Männern untergeordnet – anders im Ausland: Dort konnten sie vielerorts schon früh selbständig und in Eigenverantwor- tung Aufgaben übernehmen. Im deutschsprachigen Raum entstand ab 1722 die Glaubensbewegung der Herrnhuter Brüdergemeinde, welche nebst Männern auch Frauen entsandte, da sie der Meinung war, dass es beide braucht, um alle Menschen mit der Gu- ten Nachricht erreichen zu können. Der grosse Aufbruch für die Frauen kam mit der Gründung vieler Glaubensmissionen im 19. Jahrhundert: Diese Organisati- onen waren geprägt vom Verständnis, dassMänner und Frauen gleichermassen zum Dienst berufen waren. Es wurden sogar reine Frauenmissionsgesellschaf- ten gegründet, welche ledige Frauen vorbereiteten und aussandten. Diese Frauen bauten Schulen auf, arbeiteten im medizinischen Bereich, in der Alpha- betisierung, als Bibelübersetzerinnen oder als Evangelistinnen. Sehr viele Frau- en leisteten herausfordernde Pionierar- beit. Fredrik Franson: «Weissagende Töchter» Einer der Männer, welcher in der Frauen- frage eine sehr moderne Einstellung hat- te, war Fredrik Franson (1852-1908), der Mitbegründer von SAM global. Franson war der Ansicht, dass Frauen gleichbe- rechtigt waren und auch in der Verkün- digung, Leitung, Lehre und Seelsorge eingesetzt werden sollten, da die Geis- tesgaben unabhängig vom Geschlecht
geschenkt werden. Franson verfasste dazu eine Schrift mit dem Titel «Weissa- gende Töchter», in welcher er seine Ar- gumente biblisch begründete.
Ein klarer Auftrag Mit dem Ausklingen der Erweckungs- bewegung veränderte sich jedoch auch das Verständnis der Rolle der Frau vie- lerorts und es wurde wieder vermehrt in Frage gestellt, ob Frauen eine leitende Rolle in Gemeinden und Mission inneha- ben durften. Heute arbeiten in den meisten Organi- sationen mehr Frauen als Männer, und sie haben oft eine gleichberechtigte Stellung. Die Frage, ob es biblisch-theo- logisch vertretbar ist, dass eine Frau eine Leitungsfunktion innehat oder eine Pre- digt halten darf, stellt sich in vielen Situ- ationen im Ausland gar nicht, weil sonst die Arbeit nicht gemacht werden könn- te. Dabei ist der Auftrag aus der Bibel klar – alle Menschen sollen die Möglichkeit erhalten, die Gute Nachricht verständ- lich zu hören, und dieser Auftrag gilt Männern wie Frauen.
Arrangierte Ehen in der interkulturellen Arbeit
Es gab im deutschsprachigen Raum aber auch andere Ansichten und Praktiken: Ei- nige Organisationen sandten zu Beginn ihrer Geschichte nur ledige Männer aus. Wenn sich die Männer bewährt hatten und heiraten wollten, durften sie nach zwei Jahren im Dienst einen Antrag auf eine «Missionsbraut» stellen. Das Missi- onskomitee suchte dann nach heirats- willigen Frauen, welche bereit waren, ihr Leben ganz in den Dienst der Missi- on zu stellen und einen ihnen oft völlig unbekannten Mann zu heiraten. In der Regel fand die Hochzeit nach einer Ken- nenlernphase von rund zwei Wochen statt. Auch wenn diese Frauen in erster Linie zur Unterstützung eines Mannes ausreisten, leisteten viele von ihnen enorm wertvolle Arbeit. Ein Beispiel ist RosinaWidmann, welche gleich nach der Hochzeit in Ghana eine Mädchenschule eröffnete, innert kürzester Zeit die Spra- che erlernte und das Vertrauen der Be- völkerung gewann. Über ihre erste Be- gegnung mit ihrem zukünftigen Mann schrieb sie: «Wir sahen uns nicht an, als sähen wir uns zum ersten Mal, denn der Herr, der unseren Bund geschlossen, […] verband unsere Herzen noch ehe wir uns kannten, in inniger Liebe!» Welchen Mut muss es gekostet haben, als junge Frau in ein fremdes Land zu reisen, um einen unbekannten Mann zu heiraten und nicht zu wissen, ob sie jemals wieder in die Heimat zurückkehren würde.
Sprachwissenschaftlerin ohne Maturitätsabschluss
Flory hat sich zudem unermüdlich weitergebil- det. Vor allem eignete sie sich in unzähligen Stun- den fundierte Kenntnisse über die angolanische Umbundu-Sprache an. Flory war die Umbundu- Lehrerin aller neuen Langzeit-Mitarbeitenden. Zuerst verwendete sie dazu das Sprachbuch ei- ner amerikanischen Organisation, später verfass- te sie ein Umbundu-Grammatik-Lehrbuch nach einer neueren Methode. Sie war massgeblich an der Übersetzung einiger Bücher der Bibel in die Umbundu-Sprache beteiligt. Das folgende Erleb- nis verdeutlicht, mit wie viel Herzblut Flory bei der Sache war: Anfang der 50er-Jahre machte sie einen Besuch in England und wollte sich in der Bi- bliothek einer Universität vertieft mit den Stam- messprachen auseinandersetzen. Die Erkennt- nisse sollten ihr für ihre Arbeit helfen. Ihr wurde höflich, aber bestimmt mitgeteilt, dass sie ohne Maturitätsabschluss leider keinen Zugang zu diesen Büchern habe. Flory war sehr enttäuscht und brach sogar in Tränen aus. Daraufhin nahm sie der Mann am Empfang beim Arm und führte sie zu den gewünschten Büchern! Gottes Wege und Führungen sindmanches Mal ungewöhnlich, aber spannend und zielführend.
Beatrice Ritzmann, Perso- nalleiterin SAM global
1954 Flory Eoll (links) mit ihrer Kollegin Hanni Sigg
Quellen: Ruth Tucker, Bis an die Enden der Erde. Mis- sionsgeschichte in Biographien, Metzingen: Ernst Franz Verlag, 1996 Hans Ulrich Reifler, Handbuch der Missiolo- gie. Missionarisches Handeln aus biblischer, historischer und sozialwissenschaftlicher Per- spektive, edition afem, mission academics 19, Nürnberg: VTR/VKW, 2009
Albert Zimmerli, Sekretariatsleiter SAM global
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