Ehrenamt und Herzenssache: Türkei und Deutschland

Die 50er Jahre: Entstehung der Freiwilli­ gendienste 1954 entstand vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels das Diakoni - sche Jahr – es gilt als Keimzelle der Freiwilligendienste, wie wir sie heu - te kennen. Bereits drei Jahre später wurde das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) gesetzlich geregelt. 1990 kam das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) hinzu, 2008 der entwicklungspoliti - sche Freiwilligendienst „weltwärts“. Die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht 2011 gab dieser Entwick - lung neuen Schub: mit dem Bundes - freiwilligendienst wurde ein weiteres erfolgreiches Format geschaffen.

1933 und 1945 gab es kein freiwilli - ges Engagement im Wortsinn mehr: Sämtliche Organisationen, Verbände und Vereine waren gleichgeschaltet, jedwedes Engagement grundsätz - lich staatlichen Zielen untergeord - net. Freiheit und Vielfalt waren als Grundpfeiler einer echten Zivilge - sellschaft nicht mehr existent. Nach 1945 nahmen Ost- und West - deutschland eine unterschiedliche Entwicklung. In der DDR lässt sich eine weitgehend staatliche Lenkung der Aktivitäten beobachten, wobei die kirchlichen Strukturen hierbei einen vergleichsweise geschützten Raum bieten konnten. In der BRD knüpften die Organisa - tionen mit dem Wiederaufbau nach dem Krieg an die zivilgesellschaftli- chen Strukturen der Weimarer Re - publik an. Vor allem die Jugendver - bände erlebten eine neue Blütezeit: Sie organisierten Ferienfreizeiten, engagierten sich zunehmend in der außerschulischen Jugendbildung und bauten auch ihre politische Lobbyarbeit sichtbar aus.

politische Strukturen eingebunden und auch gefördert. In einer Reihe von Bundesländern wird Engage - ment strategisch unterstützt. In den letzten Jahren zeigte sich, dass sich die Erwartungen und Ansprüche der Engagierten gewandelt haben. Langfristige Verbindlichkeit ist we - niger gefragt als temporär begrenz - tes Engagement für ein konkretes Projekt. Viele Engagierte wünschen sich eine individuell ausgestaltete Aufgabe, bei der sie ihre Kompe - tenzen einbringen können. Dies ist eine große Herausforderung für die Organisationen, die mit Freiwilligen arbeiten. Die Freiwilligendienste freuen sich über ein kontinuierliches Wachstum – aktuell absolvieren ca. 100.000 Menschen pro Jahr einen solchen Dienst. Besonders beliebt ist das Format im Übergang von Schule zu Beruf bzw. Ausbildung. Hier hat sich der Freiwilligendienst zur berufli - chen Orientierung und als Phase der Klärung bei jungen Menschen vielfach bewährt. Von staatlicher wie gesellschaftlicher Seite sind aber auch hier die Erwartungen an die Organisationen gestiegen: So soll der Freiwilligendienst zum einen Nachwuchskräfte im sozialen Be - reich rekrutieren, zum anderen soll die Zeit im Freiwilligendienst bei jun - gen Menschen zunehmend erziehe - rische Defizite ausgleichen.

Ehrenamt, freiwilliges Engagement und Frei­ willigendienste heute

Die Tradition des Ehrenamtes ist un - gebrochen. Allerdings lässt sich in vielen Bereichen ein Bedeutungsver- lust beobachten – so existieren Frei - willige Feuerwehren fast ausschließ - lich in ländlichen Regionen, während in urbanen Zentren Berufsfeuerweh - ren überwiegen. Eine Aufwandsent - schädigung für die ehrenamtliche Arbeit ist heutzutage die Regel. Viele Organisationen kämpfen mit akuten Nachwuchsproblemen im Ehrenamt. Dies gilt vor allem auch für ehren - amtliche Vorstände von Vereinen. Das Freiwillige Engagement erlebt seit 2001 einen sichtbaren Bedeu - tungszuwachs: In der Folge der En - quetekommission zur „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ wurde Freiwilliges Engagement stärker politisch wahrgenommen, in

Wolfgang Hinz-Rommel ist Leiter der Abteilung Freiwilliges Engagement beim Diakonischen Werk Württemberg e.V.

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