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als Künstler einen Namen gemacht hat, steht diesem großen Ziel nichts mehr im Wege. Mit einem Empfehlungsschreiben des mächtigen Vizekönigs des Kau- kasus, Fürst Alexander Barjatinski, inderTasche,trifftTheodorHorschelt, 29 Jahre alt, im Sommer 1858 im Kau- kasus ein. Er kommt gerade rechtzei- tig, um die Entscheidung in diesem 30-jährigen Ringen mitzuerleben. In den letzten Jahren haben die Russen den Bergvölkern mit einer brutalen neuen Strategie, dem sogenannten „Krieg der Axt“, hart zugesetzt. Auf mittlerweile 205.000 Soldaten ver- stärkt schnürt die russische Armee die letzten verbliebenen Widerständler durch das systematische Zerstören von Wäldern und Dörfern in einer im- mer kleineren Zone ein. Empfang bei der Truppe Im Juli 1858 darf sich Horschelt einer Armeeabteilung anschließen, die in
m Kaukasus bin ich geboren, ei- nen Dolch weiss ich zu gebrau- chen“, legt Russlands National- dichter Alexander Puschkin den Völ- kern des Kaukasus als Sinnspruch in den Mund.Rund 50Völkerbewohnen im 19. Jahrhundert das mächtige Ge- birgsmassiv und machen es zu einem „Berg der Sprachen“. Sie schreiben Lie- besgedichte für ihre Dolche und rei- chen ihre kostbaren, oft jahrhunder- tealten Säbel von Generation zu Gene- ration weiter. Ihre Gastfreundschaft ist legendär – aber sie erstreckt sich nicht auf Invasoren. (LQ]¦KHU.RQɎLNW Diese Völker zu unterwerfen, nimmt das Russische Reich seit 1829 ernstlich in Angriff. Doch den Truppen des Za- ren schlägt heftiger Widerstand ent- gegen. Im Westkaukasus weigern sich dieTscherkessenstandhaft,ihrHaupt zu beugen, im Osten schmieden radi- kalislamische Anführer einen Groß- teil der Völker Tschetscheniens und Dagestans zu einer Kampffront zu- sammen (siehe Karte S. 58). Unter Füh- rung ihres Imams Schamil nötigen sie den russischen Angreifern einen ver- lustreichen Krieg auf, der dem Zaren empfindliche Niederlagen beschert und ihn im Lauf der Jahre zwingt, sei- ne Truppenmacht an regulären Sol- daten, Kosaken und lokalen Milizen massiv aufzustocken.
Unbeugsam: Imam Schamil organisiert im östlichen Kaukasus den Widerstand gegen Russlands Eroberungsstruppen Es sind Zeitschriftenartikel über diesen Krieg im Kaukasus und seine fremde Welt voller Waffengeklirr und exotischer Völker, die die kindliche Fantasie eines Jungen aus Bayern an-
Horschelts Berichte vom Krieg schwanken zwischen Erschrecken und Faszination.
regen. Theodor Horschelt, der künst- lerisch begabte Sohn eines Ballett- meisters, träumt seit seiner Jugend davon, den Kampf um den Kaukasus mit eigenen Augen zu sehen – und zu malen. Sobald er sich in Deutschland
Dagestan gegen die Lesgier zieht, ei- nes der Völker, die in Schamils Wider- standsbündnis stehen. Sein Empfang bei der Truppe fällt günstig aus: „Nie- mand kann gastlicher sein und ge- fälliger“ als die russischen Offiziere,
Hauen und Stechen: Die exotische Welt des Kaukasus mit ihren Völkern im Freiheitskampf zieht Horschelt magisch an; dieses Bild malt er 1865, zwei Jahre nach seiner Rückkehr
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Militär & Geschichte
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