Zuhause in der Schweiz – wirklich zu Hause?
Blog von Cornelia Flückiger, Guinea Die vergangenen zweieinhalb Monate waren die intensivsten, traurigsten, stressigsten und zugleich fröhlichsten Monate unserer Zeit hier in Conakry. Oh nein, Entschuldigung – wäh- rend ich schreibe, sitze ich in unserem Haus in der Schweiz, die Sonne scheint mir ins Gesicht, die Amsel singt, und ich trage den dicken Pullover, damit ich nicht friere. Die Ereignisse über- stürzten sich in den letzten Wochen, man kann es gar nicht in Worte fassen. Wir sind fünf Wochen früher als geplant in die Schweiz zurückgekehrt. Leider hat uns das Coronavirus, wie fast allen anderen Menschen auf dieser Welt auch, einen Strich durch die Terminplanung gemacht. Nach langem Hin und Her haben wir uns entschieden, das Land früher zu verlassen und in die sichere Schweiz zurückzukehren. Wir können nun für unse- re Freunde in Guinea nicht mehr viel tun. Sie kennen besser als wir – auch wegen der überstandenen Ebola-Epidemie – die Massnahmen, die man treffen und einhalten muss. Zweigeteiltes Herz Noch nie in meinem Leben fühlte sich mein Herz so zweigeteilt an wie jetzt: Ich fühle mich hier in der Schweiz, aber auch dort in Conakry zu Hause. Seit ich hier bin, möchte ich dort sein – als ich dort war, wollte ich oft hier sein, vor allem wegen unseren Kindern. Aber auch in Conakry haben wir unsere Kinder, keine leiblichen zwar, aber viele ans Herz gewachsene. Ich bin in der Schweiz in Sicherheit und habe alles, was ich zum Leben brau- che, und noch viel mehr. Meine Freunde dort können nur von Tag zu Tag leben – auf der Suche nach genügend Essen und nach sauberemWasser für die jetzt so wichtige Händehygiene. Wieso ich? So beschäftigen mich die Fragen: Wieso habe ich den schö- nen roten Pass, der mir einen Rückführungsflug ermöglicht hat und der mir eine Heimat garantiert, die sich zwar verän- dert, aber in meinen Augen der Himmel auf Erden ist? Ich habe eine Regierung, die für das Volk denkt, die jede Berufsgruppe irgendwie im Auge behält, die überlegt und weise handelt, die
keinen eigenen Profit aus der schlimmen Lage schöpft und die versucht, gerecht für alle zu entscheiden. Im Laden hat es zwar gerade keinen Blätterteig mehr, aber morgen ist das Gestell wieder aufgefüllt. Wieso gerade ich und nicht meine Nachba- rin in Conakry? Diese Fragen sind mir nicht neu und Ihnen ver- mutlich auch nicht – aber heute gerade wieder sehr aktuell. Ich könnte den ganzen Tag nur danken für alles, was ich da einfach so habe, und gleichzeitig weinen über die Ungerechtigkeit in dieser Welt. Wir lassen uns nicht aufhalten Dies allesmotiviert mich aber unglaublich, weiter zu hoffen und zu glauben, dass unser Tropfen auf den heissen Stein weiterhin Früchte trägt. Es motiviert uns, bereits heute wieder an eine Ausreise nach Guinea zu denken und zu hoffen, dass es bald wieder Flüge geben wird, die uns in das uns liebgewonnene Land und zu den lieben Leuten zurückbringen. Wir lassen uns von den vielen Schwierigkeiten nicht aufhalten, den Menschen Hoffnung zu bringen, sie zu ermutigen und sie auszubilden. Ich wünsche mir sehr, dass auch wir Schweizer aus der Krise lernen, dass weniger mehr sein kann. Wenn wir auf etwas verzichten, bleibt etwas mehr für diejenigen, die wenig oder nichts haben. Lasst uns diese Menschen nicht vergessen, sie können nichts dafür, dass sie keinen roten Pass haben! Im August 2020 konnten Cornelia und Peter Flückiger wieder nach Guinea reisen. Sie investieren sich vor Ort im Gästehaus, in der Administration, der Landeskoordination und in der Lan- cierung des neuen Projektes «Hauswirtschaftsschule für junge Guineerinnen».
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