Ehrenamt und Herzenssache: Türkei und Deutschland

»» Diese Begegnungen sind eine gute Möglichkeit, unsere Arbeit zu reflektieren, abzulegen – denn man hat immer nur Angst vor etwas, was man nicht kennt. « Erkan Şamiloğlu, Ministerium für Jugend und Sport uns besser kennen­ zulernen und Ängste

Unterschiede in der Ausprägung von freiwilli - gem Engagement in beiden Ländern sind oft bedingt durch die sehr unterschiedlichen po - litischen und gesellschaftlichen Strukturen. Ein Stichwort ist beispielsweise eine föderale gegenüber einer zentralverwalteten Organi - sation des Staates. Während in Deutschland die praktische Umsetzung zum Beispiel der Jugendarbeit in erster Linie durch die Vereine und Verbände auf lokaler Ebene geschieht, ver - steht sich in der Türkei der Staat als zentraler Akteur. Dies bringt es mit sich, dass auch die Orte, an denen Ehrenamt stattfindet, in beiden Ländern unterschiedlich sind: In Deutschland findet ehrenamtliches Engagement in der Zi - vilgesellschaft und klassischerweise in einem Verein oder Verband statt. Demgegenüber engagieren sich Menschen in der Türkei oft auch im Kontext staatlicher Projekte. Forscher beschreiben sogar gewisse Vorbehalte, sich in Nichtregierungsorganisationen zu engagieren. Häufig findet dort das ehrenamtliche Engage - ment im gleichen Bereich wie die professionel - le Berufstätigkeit statt – wie zum Beispiel der Berufschullehrer, der im Rahmen eines Pro - jektes des Bildungsministeriums ehrenamtlich den Kontakt zu syrischen Familien sucht, um sie von den Vorteilen einer Berufsausbildung für ihre Töchter zu überzeugen. Möglicherweise hängt mit dieser Tatsache auch das Phänomen zusammen, dass im Rahmen von Studien eine Diskrepanz festgestellt wur - de zwischen der hohen Zahl derer, die sich in der Türkei engagieren wollen, und denen, die tatsächlich als Engagierte in den Statistiken er - fasst werden. Das Engagement von im Bereich Bildung oder Soziale Arbeit Tätigen über ihre Dienststunden hinaus, das in der Praxis häufig

zu beobachten ist, wird von den Engagierten selbst unter Umständen gar nicht als Eh - renamt wahrgenommen und findet nicht Eingang in die Statistiken. Was können wir voneinander lernen? Der Mehrwert des deutsch- türkischen Austausches liegt generell – so wie meist im in - ternationalen Fachaustausch

– nicht in der einfachen Übertragung von Kon - zepten von einem auf das andere Land. Es geht vielmehr darum, im Spiegelbild der anderen Realität die eigene Praxis neu wahrzunehmen und daraus Impulse für eine Weiterentwick - lung zu ziehen. Aktuell ist sowohl in Deutschland als auch in der Türkei die Förderung von ehrenamtlichem Engagement junger Menschen ein wichtiges Thema. Für beide Länder nimmt dabei die Frage nach einer Weiterentwicklung in Rich - tung Zukunft besondere Bedeutung ein. Dies trifft in hohem Maß auf den Themenbereich Digitalisierung und auf die Förderung des En - gagements neuer Zielgruppen zu. Gerade hier bestehen viele gemeinsame Interessen und Möglichkeiten, voneinander zu lernen. Prak - tische Beispiele der Veranstaltungsreihe, die auch im Folgenden Erwähnung finden, sind die neue digitale Ehrenamtlichen-Plattform des Ministeriums für Jugend und Sport, Projekt - arbeit mit jungen Geflüchteten im Süden der Türkei oder die Thematisierung von Ehrenamt im Rahmen von Schule.

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