Ehrenamt und freiwilliges Engagement junger Menschen in Deutschland: Historische Entstehung, Formate und gesellschaftliche Wahrnehmung
Wolfgang Hinz-Rommel
In Deutschland lassen sich im We - sentlichen drei Traditionslinien für das freiwillige Engagement von Bür - gerinnen und Bürgern verfolgen. Die Begriffe Ehrenamt, Freiwilliges oder Bürgerschaftliches Engagement sind umgangssprachlich nicht klar unter - schieden, obwohl sie bereits auf die unterschiedlichen Traditionen ver - weisen. Die Ursprünge des Begriffs „Ehren - amt“ und das damit verbundene inhaltliche Verständnis liegen im Kö - nigreich Preußen. Um Aufruhr und Revolution zu verhindern, räumte die Preußische Städteordnung von 1808 dem aufstrebenden Bürgertum konkrete Mitgestaltungsrechte und Beteiligungsmöglichkeiten ein, leg - te damit aber auch Pflichten in der kommunalen Selbstverwaltung fest. Die Bürger konnten ein „Ehren- Amt“ übernehmen und sich zum Bei - spiel als Schöffen einbringen. Diese Tradition besteht ungebrochen bis heute, obwohl sie an Bedeutung verloren hat. Schöffen, Wahlhelfe - rinnen, Freiwillige bei der Feuerwehr oder im Katastrophenschutz enga - gieren sich im Rahmen eines solchen Ehrenamtes und bekommen dafür eine Aufwandsentschädigung.
Landflucht und Industrialisierung führten ab Mitte des 19. Jahrhun - derts zu Not und Armut in den Städ - ten. Tausende lebten dort unter pre - kären Verhältnissen, weil sie keine Arbeit und keine Unterkunft fanden oder nur einen geringen Lohn für ihre Tätigkeit in den Fabriken erhiel - ten. In dieser Situation entwickelte sich die Wohlfahrtspflege : Aus dem oftmals spontanen Engagement Einzelner entstanden Fürsorgeein - richtungen zum Beispiel für Kinder, Kranke und Erwerbslose, in denen sich Menschen freiwillig um die Be - dürftigen kümmerten. Nach und nach wurden diese Einrichtungen dann professionalisiert und in das Sozialsystem integriert. Auch heute ist freiwilliges Engagement in Notsi - tuationen für viele Menschen selbst - verständlich. Das war 2016 während der Flüchtlingskrise in Deutschland umfassend spür- und sichtbar. Eine dritte Traditionslinie ist die lo- kale Vereinskultur , in der ab Mitte des 19. und vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts das bürgerliche Leben in vielfältiger Weise zum Aus - druck kam. Das Ziel der Vereine war klar definiert: Selbsthilfe und Enga - gement für Andere standen im Mit - telpunkt, egal, ob es um sportliche
oder politische Aktivitäten, Bildungs- oder Freizeitangebote ging. Der Vor - teil eines Vereins lag dabei auf der Hand: Er bot durch seine festgelegte Rechtsform einen verlässlichen Rah - men. Bis heute spielen Vereine eine überragende Rolle für die Gewin - nung von freiwillig Engagierten. Der überwiegende Teil des Engagements wird im Rahmen von Vereinen ge - leistet. Schließlich müssen hier ergänzend auch die Stiftungen erwähnt wer- den. Sie sind wahrscheinlich die früheste Form freiwilligen Engage - ments, denn bereits seit dem Mit - telalter existiert diese Tradition im deutschen Sprachraum. Sie basiert jedoch auf einer anderen Grundla - ge als die oben genannten Engage - mentformen: Das Ziel war und ist hier zunächst, ein bestehendes Ver - mögen für einen spezifischen phil - anthropischen Zweck zu sichern. Um Stiftungen herum entsteht oftmals Engagement in großem Umfang. Kein Engagement ohne Freiheit In den Jahren der nationalsozialis - tischen Diktatur und der Zerschla - gung der Zivilgesellschaft zwischen
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