Festtagsbrevier

–– UNSERE EMPFEHLUNGEN ZUR WINTERZEIT 10

11 FESTTAGSBREVIER ––

KOLUMNE ANDREAS BRENSING

FEST DER MISSVERSTÄNDNISSE Verkorkst!

»MINERALISCH UND FRUCHTIG UND VOR ALLEM EINFACH TYPISCH CHAMPAGNE, OHNE VERKOPFT DAHERZUKOMMEN.« ANDREAS BRENSING

WEIHNACHTEN IST DAS FEST DER LIEBE, BEHAUPTEN JA EINIGE MENSCHEN. ICH WÜRDE EHER SAGEN: DAS FEST DER MISSVERSTÄNDNISSE. DAS BETRIFFT NICHT NUR DIE POLITISCHE DEBATTE MIT ONKEL ERNST, DIE SICH IM LAUFE DES LANGEN WEIHNACHTSABENDS ENTWICKELT UND MIT ZUNEHMENDEM GETRÄNKEKONSUM SO EXPLOSIV WIRD WIE EIN SEIT DREI JAHREN GETROCKNETER WEIHNACHTSBAUM ...

BRUT TRADITION Pierre Brocard | Champagne

Als wir Thibaud Brocard das erste Mal besuchten, hatte er gerade das Weingut seines Vaters übernommen. Eine gro- ße Aufgabe, denn es dauert Jahre, bis man ein Champag- nerweingut komplett umgekrempelt hat – und genau das wollte er. Auf einen Tank mit mehreren tausend Litern hat- te er mit Kreide „rubbish“ geschrieben. Umso mehr beein- druckte mich die Gelassenheit, ja geradezu Coolness, mit der Thibaud alles anging. Je länger ich über diesen ersten Termin nachdenke, desto mehr bin ich der Überzeugung, dass sich genau das auch in seinen Champagnern wider- spiegelt, und der Brut Tradition ist der beste Beweis dafür. Er ist ein tiefenentspannter Champagner, was nicht heißt, dass er eindimensional ist, aber er muss nichts beweisen. Er ruht in sich. 80 Prozent Pinot Noir geben ihm viel Kraft, das ist typisch für die Weine der südlichen Champagne. Jeweils zehn Prozent Chardonnay und Pinot Blanc sor- gen für die Eleganz. Hauptsächlich im Stahl, aber eben auch mit etwas Holz ausgebaut, bringt er Finesse und Frische zugleich mit. Trocken, aber nicht brutal trocken ausgebaut, wirkt er nie anstrengend und ist wunderbar balanciert. Man würde sich so etwas von den Einstiegs- champagnern der großen Marken wünschen. Fehlerfrei, mineralisch und fruchtig und vor allem einfach typisch Champagne, ohne verkopft daherzukommen. Wenn ich dann noch auf die immer noch sehr moderaten Preise bei Thibaud schaue und daran denke, wie die sich bei den Big Brands entwickelt haben, dann kann man nur sagen: selbst schuld, wer was anderes trinkt.

O der die Erinnerungen an die schönen Mo- mente der Kindheit, die unweigerlich ir- gendwann auf den Tisch kommen und bei denen man laut rufen möchte: Stopp, das war doch ganz anders. Das betrifft ganz sicher auch den kuli - narischen Teil. „Ich brauche einen ganz besonderen Wein, et- was außergewöhnlich Gutes“, war die Ansage, „mein Schwager kommt ja am ersten Weihnachtsabend und der hat sehr viel Ahnung von Wein.“ „Was hatten Sie letztes Jahr?“ Es fällt der Name eines 2ème Grand Cru Classé aus einem Top-Jahr, ganz gut gereift, 98 Parker-Punkte, wenn ich mich nicht irre … „Ja, da war der 90er besser, meinte er.“ Und der Cham- pagner, von dem wir jedes Jahr nur sechs Flaschen bekommen? „Ja, ganz ordentlich, aber das Mousseux etwas hart …“ Und das Jahr davor dieser herrlich ge- reifte Burgunder 1er Cru? „Passte nicht zur Gans … ich brauche wirklich was Perfektes. Was können Sie mir denn empfehlen?“ Das klang beinahe flehentlich. Mir fiel nur noch eines ein: „Einen neuen Schwager, würde ich sagen.“ Wie sagte Heimito von Doderer: „Wer sich in Familie begibt, kommt darin um.“

Das Pärchen, das sich am ersten Weihnachts- feiertag mit guten Freunden zum Kochen und Essen verabredet hatte, war da schon deutlich entspannter. Gute Weine, auch der ein oder andere ausgefallene, er notierte sich die Storys und wie die Weine zu be- handeln seien, und dann kamen wir zum Dessert. Was mit Nüssen, etwas Schokolade, Frucht … Dazu fiel mir ein durchaus ungewöhnlicher Süßwein ein. „Ach, der ist super“, meinten beide, „aber Süßwein ... so was trinken unsere Freunde nicht. Aber wir neh- men trotzdem für uns ein Fläschchen mit …“ Zwei Tage später: ein anderes Pärchen. Man hört so viele Menüfolgen vor Weihnachten, aber beim Dessert hät- te es eigentlich klingeln müssen, Frucht, etwas Scho- kolade, Nüsse. Vorgeschlagener Süßwein super, „aber so was trinken unsere Freunde nicht“, und wieder ein Fläschchen für den Eigenbedarf. Das haben Sie sicher schon vermutet. Also, was lernen wir daraus? Ahnung von Wein und Spaß an Wein sind zwei verschiedene Dinge. Bringen Sie auf den Tisch, woran Sie Freude haben, begeistern Sie die Mittrinker auch mal mit etwas Neu- em, machen Sie sich und Ihren Lieben einen schönen Abend. Bei der Auswahl der richtigen Weine helfen wir Ihnen gerne, auf die Wahl des richtigen Schwagers haben wir aber leider keinen Einfluss …

TIPP! Auf Seite 59 finden Sie ein Gänsebraten- Rezept, das vielleicht sogar Ihrem Schwager schmeckt!

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