m 14. August 1962 kommt es bei Wiesenfeld an der hes- sisch-thüringischen Grenze zueinemdramatischenZwischenfall. AnjenemTagüberwachtHauptmann Rudi Arnstadt, der Kompaniechef der 6. Grenzkompanie der Grenzbereit- schaft Dermbach, mit seiner Einheit eine Pionierabteilung der Nationalen Volksarmee (NVA). Aufgabe der Pio- niere ist es, einen Stacheldraht-Dop- pelzaun im Sperrgebiet zu errichten. Die Sperrbauer bleiben nicht unbe- merkt.Auf der westlichen Grenzseite geht eine drei Mann starke Streife des Bundesgrenzschutzes (BGS) die Grenze ab, um die Baumaßnahmen zu beobachten. Die Patrouille besteht aus Hauptmann Lothar Meisner unddenbeidenBGS-OberjägernHans Martin Plüschke und Dieter Stief. Bei Grenzstein 331 gerät sie gegen 11:05 Uhr nach Ansicht Rudi Arn- stadts auf ein Haferfeld, das wie eine Landzunge mehrere Meter ins Bun- desgebiet hineinragt, aber zum DDR- Territorium zählt. Der Todessschuss A Arnstadt sieht nun die Chance, die BGS-Patrouille gefangen zu nehmen, und fordert die Bundesgrenzschützer mit gezogener Pistole dazu auf, ste- hen zu bleiben.Als diese darauf nicht reagieren, gibt der ihn begleitende
den den Namen des Todesschützen Plüschke. Die Geheimhaltung funk- tioniert so gut, dass das Ministerium für Staatssicherheit bis zum Ende der DDR 1990 nicht ihn, sondern seine Kameraden Meißner oder Koch für
NVA-Schütze Karlheinz Roßner mit seiner Maschinenpistole einenWarn- schuss in die Luft ab. Fast gleichzeitig schießt Arnstadt zur Warnung in den Boden. Gegenüber geht Meisner sofort in Deckung, Stief ebenfalls. Plüschke und ein weiter weg postier- ter Bundesgrenzschützer, der Ober- jäger Dieter Koch, schießen sofort zurück. Eine Kugel zischt an Roßner vorbei, eine andere trifft Arnstadt am rechten Auge und durchschlägt sei- nen Kopf. Schwer verletzt bricht er zusammen. Unmittelbar darauf zie- hen sich die Bundesgrenzschützer feuernd zurück, während mehrere DDR-Grenzer sie beschießen. Dann verebbt der Schusswechsel. Für Arn-
dieTodesschützen hält. Eiserne Racheschwüre
Arnstadts Tod hat schwerwiegende politische Folgen. Schützenpanzer der NVA fahren im Osten auf,US-Pan- zer rücken im Westen in den Grenz- bereich vor, wo der Zwischenfall stattgefunden hat. Zum Glück beru- higtsichdieLageschnellwieder.Doch kaum drehen die Panzer ab, bricht am 15. August 1962 die Propaganda-
Bundesadler: Der 1951 als Sonderpolizei desBundes gegründete Bundesgrenz- schutz führt von 1952 bis 1976 diese Wappen- variante als Ärmelabzeichen
DerVorfall markiert einen Höhepunkt des Kalten Krieges im geteilten Deutschland.
stadt kommt jede Hilfe zu spät. Der Schwerverletzte verstirbt noch auf der Fahrt ins Krankenhaus – so weit die Version des Ostens nach einem ersten Protokoll der NVA. Der Bundesgrenzschutz stellt den Vorfall anders dar. Nach seiner Auf- fassung hat die BGS-Streife das Staatsgebiet der DDR nie betreten. Stattdessen hätten die DDR-Grenzer nachArnstadtsHaltebefehlsofortauf Meißner geschossen,worauf die Bun- desgrenzschützer das Feuer erwider- ten und Arnstadt in Notwehr töteten. Bei ihrer Darstellung des Geschehens verschweigen die westlichen Behör-
schlacht los. SED-Chefpropagandist Horst Sindermann und die SED-Zei- tung Neues Deutschland verbreiten die Version, dass Arnstadt einem feigen Mord zum Opfer gefallen sei. So schreibt die Zeitung im August 1962: „Ebenso tief und heiß aber wie unser Schmerz ist unser Hass. Ihn schleu- dern wir den Mördern ins Gesicht mit dem heiligen Schwur: Die deutsche Arbeiterklassevergisstnicht!DieMör- der werden ihrer Strafe nicht entge- hen.“ Die Westmedien dagegen kari- kieren Arnstadt als von Ehrgeiz zer- fressenenVorzeigekommunisten,der Meißner entführen wollte, um einen
Frühe Standardwaffen: Der Bundesgrenz- schutz ist u. a. mit SIG P210 ausgerüstet, die Männer unten tragen Karabiner 98k
Auge in Auge: An der innerdeutschen Grenze stehen sich die uniformierten Kräfte beider deutschen Staaten zuweilen nur wenige Meter entfernt gegenüber. Auf diesem Foto von 1962 werden
DDR-Grenzer von BGS-Angehörigen beobachtet
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