INTERVIEW
„Überhöhung des Gegners“
Der Historiker Alexander Jordan über das Gebirge als strategische Barriere, deutsch-öster- reichische Animositäten und das Schicksal der Südtiroler. Das Gespräch führte Ralph Kreuzer
Herr Dr. Jordan, der preußische Heeres- reformer Carl von Clausewitz schrieb um 1832, dass der Kampf im Hochgebirge sinnlos sei. Hat er in Bezug auf den Ersten Weltkrieg recht behalten? Clausewitz bringt ein besonderes Interes- sefürOperationenimGebirgeauf.Erwarnt davor, das Gebirge „als den Schlüssel zum Ganzen und seinen Besitz als Hauptsache zu betrachten“. Sinnlos sei der Kampf im Hochgebirge nicht, aber aus seiner Sicht eignen sich Gebirge nicht zum Vertei- digungskampf – eine Ansicht, die viele Militärtheoretiker nicht teilen. Clausewitz beschäftigt sich u. a. in sei- nemBuch„VomKriege“mitdenGebirgen. In seinem Denken bildet der Raum einen
Wie entscheidend war der Einsatz von Giftgas im Alpenraum?
Heeresleitung und viele Offiziere „ab- schätzig“ auf die Truppen des österrei- chisch-ungarischen Verbündeten schau- ten. Ganz grundsätzlich fehlte das Ver- ständnis für diese Vielvölkerarmee mit ihren verschiedenen Ethnien und Spra- chen.DieDeutschenerkanntennicht,dass die k.u.k.Armee ein integrativer Faktor in der Doppelmonarchie war. Sie sahen viel- mehr die zentrifugalen Kräfte, die im Lau- fe des Krieges immer stärker wurden. In Bezug auf die Standschützen, die in etwa dem deutschen Landsturm entspra- chen, war man deutscherseits irritiert von der Tatsache, dass sich diese Einhei- ten nur aus eng begrenzten Gebieten wie etwaeinzelnenGebirgstälernrekrutierten und dass sie ihre Offiziere selber und
Gaskampfstoffe wurden von österrei- chischen und italienischen Truppen glei- chermaßen genutzt. Allerdings waren bis 1917 zumeist nicht letale Tränengase im Einsatz. Im Vorfeld der 12. Isonzoschlacht waren dann deutsche Spezialisten an den Isonzo gereist, darunter Chemiker wie Otto Hahn, um die Möglichkeiten eines Einsatzes tödlicher Gase auszuloten. Schließlich hat man eine Angriffs- unterstützung durch Gasschießen der Artillerie auf die Kavernen und durch Gas- werfer auf die italienischen Soldaten in denStellungssystemendurchgeführt.Die Ergebnisse waren auf italienischer Seite verheerend. Grundsätzlich war der Ein- satz von Gaskampfstoffen im Alpenkrieg aber nicht kriegsentscheidend. Nachdem im Ersten Weltkrieg so viele Südtiroler für ihre Heimat gekämpft hatten – wie bewerten Sie den „Deal“ zwi- schen Hitler und Mussolini im Jahr 1939? Die Wahl zwischen der „Option für Deutschland“ (Optanten) oder in Südtirol zu verbleiben (Dableiber) ging gleicher- maßen mit einem Verlust der Identität und Kultur einher. „Option“ bezeichnete dabei die von den beiden Diktaturen Ita- lien und Deutschland zwischen 1939 und 1943 erzwungene Wahlmöglichkeit für deutschsprachige Südtiroler und Ladiner, ihre Heimat zu verlassen. Diese „Option“ war ein euphemisti- scher Ausdruck für ein unglaublich leid- volles Kapitel der Südtiroler Geschichte. Wer blieb, musste sich assimilieren und unterlag sprachlicher und kultureller Un- terdrückung. Wer ging, brach hoffnungsvoll in ein neues Leben in Europa auf, das 1945 ein jähes Ende fand, als die von Deutschland besetztenGebietebefreitwurden.Nacher- neuter Vertreibung repatriierte etwa ein Drittel der bereits Ausgewanderten nach Südtirol und stand vor dem Nichts.
„Die Kämpfer bildeten eine Gemeinschaft, umso schwerer wog derVerlust eines Kameraden.“
aus den eigenen Reihen wählten. Nach gemeinsamen deutsch-österreichischen Kampferfahrungen in Tirol 1915 besserte sich das Bild deutlich, wie etwa aus Tage- büchern deutscher Kriegsteilnehmer des Alpenkorps hervorgeht. Die Österreicher machten übrigens in Schilderungen – vor allem der einfachen Soldaten – oft eine Unterscheidung zwi- schen preußischenTruppen auf der einen und süddeutschen Truppen wie Bayern, Württembergern und Sachsen auf der anderen Seite. Kann man wirklich sagen,wie Sie in Ihrer Dissertation schreiben, dass der Tod im Gebirge eine „andere Bedeutung“ hatte als auf den Schlachtfeldern am Isonzo oder gar inVerdun? Aus Sicht der Angehörigen ist der Schmerz des Verlusts zweifellos derselbe. Richtig ist aber auch, dass der Krieg im Hochgebirge nicht von denselben Men- schenmassen wie an der Westfront oder am Isonzo geprägt war. Die Kämpfer wa- ren eine eingeschworene Gemeinschaft, was durch das Territorialprinzip bei den Standschützen noch verstärkt wurde. Meist kamen sie aus denselben Ortschaf- ten und kannten sich schon lange Jahre. Umso schwerer wog der Verlust eines Kameraden.
der Faktoren der strategischen Gleichung: „Die Natur des Terrains, besonders die Eigenschaften des Terrains, Berge, Flüsse, Sümpfe, Wälder, beeinflussen nicht nur dieTaktik,die Kampfesweise,sondern die Strategie, die konzentrierte oder verteilte Anordnung der Truppen vor oder hinter den natürlichen Kulissen.“ Für Clausewitz stellt das Gebirge vor allemeinestrategischeBarrieremitgewis- sen Zugängen dar, und das trifft auch im ErstenWeltkrieg zu.Anhand vieler Opera- tionendesAlpenkriegszeigtsich,dassdas Gebirgsterrain mit seinen Möglichkeiten der„ÜberhöhungdesGegners“oftdenVer- teidiger gestärkt hat. Insofern weicht die Praxis von Clausewitz’Theorie ab. Landwehr und Standschützen kam ein hoher Verdienst bei der Verteidigung von wichtigen Stellungen im Hochgebirge zu. Warum wurden sie trotzdem oft von den Deutschen belächelt? Diek.k.Landesschützen-Regimenter,spä- ter Kaiserschützen, waren der Kern der österreichischen Gebirgstruppen. Seit dem Jahr 1906 – und damit schon weit vor den deutschen „Pendants“ wie Alpen- korps und Württembergischem Gebirgs- Bataillon – waren sie für den Gebirgskrieg spezialisiert. Mein Eindruck nach Studi- um der Aktenlage ist, dass die Deutsche
Dr. Alexander Jordan ist Direktor des Wehrgeschichtlichen Museums Rastatt, Experte für den Gebirgskrieg und Wissenschaftlicher Beirat von Militär & Geschichte.
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