Herausgeber Dr. Guntram Schulze-Wegener über die Konferenz von Potsdam 1945
Stalin gibt den Ton an
D
des Verbleibs der deutschen Bevölke- rung in den von Moskau willkürlich zum polnischen Staatsgebiet geschla- genen deutschen Provinzen zeigt er sich unnachgiebig. So fällt der Norden Ostpreußens an die Sowjetunion und alles östlich von Oder und Neiße „provisorisch“ an die unter sowjeti-
lem Bestehendes bestätigt werden soll. Die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und die Installation eines Alliierten Kontrollrates sind noch während des Krieges festgelegt worden. In Potsdam gilt es, dem eine endgültige Fassung zu geben und darüber ein Abkommen zu erzielen sowie die Grenzziehungen zu er- örtern – einer der heftigsten Streit- punkte in fast jeder Debatte. DassStalin,dessenTruppentief in Deutschland stehen und Berlin allein eingenommen haben, mit Beginn des Rückzugs der amerika- nischen Truppen aus den von ih- nen besetzten Gebieten in Thürin-
as Potsdamer Abkommen vor 80 Jahren ist ein Epochen- schnitt, der den Aufbruch in
eine neue europäische Ordnung mar- kiert. Vom 17. Juli bis 2. August 1945 treffen in Schloss Cecilienhof die Führer der drei Großmächte USA, Großbritannien und Sowjetunion, Harry S. Truman, Winston Churchill (und nach dessen heimatlicher Ab- wahl Clement Attlee) sowie Josef Sta- lin, zusammen. Die Gespräche verlaufen zäh, denn die Regelung der „deutschen Frage“ als ein zentraler Punkt der Konferenz begreift Stalin im Gegensatz zu den westlichen Vertretern nicht als einen
Die Grenzziehungen in Europa sind ein heftiger Streitpunkt in jeder Debatte.
zu übermäßigen Zugeständnissen hinreißen zu lassen. Das ist einfacher gesagt als getan, zumal ab 26. Juli Clement Attlee an Churchills Stelle tritt und mit dem neuen, unerfahrenen amerikani- schen Präsidenten Truman und des- sen ebenso unerfahrenen Außenmi- nister James Byrnes weitere Green- horns mit dem „Stählernen“ an einem Tisch sitzen. Entsprechend gönnerhaft tritt Sta- lin auf, der sein Ziel einer Verkleine- rung, Ausbeutung und dauerhaften Entmachtung des ehemaligen Deut- schen Reiches zu keinem Zeitpunkt aus den Augen verliert. Gerade in der FragederpolnischenWestgrenzeund gen und Sachsen seit dem 1. Juli in einer sehr vorteilhaften Position ist, ist allen Beteiligten bewusst. Daher geht es bei dem anstehenden Aus- tausch auch darum, den sowjeti- schen Diktator in seinem Sieges- rausch zu bremsen und sich nicht
demokratischen Prozess, sondern als eine Station auf seinem Beutezug durch Europa. Einen solchen demo- kratischen Prozess in einem freien Europa anzustreben, ist nach der Konferenz von Jalta vom Februar des- selben Jahres Stand der Dinge. Doch nach dem siegreichen Vor- marsch der Roten Armee fürchtet Churchill, dass Stalin seine eigene Agenda verfolgt. Um dem ungenierten Vordringen des sowjetischen Impe- rialismus Einhalt zu gebieten, lässt der britische Premier im Frühjahr ins- geheim die militärische Operation „Unthinkable“ prüfen, also den militä- rischen Kampf der Alliierten gegen die Rote Armee. Zutiefst misstrauisch gegenüber dem Kremlherrn, schreibt er am 12. Mai an den amerikanischen Präsidenten,West und Ost trennt ein „eiserner Vorhang“, hinter dem man nicht weiß, was vor sich geht. Chur- chill drängt auf eine erneute Ausspra- che der „Großen Drei“, bei der vor al-
Die „Großen Drei“: Churchill, Truman
scher Kontrolle stehende polnische Verwaltung. Es bleibt ein unverzeihlicher Fehler, dass auf amerikanischen Vorschlag hin die endgültigen Vereinbarungen über die Grenzen erst einem künfti- gen Friedensvertrag vorbehalten sind. Stalin hingegen behandelt das Provisorium als Tatsache. Sein Kalkül, dass eine Umkehr zu einem späteren Zeitpunkt ausge- schlossen ist, geht auf. Die Vorherr- schaft Moskaus in und über Ostmittel- europa ist zementiert und Stalin, der als Letzter der späteren vier Sieger- mächte in die Anti-Hitler-Koalition eintrat, der große Gewinner der Kon- ferenz von Potsdam.
und Stalin auf der Konferenz
von Potsdam. Der britische Premier misstraut dem sowjetischen Diktator und hat auf eine erneute Aussprache gedrängt
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Militär & Geschichte
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