Zu den ehrenamtlichen Erfahrungen junger Menschen nach ihrer Schul - zeit und dem Studium liegen aus der Türkei bislang noch keine For - schungsdaten vor. Es zeigt sich, dass ihr ehrenamtliches Engagement ab - nimmt, wenn sie im Anschluss an die Schulzeit oder das Studium er - werbstätig werden. Die Erfahrungen zeigen, dass sie dann nicht weiterhin ehrenamtlich tätig sind oder, falls sie sich weiterhin ehrenamtlich engagie- ren, dass ihr durchschnittliches wö - chentliches Engagement abnimmt. Ein Grund hierfür ist die relativ hohe Jugendarbeitslosigkeit, insbesonde - re unter Hochschulabsolvent*innen, die vor allem in ihren ersten Jah - ren auf dem Arbeitsmarkt hohem Konkurrenzdruck ausgesetzt sind. Weitere Faktoren sind lange Ar - beitszeiten und die Intensität des Großstadtlebens. Außerdem nimmt ehrenamtliches Engagement auch nach der Heirat entweder ab oder wird völlig aufgegeben. In der Türkei führen verschiedene Faktoren, die türkischen Familienstrukturen eigen sind, zu Veränderungen darin, wie Menschen ihre Zeit gestalten. Hier - zu zählen die enge Einbindung von Eheleuten in ihre Familien, intensive
Familienbezie - hungen sowie El - ternschaft bzw. Rollen bei der Betreuung von Kindern. Eine Studie, die 2016 unter Stu - dierenden an
der Universität Istanbul durchge - führt wurde, ergab, dass von den Studierenden, die während ihrer Zeit an der Universität ehrenamtlich tätig waren, sich 60,1 % für Bildung, 51,1 % für Kinder, 46,7 % für Jugend - liche, 42,1 % für die Umwelt, 27,8 % für Armutsbekämpfung, 27,4 % für religiöse Dienste, 26,5 % für Ge - sundheitsdienste, 25,6 % für Senior/- innen, 22,5 % für Menschenrechte, 21,8 % für Menschen mit Behinde - rungen, 21,4 % für Frauen, 21,3 % für Tiere und 13,9 % für Arbeitsfra - gen engagierten. Es zeigte sich, dass sich Studierende stärker für Bildung, Kinder, Jugendliche und die Umwelt ehrenamtlich engagieren. Junge Menschen scheinen sich daher eher zu dienstleistungsorientierten Berei- chen hingezogen zu fühlen. Gleich - zeitig sind diese Entscheidungen
nicht auf Studierende beschränkt: Ähnliche Präferenzen für eine eh - renamtliche Tätigkeit gelten auch für Schüler*innen in der Sekundarstufe oder Erwerbstätige. In den letzten Jahren wurde festge - stellt, dass sich Jugendliche gerne für humanitäre Hilfe und Katastro - phenhilfe ehrenamtlich engagieren. Diese Situation ist direkt auf den dramatischen Anstieg der Zahl von Migrant*innen in der Türkei sowie auf Katastrophen im Land zurückzu - führen. In einem Staat wie der Türkei, den die internationale Gemeinschaft inmitten von Kriegen und Migrati - onsbewegungen allein gelassen hat und der immer mehr Ziel dauerhaf - ter statt transitorischer Migration ist, steht mittel- bis langfristig ein An-
»» Ich habe schon früh als Gruppenleiter Verantwortung übernom men. Meine eigene Gruppe hat mir viel bedeutet und das wollte ich gerne weitergeben. Anschließend hat sich für mich im Zivildienst die Erkenntnis wiederholt, dass mir Übernahme von Verantwortung liegt. So hat sich das bis heute fortgesetzt. Es müssen aber auch Ressourcen für Ehrenamt da sein. Das funktioniert nicht ohne ent sprechende Voraussetzungen. « Hans Steimle, BAG Evangelische Jugendsozialarbeit
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